Sinkende Zahlen beim Gottesdienstbesuch und Kirchenaustritte prägen vielfach das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit: Gleichzeitig gibt es aber auch eine große Zahl von Bekehrungen: Menschen finden zu Gott. Sie beginnen ein neues Leben, in dem Jesus Christus an erster Stelle steht. Arnulf Fleißner, ein Kärntner Bergbauer, ist einer von ihnen. Seine Geschichte zeigt, daß Christsein nichts mit weltfremder Frömmelei zu tun hat, sondern Freude und Dynamik in den Alltag bringt und Kraft gibt, auch schwerstes Leid zu tragen.
Über viele Kehren führt die Straße aus dem Drautal in Oberkärnten hinauf auf den Emberg. Dort liegt auf einer Höhe von 1000 Metern der Fleißner-Hof. Er ist seit Generationen in Familienbesitz: ein altes Haus unter Verwendung von viel Holz gebaut, umgeben von Wiesen und Bäumen. Ein Hund, Hühner, neben dem Haus wird Holz geschnitten. Innen ist es schön ausgebaut, mit Lärchenholz getäfelt.
Arnulf Fleißner erwartet mich. Ich hatte mich telefonisch angekündigt. "Lang bist´ nit da g´wesen." Aber war es nicht gestern? Es ist alles so vertraut bei ihm. Er geht auf Mitte sechzig zu. Mein erster EIndruck, nachdem ich ihn mehrere Jahre nicht gesehen habe: ein ruhiger, verinnerlichter, demütiger Mann, gut aussehend, fesch möchte man sagen. Klugheit und Güte sprechen aus seinen Augen. In seiner Nähe überkommt mich immer eine gewisse Scheu. Wir setzen uns. Seine Frau Edith wird wie selbstverständlich in das Gespräch einbezogen. Ich spüre: Die beiden verstehen einander sehr gut. Darauf angesprochen, bestätigen sie, daß sie gerade in den letzten Jahren immer deutlicher eine tiefe geistige Übereinstimmung erleben, Ergebnis eines jahrzehntelangen gemeinsamen Miteinander- und Aufeinander-zu-Wachsens.
Das war nicht immer so. Die Fleißners waren keineswegs immer gläubge Menschen. Schon in der Hauptschule hatte Arnulf die Beziehung zum Glauben verloren. Aus einer Art Familientradition heraus war er als 13jähriger vom Anschluß begeistert: "Mit 14 Jahren war ich überzeugt, ich könne von nun an das Leben allein mit dem Verstand meistern." Die Kriegsjahre bringen zunächst harte Arbeit am Hof. Dann freiwillige Meldung zum Militär, als Pilot - ein Ziel, das er mit Fleiß und verbissener Ausdauer erreicht. Aber bald schon erlebt er die Verdrehung und Entmenschlichung seiner nationalsozialistischen Ideale. Im Abwehrkampf gegen die Russen wird er am Knie schwer verletzt. Flucht nach Westen, Gefangenschaft, Heimkehr.
Und dann Neubeginn in der Heimat. Nachdem er Edith geheiratet hat, übergibt ihm sein Vater den Hof am Emberg. Wie schwer aber ist die Bewirtschaftung auf Hängen, die oft steiler als 70 Prozent sind! Verständlich, daß sich der junge, technisch versierte Mann auf die Entwicklung und den Einsatz von Spezialgeräten stürzt. Schon bald wird eine Bergbauerngemeinschaft gegründet, die erste in Kärnten. Auf dem Fleißner-Hof werden die verschiedensten Geräte vorgeführt - zum Vergleich ihrer Leistungsfähigkeit, oft vor Hunderten von Interessierten.
Zehn Jahre Engement als Aufsichtsrats-Vorsitzender in der Genossenschaft haben viel Zeit, viel Energie gekostet. Es blieb wenig Zeit für die Familie. "Ich arbeitete und studierte; ich plante, zeichnete und berechnete; ich versuchte, und ich schrieb ... ". Heute sieht er diese Jahre von seinem unbändigen Drang, alles besser machen zu wollen, geprägt. Auch sonntags wurde bei den Fleißners selbstverständlich "geschafft". Mit der Arbeit kam man dennoch nicht nach, hatte aber mit Schulden zu kämpfen. Sicher - es gab eine Fülle von Teilerfolgen, die Zufriedenheit schenkten. Aber es fehlte die innere Ruhe.
Die ganze Zeit über war Amulf auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Vieles aus dem "Angebot" der westlichen und östlichen Religionen hatte ihn interessiert.
Sein prüfender Verstand aber hielt ihn immer wieder von einem tieferen Engagement ab. Der Tod des Vaters leitet eine Wende ein. Er beginnt für ihn zu beten, wendet sich dabei an Gott, an den er noch nicht wirklich glauben konnte. Das einzige, was er damals sagen konnte, war: "Gott, wenn es Dich gibt ..."
Ein Jahr danach geht er zum ersten Mal seit Jahrzehnten beichten - ein tiefes Erlebnis, das ihn aber immer noch nicht in die Kirche zurückführt. Die Teilnahme an einem dreitätigen Glaubenskurs, einem "Cursillo", eröffnet den Durchbruch in seinem Leben: Die Sehnsucht nach einem lebendigen Glauben erwacht unbändig in ihm. Er geht wieder regelmäßig in die Kirche, beginnt mit einem sakramentalen Leben - aber immer noch hat sein Verstand letzte Barrieren in den Weg gestellt.
Und diese räumt Gott in einmaliger Weise beiseite: "Es ist Sonntagabend. Gerade habe ich mich umgezogen und bin in den Stall gegangen. Wie seit Jahrzehnten ... In diesem Augenblick fängt es an, das Unfaßbare: ein unerhörtes Geschehen in einer Lebensordnung, für die ich weder Sinne noch Sprache habe und vor der mein Verstand einfach aufhört. - Eine unaussprechliche Glückseligkeit, welche alle meine Sinne über die höchstmöglichen Erfahrungsgrenzen hinweg reißt und blind werden läßt ... Und dann bin ich ein neuer Mensch. Ein befreiter, unsagbar glücklicher Mensch - ein wissender Mensch: Gott ist, und es ist alles wahr!"
In den nächsten Wochen darf er diese Gottesgewißheit und das Verkosten der Seligkeit noch neunmal erleben. Gott selbst vollendet Arnulfs Bekehrung. Und damit war alles anders geworden. Die Probleme waren zwar nicht weggewischt, aber es eröffnete sich eine unfaßbar neue Sicht auf das Leben. Mit Heißhunger stürzte sich Arnulf nun auf religiöse Literatur, die ihm half, verstandesmäßig das nachzuvollziehen, was in seinem Herzen geschehen war. Besonders wichtig für die weitere Entwicklung aber war der Umstand, daß auch Edith auf einem Cursillo zum lebendigen Gott fand. Und so wird die Erneuerung ihrer Ehe ein Grundstein für ihren weiteren Lebensweg. Wo die Ehe nämlich spirituell auf ein Ziel, auf Jesus Christus ausgerichtet ist, wächst eine religiöse Intimsphäre, die neue Dimensionen der Begegnung mit dem Partner eröffnet. Das Leben wird dann einfacher. Es spießt sich nicht an jeder Kleinigkeit. Neu wurde auch Arnulfs Einstellung zur Arbeit. Mit Gott arbeite man eben anders, meint er. Man lerne, auch das Unangenehme anzunehmen. Er hatte seit jeher die Holzarbeit unleidlich gefunden. Über die Jahre fing er an, seinen Unwillen aufzuopfern - und sich auch mit diesem Tun anzufreunden. Mit der Sonntagsarbeit war es aus. Dennoch kommt er seither besser zurecht, vor allem auch, weil die Ansprüche nicht mehr so hoch gesetzt werden.
Die Umgebung, die seine Umkehr erlebt hatte, war skeptisch. "Wann wird ihm wohl die Luft ausgehen?", fragten sich wohl die meisten. Aber er blieb auf seinem Weg - nicht zuletzt deswegen, weil mehrere Männer und Frauen aus seiner Nachbarschaft ebenfalls auf den Weg der Erneuerung ihres Glaubens stießen. Mit einer Gruppe von ihnen trifft sich Arnulf seither regelmäßig, um sich gegenseitig im Glauben zu stärken und zu stützen.
War er bisher in der Gemeindearbeit stark engagiert, so konzentriert er sich nach seiner Bekehrung mehr auf das Wirken im Reich Gottes, wird Pfarrgemeinde- und Diözesanrat, sowie Mitarbeiter der Cursillo-Bewegung in Kärnten.
Das heißt aber keineswegs, daß er sich nicht weiterhin für die Anliegen seiner Gemeinde interessiert. Als ein Fremdenverkehrsgroßprojekt (mit guten politischen Verbindungen) auf den Almen seiner Gemeinde verwirklicht werden soll, engagiert er sich vehement in den "Abwehrkampf", studiert Gesetze, entwirft eine eigene Strategie - und scheitert zunächst. Enttäuscht, übergibt er eines Tages den verfahrenen Karren im Gebet in die Hände Gottes und verzichtet auf die eigenen Vorstellungen. Das bringt nicht nur ihm inneren Frieden - es eröffnet auch einen Ausweg: Das Projekt verläuft im Sand.
Die 20 Jahre seit seiner Umkehr waren aber auch Zeiten leidvoller Erfahrungen: Ein Jahr lang Arbeitsunfähigkeit infolge von Schmerzen in den Armen und im Oberkörper, gegen die die ärztliche Kunst hilflos war, und der Tod des Hoferben bei einem Autounfall fordern den Glauben der Fleißners heraus - vertiefen ihn aber auch durch die erfahrbare, heilende Nähe Gottes.
Heute hat Arnulf den Hof längst schon an einen anderen Sohn übergeben. Er läßt den Jungen freie Hand, das spüre ich. Jetzt ist eben der Sohn der Bauer, der Herr auf dem Hof. Aber im Umgang mit den Eltern sehe ich auch den Respekt der Jungen, merke, daß Jung und Alt einander gegenseitig annehmen.
Aus den meisten Aktivitäten hat sich Arnulf zurückgezogen, ist aber dennoch am laufenden. Ein Computer für Textverarbeitung steht in seinem Zimmer - Zeichen dafür, daß er technisch am neuesten Stand geblieben ist.
Nicht nur zahlende Gäste, die ihren Urlaub bei den Fleißners verbringen, trifft man auf dem Bergbauernhof. Viele Freunde und Bekannte suchen am Emberg Rat beim Arnulf, der zu einer Anlaufstelle für fragende und sorgenbeladene Menschen geworden ist, weil er sowohl im praktischen als auch im geistig-geistlichen Leben Bescheid weiß. Dieser begnadete Mann kann stundenlang zuhören, wenn es notwendig ist - auch meinen persönlichen Anliegen. Und er kann aus sich herausgehen, voller Mitgefühl - aber auch herzlich und schallend lachen.
Nach drei Stunden verabschiede ich mich. Obwohl er Fieber hatte, nahm er sich so lange für mich Zeit. Noch ein Blick auf´s Drautal, das Haus, den Kuhstall, die steilen Wiesen und dann talwärts Richtung Greifenburg ...
Über seinen Lebensweg hat Arnulf Fleißner im Veritas-Verlag ein Buch veröffentlicht: "Wen Gott anspricht - Vom Nationalsozialismus zum Glauben"