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Alles Klar!

Artikel drucken Kurzgeschichte aus dem Buch „Jesus, berühre mich!“

Jesus, berühre mich!

Kurzgeschichten von der Jugendvigil in Heiligenkreuz ist der Untertitel des Buches Jesus, berühre mich! Reich mit Bildern versehen – strahlende, andächtige, ergriffene Gesichter junger Menschen, bis zu 250 an der Zahl, die sich an jedem 1. Freitag im Monat im Stift versammeln –, eine erklärende Einleitung über die Gebetstreffen und 105 Geschichten, die den Jugendlichen bei dem Anlass erzählt worden sind, ergeben ein Buch, das Jung und Alt mit Freude und Gewinn lesen werden.
Jesus, berühre mich! Kurzgeschichten von der Jugendvigil in Heiligenkreuz. Konrad Ludwig, Kilian Müller, Karl Wallner Hrsg., Be&Be-Verlag, 471 Seiten, 27,90 Euro


 

Heute um 11 Uhr kommt ein Neupriester zu uns in die Hauskapelle.“
Schwester Maria schob den Oberkörper ihrer Mitschwester Klara nach vorne, damit sie ihr das zusammengeknautschte Polster aufschütteln konnte. Schwester Klara ist 89 Jahre alt, und sie ist dement. Vor 7 Jahren hat diese Alterskrankheit begonnen, seit zwei Jahren ist Schwester Klara bettlägerig. Und seit mehreren Monaten spricht sie auch nicht mehr. Es ist, als hätte sie inzwischen sogar vergessen, wie das mit dem Sprechen geht.
Schwester Maria und einige andere Schwestern kümmern sich tagein, tagaus um ihre alten und kranken Mitschwestern. Ihr Kloster liegt mitten in der Großstadt und circa 30 Ordensschwestern aus unterschiedlichen Ländern sind hier, um rund um die Uhr Eucharistische Anbetung zu halten. Mitten in der Stadt, die so oft Gott vergisst, wollen sie stellvertretend an das Leiden, Sterben und strahlende Auferstehen Christi erinnern. Und sie haben das alles auch im eigenen Haus vor Augen.
„Meinst Du, sie bekommt überhaupt noch etwas mit?“, fragte eine andere Schwester. „Ich glaube ganz fest daran!", sagte Schwester Maria. Das tat sie wirklich, und deshalb erzählte sie ihrer dementen, bettlägerigen Mitschwester jeden Tag davon, was sich so im Kloster abspielte. Schwester Klara schaute währenddessen aus ihren dämmrigen, alten Augen ins Leere und sagte nichts.
„Sie können sich doch bestimmt noch an ihn erinnern. Ein junger Theologiestudent, ein ganz eifriger und netter. Bis vor einigen Jahren kam er jede Woche in unsere Kapelle zur Anbetung.“ Schwester Maria stellte die Kopflehne am Krankenbett ein wenig steiler. Schwester Klara verzog keine Miene. „Und dann ist er weggezogen und in einen Orden eingetreten. Stellen Sie sich vor: Nun ist er zum Priester geweiht worden, und heute spendet er uns den Primizsegen, unten in der Kapelle.“ Schwester Maria setzte sich auf die Bettkante und nahm Schwester Klaras Hand. Doch die zeigte wie immer keine Reaktion.
Ein Zweifel tauchte in Schwester Maria auf, und sie dachte bei sich: „Vielleicht haben die anderen doch Recht, und sie bekommt einfach gar nichts mehr mit.“ Sie schaute auf den Kalender, der über Schwester Klaras Nachtkastl hing. Da stand ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium. „Dein Almosen soll verborgen bleiben und Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es Dir vergelten.“ (Matthäus 4,4) Schwester Maria musste lachen. „Jaja, ich hab' schon verstanden…“, sagte sie, stand auf und ging zur Tür: „Bis nachher, Schwester Klara, und viel Segen!“
Sie fand es schade, dass Schwester Klara nicht mit in die Kapelle zum Primizsegen kommen konnte. Das Gebet für Priesterberufungen war ihr immer ein großes Anliegen gewesen. Aber es wäre für alle einfach zu anstrengend geworden.
Nachdem die Schwestern dann kurz darauf den Segen des Neupriesters in der Kapelle empfangen und sich anschließend noch kurz mit ihm unterhalten hatten, ging Schwester Maria wieder hinauf zu Schwester Klara. Sie hatte sich extra noch ein zweites Primizbild für ihre Mitschwester geben lassen, das sie ihr auf das Nachtkästchen stellen wollte.
Als sie die Tür zum Krankenzimmer öffnete, bekam Schwester Maria vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Sie drehte sich sofort im Türrahmen um und rief die Mutter Oberin, die gerade aus dem Aufzug kam. „Mutter Oberin, kommen Sie, schnell! Das müssen Sie sehen!“
Als die beiden wieder ins Zimmer kamen, saß Schwester Klara kerzengerade in ihrem Bett. Ihr Gesicht war nass von Tränen, und sie hielt ihre Hände gefaltet vor der Brust. Mit leiser, aber deutlicher Stimme sagte sie immer wieder: „Ich danke Dir, Herr! Jetzt weiß ich: Du hast mein Gebet erhört! Danke, Herr!“
Die beiden Schwestern trauten ihren Augen und Ohren nicht. Seit Monaten hatte Schwester Klara keinen Ton mehr gesagt, und jetzt das! Schwester Klara strahlte die beiden jetzt an und sagte weinend und lachend zugleich: „Der Herr hat uns einen Neupriester geschenkt!
Er hat meine Gebete erhört!“
Es ist mal wieder eine wahre Geschichte: Der Priester, der dort den Primizsegen gespendet hat, ist nämlich ein Mitbruder von uns. Auch wenn Schwester Klara kurz danach wieder ganz wie vorher in die Dämmerung ihrer Demenz zurückgefallen und verstummt ist: Die Oberin und Schwester Maria sind felsenfest davon überzeugt, dass es so etwas wie ein Lichtstrahl Gottes war, der ihre Mitschwester getroffen hat, während die anderen den Primizsegen empfangen haben. Für einen Moment hat der Herr sie dorthin gebracht, wo einfach alles klar ist, jenseits von Krankheit und Leiden.
Und ich glaube, mit dieser Einschätzung liegen sie ziemlich richtig.                                                  KIM


 

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