VISION 20003/2017
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Eine Botschaft – politisch unkorrekt

Artikel drucken In Fatima erinnerte die Gottesmutter vor 100 Jahren an die Letzten Dinge (Vittorio Messori)

100 Jahre Fatima: Gedenken an eine kirchlich anerkannte Er­schei­nung der Gottesmutter, die lange Zeit unbeachtet blieb. Der folgende Beitrag zeigt auf, wie bedeutsam deren Inhalt für unsere Tage ist.

Jede Erscheinung scheint allen anderen ähnlich zu sein, weil in ihrem Zentrum stets ein Aufruf zum Gebet und zur Buße steht. Gleichzeitig unterscheidet sie sich aber auch von den anderen, eben dadurch, dass sie einen besonderen Aspekt des Glaubens hervorhebt. Die Aura, die Lourdes umgibt, ist die Gelassenheit. Kennzeichnend dafür ist, dass Maria bei keiner anderen Gelegenheit so viel gelächelt hat. (…) Allerdings darf man dabei nicht vergessen, dass jene, die bei der Grotte erklären wird, sie sei die Unbefleckte Empfängnis, damit etwas sehr Bedeutsames zur Sprache gebracht und jeden zu Buße und Gebet für sich selbst und die Sünder aufgerufen hat. Aber alles in einer Stimmung der Ruhe, ohne Androhung von Strafe. Genau das ist  jener Aspekt, der am meisten die Menschenmasse in die Pyrenäen lockt.
Die Atmosphäre von Fatima hingegen erscheint überwiegend eschatologisch, apokalyptisch – allerdings mit einem versöhnlichen, zuversichtlichen Abschluss. Es ist offenkundig, dass der Hauptgrund für die Erscheinung in Portugal darin besteht, den Menschen den ungeheuren Ernst des irdischen Lebens in Erinnerung zu rufen. Dieses ist letztlich nichts als eine kurze Vorbereitung auf das wahre Leben, auf eine Ewigkeit, eine Ewigkeit der Freude, aber auch der Tragik. Sie erinnert an die Barmherzigkeit, gleichzeitig aber auch an die Gerechtigkeit Gottes.

Kein permissiver Onkel
Die einseitige Betonung der Barmherzigkeit heute vergisst das „Und-Und“, das für das Katholische typisch ist. So erblickt man in Gott den liebenden Vater, der uns mit weit offenen Armen erwartet, gleichzeitig aber auch den Richter, der auf Seiner unfehlbaren Waage Gutes und Böses abwägt. Ja, es erwartet uns ein Paradies, aber dieses setzt voraus, dass wir die kleinen oder großen Talente, die uns anvertraut wurden, so gut wie möglich einsetzen. Keine Frage: Der katholische Gott ist sicher nicht der sadistische des Calvinismus, der in seinem unergründlichen Belieben die Menschheit in zwei Gruppen einteilt: jene, die für das Paradies vorherbestimmt zur Welt kommen und jene, die seit jeher die Hölle erwartet. (…) Nein, der katholische Gott hat wirklich nichts gemein mit solchen Verzerrungen. Aber Er ist auch nicht der gutmütige, permissive, tolerante Onkel, dem alles recht ist und der alle in gleicher Weise annimmt…
Auch wenn es in den Ohren eines gewissen heutigen, für das geistige Leben gefährlichen „Gutmenschentums“ wie ein Ärgernis klingt, bietet Christus unserer Freiheit eine endgültige Wahl für die gesamte Ewigkeit an: die Rettung oder die Verdammung. Daher kann uns auch eine Hölle erwarten, die wir zwar abgeschafft haben, allerdings um den Preis der Ausblendung der klaren, wiederholt geäußerten Warnungen des Evangeliums. In ihm findet man die ergreifende Einladung Christi: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt, ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Und da gibt es viele andere Worte und Gesten, die Ausdruck Seiner Zärtlichkeit sind. Aber, ob uns das nun gefällt oder nicht, es gibt im Evangelium durchaus auch anderes. Da ist ein Gott, der unendlich gut und auch unendlich gerecht ist, und in dessen Augen folglich ein unverbesserlicher Übeltäter durchaus nicht gleich gesetzt wird mit einem Gläubigen, der sich – trotz seiner Grenzen und Abstürze, die jeder Mensch kennt – bemüht hat, das Evangelium ernst zu nehmen.
Im Katechismus, diesem grundlegenden Text über die Lehre der Kirche, komplett erneuert, verfasst auf Geheiß des heiligen Johannes Paul II. und unter der Verantwortung vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger (ein Text der sich ganz im Geist des 2. Vatikanischen Konzils versteht) ermahnen die Autoren: „Die Aussagen der Heiligen Schrift und die Lehren der Kirche über die Hölle sind eine Mahnung an den Menschen, seine Freiheit im Blick auf sein ewiges Schicksal verantwortungsvoll zu gebrauchen. Sie sind zugleich ein eindringlicher Aufruf zur Bekehrung.“

„Kehrt um!“
Es sind genau diese Appelle (zur Verantwortung und zur Umkehr), die im Zentrum der Botschaft von Fatima stehen und die sie mehr denn je dringend und aktuell machen: Jedenfalls mehr als zu der Zeit, als Maria in der Cova da Iria erschienen ist.
Aus der katholischen Predigt ist nun schon seit Jahrzehnten das verschwunden, was die Theologie die letzten Dinge nennt: Tod, Gericht, Hölle, Himmel. Wenn nun aber in Gott alle Tugenden in unendlicher Fülle enthalten sind, kann da in Ihm die Gerechtigkeit fehlen, die ja die Kirche – inspiriert vom Heiligen Geist, aber durchaus dem allgemeinen Verständnis entsprechend – unter die Kardinaltugenden zählt? Da mangelt es nicht an Theologen, sogar bekannten und geachteten, die einen wesentlichen Teil der Schrift herausoperieren wollen, indem sie das, was ihnen nicht passt, beseitigen und meinen, großzügiger und besser als Gott zu sein. Und so sagen sie: „Die Hölle gibt es nicht. Und, sollte sie existieren, ist sie leer.“
Es stimmt, dass die Kirche immer schon erklärt hat, dass einige ihrer Kinder mit Sicherheit gerettet seien, indem sie diese zu Seligen oder Heiligen erklärt hat. Und dieselbe Kirche hat noch niemals erklärt, jemand sei verdammt worden. Denn sie überlässt richtigerweise Gott das letzte Urteil. Wer jedoch behauptet, die Hölle, auch wenn sie existiere, sei leer, dem sollte man entgegenhalten: „Leer? Aber das schließt ja nicht die schreckliche Möglichkeit aus, dass wir, du und ich, sie einweihen könnten.“ (…)
Anlässlich der wichtigsten Erscheinung, jener vom 13. Juli 1917, geschah das, was Schwester Lucia 1941 in dem berühmten Brief an ihren Bischof so schildert: „Das Geheimnis besteht aus drei verschiedenen Teilen, von denen ich zwei jetzt offenbaren will. Der erste Teil war die Vision der Hölle. Unsere Liebe Frau zeigte uns ein großes Feuermeer, das in der Tiefe der Erde zu sein schien. Eingetaucht in dieses Feuer sahen wir die Teufel und die Seelen, als seien es durchsichtige schwarze oder braune, glühende Kohlen in menschlicher Gestalt. Sie trieben im Feuer dahin, empor geworfen von den Flammen, die aus ihnen selbst zusammen mit Rauchwolken hervorbrachen. Sie fielen nach allen Richtungen, wie Funken bei gewaltigen Bränden, ohne Schwere und Gleichgewicht, unter Schmerzensgeheul und Verzweiflungsschreien, die einen vor Entsetzen erbeben und erstarren ließen.“
Jacinta, die drei Jahre später, als zehnjähriges Kind starb, wird bestürzt über das, was sie in diesen wenigen Momenten gesehen hatte, auf ihrem Totenbett sagen: „Wenn ich den Sündern doch nur die Hölle zeigen könnte, würden sie alles unternehmen, um sie zu vermeiden, indem sie ihr Leben ändern würden.“ (…)

Gebet für die Sünder
Zur Bestätigung der zentralen Bedeutung der Botschaft über die Gefahr, verloren zu gehen, gibt es in Fatima auch noch Folgendes: Die Erscheinung lehrt die Seher ein Gebet, das nach jedem Gesätz des Rosenkranzes zu wiederholen sei. Ein Gebet, das in der katholischen Welt eine so außerordentliche Aufnahme fand, dass es überall gesprochen wird, wo man Rosenkranz betet. Und es lautet: „O mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle, führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.“ Worte, wie man sieht, die ganz auf die Letzten Dinge ausgerichtet und den Kindern von der Gottesmutter selber gesagt worden sind. (…)
Kommen wir nun aber zu den letzten Zeilen des Berichts der Zeugin Lucia, im Anschluss an die Vision vom schrecklichen Schicksal der unverbesserlichen Sünder: „Wir erhoben die Augen zu Unserer Lieben Frau, die voll Güte und Traurigkeit sprach: Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der armen Sünder kommen, Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen begründen. Wenn man tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet werden.“
Das ist nun die tröstliche, ganz christliche, ja katholische Note… Die Wahrheit erfordert, in Erinnerung zu rufen: Wenn Menschen die Ernsthaftigkeit des Evangeliums ausblenden, gehen sie ein großes Risiko ein. Aber die Barmherzigkeit des Himmels bietet sofort ein Heilmittel an: sich unter dem Schutzmantel Marias zu bergen und sich ihrem Unbefleckten Herzen anzuvertrauen, offen für jeden, der um ihre mütterliche Fürsprache bittet…
Wozu also die Erscheinungen? Fatima gehört zu den bedeutenden Antworten für eine Welt, die mehr und mehr – und heute besonders – darauf vergisst, dass das Leben hier auf Erden seine wahre Bedeutung in seiner Fortsetzung in der Ewigkeit findet. Fatima ist eine „harte“ Botschaft, in der heutigen Ausdrucksweise würden wir sie als „politisch unkorrekt“ bezeichnen. Genau deswegen ist sie evangeliumsgemäß, indem sie die Wahrheit verkündet und die Heucheleien, Verdrängungen, Beschönigungen zurückweist. Aber wie bei allem, was wahrhaft katholisch ist, wirken alle Gegensätze in einer lebensträchtigen Synthese zusammen: die „Härte“ koexistiert mit der Zärtlichkeit, die Gerechtigkeit mit der Barmherzigkeit, die Drohung mit der Hoffnung. So ist die Botschaft, die mit Portugal verbunden ist, gleichzeitig beunruhigend und tröstlich.

Der Autor ist italienischer Journalist, bekannt auch durch sein Buch Zur Lage des Glaubens, ein Interview-Buch mit Kardinal Ratzinger. Messoris Beitrag ist ein Auszug aus: Quel messaggio politicamente scorretto, ma evangelico di Fatima in La nuova bussola quotidiana v. 31.1.17.


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