VISION 20005/2014
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„… dich lieben, alle Tage meines Lebens“

Artikel drucken Die sakramentale Ehe: ihrem Wesen nach unauflösbar (Christof Gaspari)

Welcher Widerspruch: Einerseits nach wie vor das Wissen um den großen Wert der Familie für das persönliche Glück, auch unter der Jugend, andererseits das viele Scheitern von Beziehungen und eine weitverbreitete Resignation: Heute klappt das eben nicht mehr… Muss sich die Kirche anpassen?

Wer auch nur einen kurzen Blick in die Statistik wirft, erkennt: Die Familie scheint in voller Auflösung begriffen. Die Bereitschaft, eine Ehe zu schließen ist seit den 70-er Jahren um 40% gesunken. Man schaue sich im Verwandten- und Bekanntenkreis um: Rundherum lebt man in einer „Beziehung“ mit einem „Partner“. Ehe? – vielleicht später. Und was die Scheidungshäufigkeit betrifft, fasst Der Standard die österreichischen Ergebnisse für 2012 so zusammen: „Wer jetzt vor den Altar tritt, der hat ein Risiko von 43,01 Prozent, dass der Bund fürs Leben noch vor dem Tode enden wird.“ Es regiert also die Vorläufigkeit. Und diese ist kein gutes Umfeld für Kinder. Daher auch eine nie dagewesene Unlust, Kinder zu bekommen. Sie wird uns einen Rückgang der Bevölkerung um 30% von einer Generation zur nächsten bescheren!
Fazit: Beziehungen klappen weitverbreitet nicht, das Modell der lebenslangen Ehe scheint vielen nur mehr für eine Elite geeignet. Die Politik hat sich dem angepasst und fördert den Trend zusätzlich noch. Single-Status, Patch­work-Familien, alternative Partnerschaftsmodelle, Homo-„Ehe“ werden aufgewertet. Klare Vorstellungen, was Familie überhaupt bedeutet, sind passé. So liest man im SP-Grundsatzprogramm: „Wir verstehen unter Familie jede Form des dauernden Zusammenlebens in partnerschaftlicher und demokratischer Form, die den einzelnen Mitgliedern dieser Gemeinschaft Solidarität, Anteilnahme und Schutz bietet.“ Und die Grünen erklären in ihrem Parteiprogramm: „Wir Grüne verstehen als Familie Menschen, die sich selbstbestimmt dazu entschlossen haben, eine gemeinsame Lebensplanung und -gestaltung zu verfolgen.“ Komplette Verwirrung sogar bei Österreichs Familienministerin (ÖVP): „Familie ist der Ort, an dem sich mehrere Menschen zu Hause fühlen.“
Kehren wir daher zur eingangs gestellten Frage zurück: Muss die Kirche sich diesen Fakten beugen? Bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihre Lehre zu „modernisieren“, an die gesellschaftliche Realität anzupassen? Die Antwort lautet: nein! Das wäre eine Katastrophe. Sie ist ja das letzte Bollwerk, das die Würde des Menschen verteidigt, ja sogar das vertritt, was sich die meisten Menschen nach wie vor tief im Herzen wünschen: Geborgenheit in verlässlichen Beziehungen.
Kürzlich habe ich mir wieder die Ergebnisse der jüngsten Shell-Jugendstudie angeschaut. Sie basiert auf Umfragen in Deutschland im Jahr 2010. Junge Menschen wurden unter anderem gefragt, wie sie über Familie denken. Das Ergebnis? „Die Bedeutung der Familie für Jugendliche ist ein weiteres Mal angestiegen. Mehr als drei Viertel der Jugendlichen (76 %) stellen für sich fest, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben zu können.“ Und: „Wieder zugenommen hat der Wunsch nach eigenen Kindern. 69 % der Jugendlichen wünschen sich Nachwuchs…“ Das bestätigt, was die Österreichische Jugend-Wertestudie 1990/2000 ergeben hatte. Damals lag Familie mit 69% an zweiter Stelle (hinter „Freunden“), wenn die 16- bis 24-Jährigen danach gefragt wurden, welches für sie die wichtigsten Lebensbereiche seien. Bei dieser Gelegenheit konnten sie auch äußern, welche Haltungen ihrer Ansicht nach entscheidend für das Gelingen einer Ehe seien. Platz 1: die Treue (84%), deutlich vor Sex (61%).
Darum sind ja bei Hochzeiten auch die meisten Gäste berührt, haben Tränen in den Augen, bekommen einen verklärten Blick, wenn die Brautleute ihr Eheversprechen ablegen: „Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meine Frau (als meinen Mann). Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens.“ Ja, diese Worte rühren uns, weil sie unser aller tiefe Sehnsucht ansprechen: Von einem Menschen ganz angenommen zu sein – „in guten wie in bösen Tagen“ eben, „bis der Tod uns scheidet“.
Bei genauem Hinsehen erkennen wir also, dass die Katholische Kirche heute in der Öffentlichkeit der einzige Anwalt jener Anliegen ist, die den Menschen ins Herz geschrieben sind, deren Verwirklichung sie sich nur nicht zutrauen. Das ist die große Herausforderung, vor der wir Christen stehen: Die Sehnsucht der Menschen aufzugreifen, und ihnen Mut zu machen, sich auf den Weg zu begeben, sie auch zu verwirklichen.
Gerade in einer Gesellschaft, die so auf Fortschritt, Veränderung, Mobilität ausgerichtet ist, wie wir dies heute erleben, braucht der Mensch einen Ort der Geborgenheit, eine Rückzugsmöglichkeit, ein Beziehungsgeflecht, in dem man nicht Erfolge und Nützlichkeit nachweisen muss, um angenommen zu werden, einen, der Heimat bietet, komme, was da wolle. Und dieser Ort ist die christliche Familie. Dort lebt man in Beziehungen, die nicht in Frage gestellt werden können, weil sie für das Leben eingegangen werden.
Das gilt zunächst für die Ehe. Es macht überhaupt nur Sinn von Ehe zu sprechen, wenn man in ihr eine unauflösliche Beziehung sieht. Sobald sie aufgelöst werden kann, wird sie zu einer Interessengemeinschaft, an der man festhält, solange dies nützlich erscheint. Man unterwirft den Partner einem Kalkül: Wiegt der Nutzen, den er mir bringt, schwerer als die Last, die er für mich bedeutet?
Nein, sagt die Kirche, so geht das nicht. Eigentlich hast du doch den ganzen Menschen angenommen, eigentlich im vollen Be­wusst­sein, dass er nicht perfekt sondern ein schwacher, mit Fehlern und Sünden behafteter Mensch ist. Lieben heißt eben, ihn anzunehmen, wie er nun einmal ist. Nur so entsteht ein Raum zwischen euch, in dem ihr ganz aus euch heraus gehen könnt. Ihr steht nicht mehr unter dem Zwang, fortwährend eure Schokoladenseite in die Auslage stellen zu müssen. Nein, ihr könnt auch schwach sein, im Vertrauen, dass der andere euch mit­trägt und euch hilft, über die Begrenzung hinauszuwachsen. So wird die Ehe ein Weg, auf dem die Partner einander zu ihrer persönlichen Entfaltung verhelfen.
Ein Leben lang zueinander zu stehen, macht nicht nur das Leben wunderschön, es ist auch der größte Dienst, den Eltern ihren Kindern erweisen können. Das vermittelt diesen ohne große Worte die Erfahrung der Geborgenheit: Meine Eltern stehen zueinander. Sicher, sie haben Konflikte, sind aber imstande, sich auch wieder zu versöhnen. Und wenn meine Eltern miteinander durch dick und dünn gehen, werden sie sich auch mir gegenüber so verhalten.
So vermitteln die Eltern dem Kind die Botschaft: Du bist geliebt, wir stehen zu dir, wir nehmen dich an, so wie du bist: Es ist gut, dass es dich gibt. Das ist der Humus, auf dem gesunde, ausgeglichene Persönlichkeiten gedeihen. Dass heute so viele Menschen unter psychischer Belastung leiden, ist unter anderem eine Folge der weitverbreiteten Ungeborgenheit nach gescheiterten Beziehungen. Jeder Bruch erzeugt schwere Belastungen, vor allem bei den Kindern. Man lese einschlägige Untersuchungen.
Noch einmal: Die Familie ist heute das letzte Refugium, in dem die Beziehungen bedingungslos bestehen: die Ehe in „guten wie in bösen Tagen“, die Eltern-Kind-Beziehung, die alle Beteiligten ein Leben lang  – wenn auch in unterschiedlichen Gestalten – aneinander bindet.
Das ist die Herausforderung, vor der wir Christen stehen: Dieses Leitbild in unseren Familien, so gut es geht, zu verwirklichen, damit unsere Umwelt, die so viel Scheitern erlebt, Mut fassen kann, ebenfalls diesen Weg zu beschreiten. Dabei dürfen wir allerdings nicht verschweigen, dass wir es aus eigener Kraft nicht schaffen, sondern dass Gott der eigentliche Garant für den Bestand unserer Ehe ist.
So wird die sakramentale Ehe zum leuchtenden Zeichen der Liebe Gottes. Denn in der unauflösbaren, fruchtbaren Einheit von Mann und Frau leuchtet, nach einem Wort von Papst Johannes Paul II., das Geheimnis des Dreifaltigen Gottes auf.
Die Kirche kann nicht anders als sich unzweideutig zur unauflösbaren Ehe, diesem kostbaren Schatz, zu bekennen. Allerdings muss sie rasch dafür sorgen, dass dieses Sakrament in unseren Ländern nicht weiterhin zu Schleuderpreisen verhökert wird.


10 Gebote für die Ehe
 
1. Betet, betet, betet, persönlich und in der Familie.
2. Redet, redet, redet, über alles und vor allem auch über Euch.
3. Bittet immer wieder um Vergebung und vergebt einander.
4. Zeigt jeden Tag dem anderen, wie groß und wie wertvoll er ist
5. Versucht nicht, den anderen zu verändern.
6. Geht nie im Unfrieden schlafen. Gebt einander vorher ein Zeichen der Versöhnung.
7. Habt Geduld miteinander, Geduld auch mit euch selbst.
8. Setzt der Liebe niemals Grenzen, nicht in der Familie und nicht in der Gesellschaft.
9. Vergesst nie auf Zeichen der Zärtlichkeit.
10. Um sich an der Hand zu halten, ist man nie zu alt.
P. Luc Emmerich csj



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