VISION 20004/2020
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Friede ist in mein Herz eingekehrt

Artikel drucken Geschichte einer inneren Heilung (Jana Moos)

Tränen. Tränen laufen über meine Wange. Ich sitze in einer kleinen Kapelle nahe unserer Wohnung. Die Verzweiflung zwingt mich auf die Knie. Herr, was soll das? Ich habe alles probiert, ich habe gekämpft, geredet, geschrien, geschwiegen, ausgehalten. Ich verstehe es nicht. Ich sehe den Weg nicht. Ich kann nicht mehr. „Herr, mach du!“ Bitte!

Ich erinnere mich gut an diese Stunde, ein Beginn … ja, wovon eigentlich? Einige Monate vor diesem Moment bin ich zusammengebrochen. Burnout. Ich mag das Wort immer noch nicht. Keine Kraft mehr für nichts. Müde, immer nur müde. Und explosiv, ja aggressiv. Dabei braucht mich meine Familie, mein Mann und unsere 6 Kinder. Ich kann doch nicht einfach schlappmachen. Ich versuche, mich meinem Mann mitzuteilen, ihm meine Lage zu erklären. Seine Antwort: „Schatz, bald kommen die Sommerferien und der Urlaub. Danach sieht die Welt wieder anders aus.“ Er versteht mich nicht. Er begreift das Ausmaß meiner Erschöpfung nicht. Am liebsten würde ich Koffer packen. Ich seeeehne mich so nach Ruhe. Wie der Alm-Öhi von Heidi. Hoch oben in den Bergen. Alleine. Allein die Vorstellung – himmlisch.
Alles ist mir zu viel. Selbst eine stupide Arbeit wie Wäsche aufhängen gelingt mir nur bei absoluter Ruhe. (Jetzt, wo ich das schreibe, kann ich mir das selbst kaum mehr vorstellen). Ich ziehe mich zurück. Ich gehe viel spazieren oder sitze im Garten. Alleine. Das tut mir gut. Doch ich war noch nie so einsam. Und das tut mir nicht gut. Für mich ist das gefühlte Allein-Gelassen-Sein das Schlimmste. Mein Mann versucht mir, den Rücken frei zu halten, aber jedes Mal, wenn ich versuche, mich ihm mitzuteilen, endet das im Streit. Ich möchte so gerne, dass er mich versteht, doch umso mehr ich mich erkläre, des­to weniger versteht er mich.
Für ihn ist alles in Ordnung, nur ich muss wieder auf die Beine kommen. Und das ist bitteschön mein Problem. Na super.
Warum bin ich eigentlich verheiratet, wenn ich in der dunkelsten Zeit meines bisherigen Lebens doch alleine dastehe? Und schon bin ich mittendrin in der größten Ehekrise. Ich alleine, denn für meinen Mann ist alles in Ordnung.
Ich schreibe diese Zeilen nicht, um zu zeigen, wie schlecht mein Mann ist. Nein, ich schreibe diese Zeilen, um meinen desolaten Zustand zu verdeutlichen. Ich habe einen guten Mann. Einen Mann guten Willens. Er kümmert sich. Er ist da. Auf ihn ist Verlass und er ist treu. Doch trotzdem befand ich mich in dieser für mich aussichtslosen Lage. Würde mein Mann seinen Blick auf die damalige Zeit schreiben, wäre es eine ganz andere Geschichte.
Ich beginne zu kämpfen. Um unsere Ehe. Reden, Schweigen, Schreien, Aushalten. Mein Mann ist für mich überhaupt nicht greifbar. Er lebt auf einem anderen Planeten. Ich suche Hilfe. Ich stelle Kontakt her zu einem Priester, der schon viele Ehepaare begleitet hat. Ich lese viel. Und ich lerne durch Gottes Fügung einen Therapeuten kennen, der mich begleitet. Doch mit allen Ideen oder Ansatzpunkten laufe ich bei meinem Mann auf Grundeis. Lass uns dieses Buch lesen… Lass uns dieses Video schauen… Lass uns reden… Lass uns beten. Alles wird abgeblockt. Und durch diesen Kampf verliere ich noch mehr Energie. Kraft, die ich eigentlich gar nicht habe.
Und so sitze ich eines Tages in der Kapelle. Durch mein verzweifeltes Gebet kehrt Ruhe ein. „Herr, mach du!“ Der Kampfmodus ist vorbei. Ein Friede, den ich mit Worten nicht erklären kann, zieht in unsere Ehe ein. Ich beginne klarer zu sehen und konzentriere mich auf das, was für mich dran ist. Mein Mann ist nicht mehr auf Abwehrmodus. Wir lassen uns beide gegenseitig in Ruhe. Er fehlt mir, aber ich kann das so stehen lassen.
Für mich brechen viele Sachen auf. Es scheint, als ob sie drauf gewartet haben, endlich an die Oberfläche kommen zu dürfen. Ich darf und muss erkennen, dass ich auf Leistung ausgerichtet bin. Irgendwo in meiner Vergangenheit habe ich aufgesaugt, dass ich nur wertvoll und geliebt bin, wenn ich etwas leiste. Dieses Bild habe ich auch auf Gott übertragen und der Gedanke beschleicht mich, ob wir so viele Kinder bekommen haben, weil ich unbewusst dachte, leisten zu müssen. Autsch! Ja, das tut weh.
Ich lerne, gezwungenermaßen, Dinge liegen zu lassen, denn ich habe noch immer kaum Energie. Ansprüche runterschrauben. (Ehrlich dachte ich am Anfang, wenn ich noch mehr loslasse verliere ich mich selbst. Was ist von mir noch übrig?) Die Wohnung ist ein einziges Chaos – in meinen Augen, denn die restlichen sieben Familienmitglieder stört es nicht. Gott, warum ist das eigentlich so?
Ich gehe mehr und mehr mit meinen Fragen zu Gott. Ich mute mich ihm ehrlich zu. Herr, wie soll ich in diesem Chaos gesund werden? Ich liebe Ordnung und Struktur. Herr, ich sehne mich nach einer tiefen Beziehung zu meinem Mann. Warum hast du mich so gemacht, wenn es unmöglich scheint? Ich musste Freundschaften loslassen, Kontakte, die mir wichtig sind, konnte ich nicht pflegen. Das fühlt sich falsch an. Ich bin so gerne für andere da, will so gerne wissen, wie es ihnen geht. Doch ich bin dran. Ehrlich, das ist mir sehr schwergefallen. Aber mein Körper erinnerte mich regelmäßig sehr deutlich daran.
Dann kam ein Wochenende mit mehreren Familien unserer Gemeinschaft, des „Regnum Christi“. Wir hörten einen Vortrag über die Unterschiede von Mann und Frau. Der Mann braucht seine Höhle. Wenn ein Problem anrollt, zieht er sich zurück und löst das Problem. Schon zig-mal gehört. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Genau das hatte mein Mann mit mir gemacht. Er hatte mir den Rückzug in die Höhle ermöglicht.
In der Zeit, wo ich dachte, er schiebt mich weg und will mit meinem Problem nichts zu tun haben, hat er mir die Höhle ermöglicht. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass das das Letzte war, was ich damals brauchte. Aber ich erkannte nun, dass er das aus Liebe zu mir getan hatte. Die Liebe konnte ich mir zwar mit meinem Kopf einreden, habe  sie aber das ganze letzte Jahr nicht gespürt. Mein Mann atmetet tief durch. Endlich glaubt sie es mir wieder…
An besagtem Wochenende bin ich auch mal wieder mit dem Thema innere Heilung konfrontiert worden. Es ist nicht so, dass dieses Thema noch nie an meine Tür geklopft hat, aber nun war ich aufnahmebereit. (Der Heilige Geist wird manchmal richtig penetrant. Das ist bei mir auch notwendig. Wenn ein Thema immer öfter meinen Weg kreuzt, dann weiß ich mittlerweile, dass es der „Mittler“ von oben ist.) Verletzungen, Lebenslügen (die sich wie echt anfühlen) und Schwüre. Das war Sprengstoff.
Eine meiner Lebenslügen war: „Ich bin immer allein“, gleich gefolgt von: „Ich schaffe es nicht“. In unserer Ehe hatte das den Effekt, dass ich diesen meinen Mann auf gar keinen Fall verlieren wollte (ich habe geklebt wie eine Klette) und dass ich es als meine Verantwortung empfunden habe, diese Ehe zu retten (denn ich musste es wenigstens dieses eine Mal schaffen).
Ich habe diesen Lügen widersagt. Diesen Lügen des Teufels, der mich damit gefesselt hat. Und ich habe Jesus gebeten, mir zu zeigen, dass ich nicht alleine bin und dass ich nichts alleine schaffen muss, denn Er ist ja da. Was für eine Befreiung!!! Eine Zentnerlast ist von mir abgefallen.
Die ganze Sache ist für mich keine einmalige Angelegenheit. Es kommt immer wieder etwas hoch. Aber nun weiß ich, was ich damit machen kann. Es zu Jesus bringen. Ihm mich zumuten. Und auch meinem Mann mute ich mich mehr zu. Ich erzähle mehr von dem, was in mir vorgeht. Dafür musste ich aber zu mir finden, mich wieder selbst spüren. Dafür also mein Burnout. Wenn ich es im dunkelsten Tal auch nicht für möglich gehalten habe: Gott hat einen Plan, einen guten Plan.
Das gilt auch für unsere Ehe. Ich habe so gezweifelt. Ich habe so oft gedanklich Koffer gepackt. Wozu Herr? Warum verheiratet sein und sich trotzdem einsam fühlen? Auch in unsere Ehe hatte sich eine Lüge eingeschlichen. „Ich hätte niemals heiraten sollen!“ war ein Gedanke, der in mir wuchs – ohne dass es mir bewusst war. Auch dieser Lüge habe ich widersagt und puff – weg war sie. Der Teufel ist echt gerissen.
Irgendwann sagte mir ein Priester: „Wenn dein Ehemann perfekt wäre und er alles tun würde, was du brauchst, nämlich dich geliebt, beachtet, umworben zu fühlen, dann würdest du nie nach Jesus suchen.“ Ja, das stimmt. Auch wenn es schmerzt.
Denn ich habe alles von meinem Mann erwartet. Ich habe alle unbeantworteten Fragen auf meinen Mann geworfen und ihn damit fast erschlagen. Liebst du mich? Siehst du mich? Bin ich wertvoll? Bin ich schön? Ich musste lernen, diese Fragen meinem Mann nicht mehr zu stellen. Ich gehe nun damit zu Jesus, denn nur Er oder Gott Vater kann diese Fragen beantworten.
Häufig ertappe ich mich dabei, wie ich doch die Antworten auf meine tiefsten Fragen bei meinem Mann oder anderen Menschen suche. Das löst meist Unruhe, ja Unfrieden aus. Ein eindeutiges Zeichen, dass ich nicht mit Ihm unterwegs bin. Mich immer wieder auf Jesus auszurichten, wird wohl ein lebenslanger Prozess bleiben.
Und das Beste an dieser Tal-Fahrt bzw. Achterbahn-Fahrt: Bisher bin ich mit dem Grundgefühl des „Falsch-Seins“ durch das Leben gegangen. Irgendwie habe ich mich nie richtig und gut gefühlt. So langsam erahne ich, dass ich gut bin, so wie ich bin. Dass meine Sehnsüchte und Ideale gut sind. Gott hat mich so gemacht.
Und diese Sehnsüchte sind nicht dazu da, in meinem Herzen eingeschlossen zu werden, weil sie so wie so nicht realisierbar sind. Nein, sie führen mich Stück für Stück zu Ihm und lassen mich langsam die Person werden, die Gott geschaffen hat, die Er schon immer in mir gesehen hat.
Wunderbar ist auch zu sehen, wie sich mein Mann verändert und bemüht. Jetzt, wo ich ihn „freigelassen“ habe, sehe ich kleine Dinge, die er für mich tut. Hat er die vorher auch schon getan? Ich weiß nicht, ob ich sie übersehen habe, oder ob es neu ist. Aber das ist auch egal. Ich nehme sie wahr. Früher habe ich mich oft gefragt, warum er nicht einfach das tut, wonach ich mich so sehr sehne. Wäre doch so einfach.
Heute sehe ich, dass auch er „nur“ ein Mensch ist und nicht einfach funktionieren kann. Auch er hat Verletzungen im Leben abbekommen. Auch er ist auf dem Weg zu Jesus. Dank sei Gott. Aber sein Weg sieht ganz anders aus als meiner. Und ehrlich gefragt, wie oft tue ich Dinge, die gut für ihn sind, wonach er sich sehnt? Selten. Nicht, weil ich ihn nicht liebe und er es nicht wert wäre, sondern einfach, weil ich es vergesse, es im Alltag untergeht und es nicht meine Sprache ist. Das heißt nicht, dass ich mich nicht bemühe, sondern dass es Mühe kostet.
Zurückblickend kann ich nur staunen. Gott nutzt alles, um mich für sich zu gewinnen. Meine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Angenommen-Sein führte mich in die Ehe. Und in dieser Ehe lerne ich mich selbst anzunehmen und Seine Liebe zu erkennen. Er nutzt meine Prägung auf Leistung, damit wir viele wunderbare Kinder bekommen und lehrt uns Stück für Stück die Liebe, die wir für diese Gotteskinder brauchen. Es ist alles ganz anders gekommen, als ich es mir vorgestellt habe. Ganz anders, als ich es jemals geplant habe. Besser. Viel besser.
Und so sitze ich wieder in der Kapelle. Tränen laufen über meine Wangen. Dankbarkeit und Freude überströmen mich. Ein Gott, der mich liebt. Ein Gott der mich sieht. Ich bin zufrieden, denn Friede ist in mein Herz eingekehrt. Frieden, den die Welt nicht geben kann.


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