Bisher wurde die Herkunft des Menschen durch die Begriffe "Zeugung" und "Empfängnis" sprachlich ausgedrückt. In den romanischen Sprachen gibt es darüber hinaus das Wort "Prokreation", das auf den Schöpfer hinweist, dem sich jeder Mensch zuletzt verdankt. Nun aber scheint stattdessen das Wort "Reproduktion" die Weitergabe des Menschseins am bündigsten zu beschreiben.
Das Wort Reproduktion deutet den Vorgang der Entstehung eines neuen Menschen aus den Erkenntnissen der Biologie über die Eigenschaften lebender Organismen: Ihnen kommt es zu, sich selbst reproduzieren zu können. Ein besonderer Nachdruck liegt auf der Invarianz: Der einmal gegebene genetische Code wird unverändert immer neu reproduziert. Jedes neue Individuum ist eine genaue Wiederholung der gleichen "Botschaft". Reproduktion verweist auch auf den mechanischen Charakter, in dem sich solche Nachbildung vollzieht. Jerome Lejeune hat es kurz so formuliert: "Sobald die 23 väterlichen Chromosomen, die vom Spermatozoon herbeigebracht werden, und die 23 mütterlichen, im Ei getragenen, vereinigt sind, ist die gesamte Information versammelt, die nötig und ausreichend ist, um die genetische Konstitution des neuen menschlichen Seins zu bestimmen."
Die Reproduktion der Spezies Mensch vollzieht sich durch die Vereinigung zweier Informationsbänder, können wir also ganz grob abkürzend sagen. Die Richtigkeit dieser Beschreibung steht außer Zweifel, aber ist sie auch vollständig? Zwei Fragen drängen sich hier unvermittelt auf: Ist das so reproduzierte Wesen nur ein weiteres Individuum, ein reproduziertes Stück der Spezies Mensch - oder ist es mehr: eine Person, d.h. ein Wesen, das einerseits unveränderlich das Gemeinsame der Gattung Mensch darstellt und andererseits doch etwas Neues, Einzigartiges, nicht Reproduzierbares ist, mit einer Einmaligkeit, die über die bloße Individuation des gemeinsamen Wesens hinausgeht?
Wenn dies, woher rührt diese Einmaligkeit? Damit hängt die zweite Frage zusammen: Wie kommen die beiden Informationsbänder zueinander?
Die Antwort scheint zunächst das Selbstverständlichste von der Welt: Die beiden einander ergänzenden Informationen kommen zueinander durch die Vereinigung von Mann und Frau, durch ihr "Ein-Fleisch-Werden", wie die Bibel es ausdrückt. Der biologische Vorgang der Reproduktion ist eingehüllt in einen personalen Vorgang der leib-seelischen Zuwendung zweier Menschen. Dadurch, daß es gelungen ist, im Laboratorium sozusagen den biochemischen Teil des Ganzen zu isolieren, ist aber nun die Frage entstanden: Wie notwendig ist dieser Zusammenhang? Ist er dem Geschehen als solchem wesentlich, soll und muß es so sein, oder handelt es sich nur um eine List der Natur, die den Trieb der Menschen zueinander so ähnlich verwendet, wie sie im pflanzlichen Bereich den Wind als Transportmittel des Samens benützt oder die Bienen? Hier erheben sich unterschiedliche Gegenfragen: Kann man das Zueinander von Mann und Frau als bloßen Naturvorgang bezeichnen? Oder muß man genau umgekehrt sagen: Mit der Liebe zweier Personen und der geistigen Freiheit, aus der sie kommt, tritt eine neue Dimension des Wirklichen in Erscheinung, der es dann entspricht, daß auch das Kind nicht bloße Wiederholung invarianter Informationen, sondern Person ist, in der Neuheit und Freiheit des Ich, das ein neues Zentrum in der Welt bildet? Und ist nicht einfach blind, wer dies Neue leugnet und das All auf reine Mechanik reduziert?
Offensichtlich kann man heute den biochemischen Vorgang im Laboratorium isolieren und so die beiden Informationen zueinander bringen. Die Verbindung mit dem geistig-personalen Geschehen ist also nicht durch jene Art von "Notwendigkeit" zu definieren, die im physikalischen Bereich gilt: Es geht auch anders. Aber die Frage ist, ob es nicht eine andere Art von "Müssen" gibt als die bloß naturgesetzliche ...
Die Alternative, vor der wir heute stehen, läßt sich nun sehr präzis formulieren: Man kann entweder nur das Mechanische, das Naturgesetzliche als wirklich ansehen und alles Personale, die Liebe, das Schenken als schönen Schein betrachten, der psychologisch nützlich, aber letztlich irreal und unerheblich ist. Ich finde für diese Position keine andere Bezeichnung als: Leugnung des Menschen. Ordnet man sich dieser Logik unter, dann wird selbstverständlich auch der Gottesbegriff zur mythologischen Rede ohne Realitätsgehalt.
Daneben steht aber - die andere Alternative - der genau umgekehrte Weg: Man kann das Personale als die eigentliche, stärkere und höhere Wirklichkeitsform betrachten, die das andere - das Biologische und das Mechanische - nicht zum Schein macht, aber es in sich aufnimmt und ihm so eine neue Dimension erschließt.
Dann erhält nicht nur der Gottesbegriff Sinn und Bedeutung. Dann erscheint auch der Naturbegriff in neuem Licht, weil Natur dann nicht nur eine zufällig sinnvoll funktionierende Anordnung von Buchstaben und Zahlen, sondern eine moralische Botschaft in sich trägt, die ihr vorausgeht und die auf den Menschen zugeht, um in ihm Antwort zu finden.
Es liegt in der Natur der Sache, daß über das Recht der einen oder der anderen Grundentscheidung nicht im Labor entschieden werden kann. Über die Selbstbestreitung des Menschen kann der Mensch nur entscheiden, indem er sich entscheidet: sich anzunehmen oder sich abzuschaffen.
Auszug aus "Der Mensch zwischen Reproduktion und Schöpfung" in "Communio" 1/1989
Wir reduzieren die Dinge auf bloße Natur, bloße Tatsachen, damit wir sie erobern können. Es ist der alte Pakt mit dem Magier: Gib mir deine Seele, und du wirst dafür Macht erhalten. Aber haben wir unsere Seele, das heißt unser Selbst einmal aufgegeben, wird die so eingetauschte Macht nicht mehr uns gehören. Es liegt in des Menschen Macht, sich selbst als bloß "natürliches Objekt" zu verstehen. Der Einwand liegt darin, daß der Mensch, der sich selbst als Rohmaterial verstehen will, auch Rohmaterial wird."
"Die Abschaffung des Menschen" C.S. Lewis