VISION 20001/2017
Schwerpunkt

[Schließen] [Drucken] Evangelisieren gehört zum Christsein

(Jeanne Larghero)

Leicht unterliegen wir der Versuchung, anderen das Evangelisieren zuzuschieben: dem, der auf dem Weg des Glaubens schon weiter ist oder jünger, reifer,  klüger, verfügbarer… Sehen wir doch die Evangelisation nicht als krönenden Abschluss unserer Beziehung zum Herrn an, sondern als deren Quelle! Es genügt zu sagen: „Herr, öffne meine Lippen und mein Mund wird Deinen Ruhm verkünden.“ Wer evangelisiert, lässt zu, dass sich der Heilige Geist in ihm entfalte.  (…)
Wenn ich mich aufmache, einer kleinen Gruppe von Kindern, Jugendlichen oder eben Menschen auf der Straße den Glauben nahezubringen, werde ich dann stockend einen aufgewärmten Vortrag, eine mechanische Aufzählung von Rezepten, vorbringen? Sicher nicht. Das Gesicht des lebendigen Jesus soll da neben mir aufleuchten, Sein Herz neben mir schlagen. Dieses Herz – dessen Barm­herzigkeit, Sanftmut, rettende Macht wir ja bekanntmachen wollen – wird sie erreichen, wenn es auch zu uns spricht, uns begeistert…
Daher ist die Evangelisation auch Antrieb zur Anbetung. Sie weckt das Verlangen, mit dem Herrn Zeit zu verbringen: Was hätte ich denn auch zu sagen, Herr, wenn ich Dich gar nicht kenne? Daher muss ich Dich kennenlernen, meinen Glauben nähren, lernen, ihn zu verstehen, wenn ich das Verständnis jener, die ich anspreche, wecken möchte. Dann ist Theologie nicht nur ein Gespräch von Insidern,  sondern wird zum großen Schatz, der vor mir die Stimmigkeit dessen, wofür wir Zeugnis geben, entfaltet.
Evangelisieren ist nicht die letzte Etappe des christlichen Lebens, sondern im Gegenteil dessen Quelle. Es ist eine Schule der Demut – denn all unsere Unzulänglichkeit wird offenbar –, aber auch der Heiligkeit, denn der Glaube, den wir verkünden, wird die Herzen nur berühren, wenn wir ihn selbst leben.

Jeanne Larghero ist Philosophin, unterrichtet an der „Ecole de l’amour“. Auszug aus Famille Chrétienne v. 2.10.15