VISION 20006/2022
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Sagt die Wahrheit, aber liebevoll!

Artikel drucken Christen leben inmitten einer Gesellschaft, die gottlosen Wegweisungen folgt (Christof Gaspari)

Von der Wahrheit zu sprechen, ist heute zulässig, solange man beteuert, auf der Suche nach ihr zu sein. Wer Antworten parat hat, macht sich verdächtig. Für Christen ein schwieriges Umfeld, da sie doch beauftragt sind, zu lehren, was Jesus verkündet hat.

Die UNO arbeitet mit den Technologie-Plattformen, vor allem mit Google und TikTok, zusammen, um  „korrekte Informationen“ über Covid, den Klimawandel und den Krieg in der Ukraine zu verbreiten. Das erklärte die UN-Untergeneralsekretärin für globale Kommunikation, Melissa Fleming im September auf einer Tagung des World Economic Forum. „Wissen Sie, wir besitzen die Wissenschaft, und wir denken, dass die Welt sie wissen sollte,“ stellte sie fest. Die Botschaften der UNO würden vorgereiht, die unerwünschten eliminiert oder nach hinten verschoben.
Uns wird also gezielt die von den Mächtigen verordnete „Wahrheit“ vorgesetzt. Im Klartext bezeichnet man das als Zensur. Und ähnlich handelt das US-amerikanische Heimatministerium. Es „kooperiert“ mit Facebook und Twitter, um „unangenehme Themen zurückzudrängen und regierungskritische Ansichten von Usern löschen zu lassen,“ wie kath.net berichtet.
Und damit sind wir bei einem brennend aktuellen Thema: der systematischen Indoktrination mit „erwünschten“ Botschaften. Uns Christen betrifft das besonders, weil diese Indoktrination sich nicht nur auf Fragen wie Covid und Klimawandel bezieht. Vielmehr sind wir einem Dauer-Bombardement mit Infos ausgesetzt, die uns die Welt aus dem Blickwinkel eines gottlosen Zeitgeistes präsentieren. Aus diesem Geist werden Zeitungen, Fernsehsendungen und Filme gestaltet, werden Vorlesungen an der Uni gehalten und Urteile von Gerichten gefällt, werden Gesetze in den Parlamenten beschlossen… Und all das hat Einfluss auf unser Welt- und Menschenbild.
Diesbezüglich fand im letzten halben Jahrhundert eine wahre Revolution statt. Sie ereignete sich nicht als unmittelbar spürbare Umwälzung, sondern fand schrittweise statt – die Soft-Version einer Revolution, an die man sich, ohne es zu merken, gewöhnt.
Sie begann mit der Erleichterung von Scheidungen, der sexuellen Liberalisierung durch Verbreitung der Empfängnisverhütung und damit der vor- und außer­ehelichen Beziehungen. Dazu kam die Zulassung der Abtreibung, die massive Förderung der weiblichen Berufs­tätigkeit und der außerhäuslichen Kinderbetreuung. Das alles sind heute etablierte „Errungenschaften“.
Und es kamen weitere „Neu­erungen“ dazu: die „Normalität“ gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, das Recht, nicht nur den eigenen Tod selbst zu bestimmen, sondern sogar die eigene Geschlechtszugehörigkeit und die Einführung der Möglichkeit, die „Erzeugung“ von Kindern in Auftrag zu geben (Samenspenden und Leihmutterschaft)…
Hinter all diesen „Errungenschaften“ steht der Gedanke, dem mündigen Menschen stehe es zu, sein Leben nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Wissenschaft und Technik würden ihm dazu die geeigneten Mittel in die Hand geben. Diese Instrumente hätten sich ja schon im Zuge des wirtschaftlichen Fortschritts bewährt, der uns mit einem Segen von materiellen Wohltaten überschüttet hat.
Den geistigen Hintergrund dieser heutigen Errungenschaften kann man bei dem israelischen Philosophen Yuval Harari in seinem Bestseller Homo Deus nachlesen. Darin erzählt er, was kommen wird: die Geschichte von morgen: „Nachdem wir ein beispielloses Maß an Wohlstand, Gesundheit und Harmonie erreicht haben und angesichts (…) der gegenwärtigen Werte werden die nächsten Ziele der Menschheit wahrscheinlich Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit sein.“ Der Mensch als Gott, wie der Buchtitel ja verheißt, ein Wesen, das sich selbst neu schafft.
Verständlich, dass Christen in diesem Umfeld zunehmend als Menschen mit total veralteten Vorstellungen angesehen werden und dementsprechend in eine Außenseiterrolle geraten, mit der es schwer ist umzugehen. Denn man bewegt sich ja in diesem geis­tig umgepolten Umfeld, das von einem gottlosen Weltbild geprägt ist. Um mit dieser Spannung zurecht zu kommen, wird seit langem in der Kirche die Forderung laut, man müsse nach Kompromissen suchen, sonst verliere man den Anschluss und jede Glaubwürdigkeit.
Diese Strömung in der Kirche vertritt die Ansicht, man müsse eben dem Guten der erwähnten „Errungenschaften“ etwas abgewinnen. Der „Synodale Weg“ in Deutschland ist eine solche Be­mühung: Homosexuelle Verbindungen sollen anerkannt, die Gleichberechtigung von Frauen durch Zulassung zu den Weihen ermöglicht und die „Macht“, den Weg der Kirche zu bestimmen, demokratisiert werden. Vieles deutet darauf hin, dass sich im kommenden Jahr ein ähnlicher Prozess im Rahmen der Bischofssynode für eine synodale Kirche in Rom auf der Ebene der Weltkirche fortsetzen könnte.
Bei all dem steht die Frage im Raum: Gibt es überhaupt eine unabänderliche Wahrheit oder hängt alles von deren zeitbedingter Wahrnehmung ab? Jesus Christus jedenfalls äußert sich diesbezüglich recht  eindeutig: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, um Zeugnis für die Wahrheit abzulegen“ (Joh 18,37) Und: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben…“ (Joh 14,6) Und an anderer Stelle: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien.“ (Joh 8,31f) Und vor Seiner Himmelfahrt erteilt er Seinen Jüngern den Auftrag: „… geht zu allen Völkern … und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ (Mt 28,20)
Es ist offensichtlich, dass es dem Herrn darum gegangen ist, die Menschen mit der von Gott kommenden Wahrheit auszurüs­ten, ihnen Wege zu einem erfüllten, gelungenen Leben zu weisen – Wege, die sie aufgrund ihrer eingeschränkten Einsicht, ihrer Verführbarkeit und Gespaltenheit alleine nur schwer, wenn überhaupt finden. Wenn wir als Christen also einen Auftrag haben, so ist es der, in der Welt Zeugen dieser Wahrheit zu sein und zu diesen Wegmarkierungen zu stehen, zu Geboten und Verboten, also zu den Leitplanken, die uns vor Abstürzen bewahren.
Das macht schließlich die Attraktivität des Glauben aus: dass er Sicherheit und Orientierung bietet, eine Wahrheit, die sich erfahrbar bewährt – auch wenn ich sie nicht bis ins letzte Detail durchschaue, ja mich sogar immer wieder auch an ihr stoße. So vertraue ich doch der Wegweisung, weil ich ihren Ursprung als voll vertrauenswürdig erkannt habe. Ich mache mich nicht selbst zum Richter über die Wahrheit. Ich empfange sie dankbar – auch wenn ich mich mit ihrer Umsetzung immer wieder schwertue.
Und noch etwas ist von entscheidender Bedeutung: Die von Gott offenbarte Wahrheit ist zeitlos gültig, denn sie entspricht dem Wesen des Menschen und der Schöpfung. Menschen zu belügen, Menschen umzubringen, sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe – die selbstverständlich ein Bund von Mann und Frau ist – zu haben, sind nun einmal zu allen Zeiten Irrwege. Wer das klarstellt, ist kein Rigorist oder kleinlicher Miesmacher, sondern jemand, der jenen, die auf diesen Irrwegen unterwegs sind, sogar einen wertvollen Dienst leistet. Er ermöglicht ihnen nämlich, die Fehlausrichtung als solche zu erkennen und umzukehren. Diesen ­Dienst zu leisten, sind wir unseren Mitmenschen schuldig.
Die heutigen Versuche, den Menschen dadurch entgegenzukommen, dass man ihnen die Latte niedriger legt, macht die Kirche nur unglaubwürdig. Was gestern Sünde war, kann nicht heute ein gottgefälliges Verhalten sein. Daher führt etwa die Forderung, gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen zu segnen, die Betroffenen einfach nur in die Irre und wiegt sie in der falschen Sicherheit, den rechten Weg zu gehen. Außerdem verführt es die Jugend.
Dass viele all das heute auch in der Kirche nicht mehr klar sehen und aussprechen, hat damit zu tun, dass die Irrlehren des Zeitgeistes tiefe Breschen in das katholische Glaubensgebäude geschlagen haben. „Ich bin überzeugt, dass die sozialwissenschaftliche Grundlage dieser Lehre nicht richtig ist,“ erklärte vor Monaten ein namhafter Kardinal bezüglich homosexueller Handlungen. Das widerspricht dem, was die Kirche von jeher lehrt, und übersieht, dass die Sozialwissenschaften keine Quelle der Wahrheitsfindung, sondern ideologieanfällig sind.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen: In vielen entscheidenden Fragen stehen sich die Sichtweise der Welt und jene der Offenbarung unversöhnlich gegenüber. Es gibt keinen Brückenschlag zwischen einer Sichtweise, die die Welt als Got­tes Schöpfung ansieht, und jener, die alles als Ergebnis einer blinden Evolution ohne Gott versteht und die Welt als beliebig gestaltbare Masse ansieht. Und diese Diskrepanz tritt nun in äußerst vielen Alltagsfragen zutage.
Die große Kunst besteht nun darin, die offenbarte Wahrheit so zu transportieren, dass sie nicht besserwisserisch und verbissen daherkommt, sondern als Ausdruck der Sorge um das Wohl der Mitmenschen. Es muss spürbar sein, dass sie das Leben bereichert. Die Wahrheit ist nämlich keine nüchterne Sammlung von Vorschriften und Gesetzen. Wer sie verkündet, muss die Haltung Christi einnehmen, sich von Seinem Geist leiten lassen, sagt der Herr doch ausdrücklich, Er selbst sei die Wahrheit. Sie hat somit personalen Charakter.
Der US-amerikanische Bischof Robert Barron erklärt dies mit folgenden Worten: „Das Christentum ist keine Philosophie, keine soziale Theorie, keine Ideologie, das Christentum ist eine Beziehung zu Christus, es ist eine Freundschaft mit Ihm. Alles im Christentum bezieht sich auf diese Freundschaft und kehrt zu ihr zurück.“ Erst auf diesem Hintergrund wird die Wahrheit anziehend: Weil wir auf Jesus Chris­tus bauen, folgen wir vertrauensvoll Seinen Geboten.
Dann macht uns die Wahrheit frei, weil sie uns in Beziehung mit Jesus Christus bringt. Sie befreit uns von der Last, alles selbst gestalten zu müssen, immer perfekt zu sein. Wir dürfen ja darauf vertrauen, dass Er uns leitet und beisteht, gerade in dieser so schwierigen Zeit.


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