Die Abfahrt von Wien am Abend eines Wochentages. Der Schlafwagen ist halb leer, die Betten sind angenehm. Am Morgen aus dem Bahnhof und schon ist man umfangen von jener milden, den Menschen zärtlich umfangenden Luft, die wohl unter anderem die allerersten Siedler bewogen haben mag, sich auf einem der sieben Hügel hier niederzulassen und nicht irgendwo im Umland. Zwei Wochen in Rom sollen es werden. Bald ist, o Wunder, eine hübsche Wohnung mit Garten gefunden, allerdings am Stadtrand und doch mit der “Metro" leicht erreichbar.
Zwei Wochen sollen es also werden und diese ohne große Pläne. Allerdings soll das, was eben in den Sinn kommt, genau und mit Gelassenheit und jenseits jeglichen Zeitdrucks nicht nur angesehen, nicht nur studiert und genossen, sondern auch erfühlt werden mit jenem Seelenorgan, mit jenem inneren Auge, das jenseits des Denkens mehr erkennt als der vordergründig agierende Verstand je zu erfassen vermag.
Zuerst “Santa Maria degli Angeli", von Michelangelo eingebaut in ein noch intaktes altrömisch-heidnisches Gemäuer innerhalb der Thermen des Diokletian. Dann das Forum und der Palatin, der Ort erster Siedler, die dort ihre kleinen Tontöpfe produzierten, als in Ägypten schon die Obeliske standen, und es entwickelt sich im Betrachter bereits ein gewisses Gefühl der Wehmut der Vergänglichkeit aller weltlichen, menschengeschaffenen Strukturen gegenüber, denn schließlich sind nicht nur die Pharaonenreiche verschwunden sondern auch das darauf folgende römische Kaiserreich und viele andere Reiche danach.
Für den Vatikan wurden anschließend zwei ganze Tage verwendet, und diese nicht etwa für die Museen, sondern bloß für die Kirche über dem Grab des Apostelfürsten. Viel Muße also. viel Zeit um zu schauen und Wesentliches, aber dem äußeren Auge verborgen bleibendes empfindend zu erfassen nicht nur im Kirchengebäude, sondern auch in dessen Umfeld.
Auf solche Weise erfaßt man nicht nur Gegenstände, Grabstätten berühmter Päpste zum Beispiel oder die Reliquienschreine hoch oben an den Säulen um den Hauptaltar, sondern auch Menschen, zuerst wohl die anderen Besucher des Gotteshauses, dann aber, und das vor allem draußen am Vorplatz und in den Säulengängen, auch Menschen, die ganz offensichtlich in den verschiedenen Büros der vatikanischen “Ministerien" beschäftigt sind. Je nach Zeitdruck bewegen sich diese Leute schnell oder langsam diesem oder jenem Eingang der vatikanischen Gebäuden zu. Der Wind kämmt schöne Falten in die Soutanen der dahineilenden jüngeren “Beamten", während ältere Herren mit einigem Rot auf ihren schwarzen Gewändern gemächlicher dahinschreiten, würdevoller eben, mag sein auch etwas verantwortungsbewußter das die Jüngeren. Und die in “Zivil" gekleideten Mitarbeiter oder auch Mitarbeiterin der verschiedenen Dienststellen geben sich deutlich würdevoller als solche, die vielleicht im Büro eines der großen Konzerne in der “via Nazionale" arbeiten mögen.
Man sitzt im Schatten der Kolonnaden, man schaut dem Hin und Her der in den vatikanischen Gebäuden Beschäftigten zu und überlegt. Man hört schließlich auf zu überlegen und beginnt, langsam aber sicher ,jene mit dem äußeren Auge eben nicht erkennbaren Gegebenheiten zu erfassen.
Also wird alsbald Unsichtbares erkannt, wie zum Beispiel “Verwaltung" oder “Organisation", beides Begriffe, die sich sonst doch nur in dem zeigen, was durch sie lebt und gedeiht. So fällt es dann bald nicht schwer, vom Begriff “Organisation" zum Begriff “Organsimus" fortzuschreiten. Und die katholische Kirche steht plötzlich vor dem inneren Auge als ein Organismus, als etwas, das lebt im wahrsten Sinn des Wortes. Und im Sitzen und Schauen wird gleichzeitig erfaßt, daß jeglicher lebendige Organismus einer Struktur bedarf. Nicht das kleinste Virus, keines der winzigen Bakterien, keine Mücke und natürlich auch kein höher entwickeltes Tier könnte ohne eine ihm innewohnende Struktur existieren, und der Mensch noch dazu weder ohne eine die Materie betreffende, noch auch eine seiner Seele eigenen Struktur.
So fällt der Blick nun wieder auf die verschiedenen vatikanischen Gebäude und man erkennt den diesen Gebäuden innewohnenden Organismus und gleichzeitig dessen Struktur, und man erkennt gleichzeitig, daß es ohne die in diesen Gebäuden webende Struktur keinen lebendigen Organismus “Katholische Kirche" geben könnte, daß Christentum “an sich" und ohne Struktur ebenso wenig lebensfähig wäre wie ein Organismus, dem die ihm als solchen innewohnende Struktur verloren geht, wie es zum Beispiel im Tod jedes Menschenleibes der Fall ist.
Und weshalb in Rom das alles und nicht in Manhattan? Ja, schließlich ist die Umgebung des Grabes des ersten von Christus persönlich eingesetzten “Kirchenverantwortlichen", des Heiligen Petrus eben, der nicht nur richtige sondern wohl auch einzig adäquate Ort jener das Dasein garantierenden Struktur, die dem lebendigen Organismus “Katholische Kirche" das ihr versprochene und in Christus gegebene immerwährende Leben ermöglicht, und alle zerstörerischen Versuche, und kämen sie von der gesamten und vereint gegen sie anrennenden Höllenmacht mit all ihren “falschen Propheten", werden sie nie und nimmer überwinden können.