VISION 20001/1989
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Der einzige Gesunde: Ein Schwerstbehinderter

Artikel drucken (Martha Paster)

Er warein Wunschkind - kam aber schwer körper behindert zur Welt. Er konnte nicht gehen, war bewegungsunfähig. Er mußte ganz starke Brillen tragen, konn­te sich nicht aufsetzen, mußte ge­schneuzt werden, ja konnte sich nicht einmal die Haare aus dem Gesicht streichen... Man mußte jeden Handgriff für ihn machen. Er lebte bei seinen Eltern und kam nur selten aus dem Haus. Meist nur dann, wenn mein Mann ihn zu den Treffen der "Fraternität der Kranken und Behinderten" einmal im Monat holte. Dann war er im Rollstuhl angeschnallt und ist ganz er­bärmlich darin gehangen.

Wenn der Robert hereingeführt wurde, war es, als ob die Sonne aufginge. Er hatte eine ganz be­sondere Ausstrahlung. Einmal haben wir ihn gefragt, wie es ihm und seiner Familie ginge. "Momentan bin ich der einzige Gesunde zuhause", war seine Antwort. Ob er immer schon imstande war, sein derartig eingeschränk­tes Leben zu akzeptieren, woll­ten wir einmal wissen. "Nein", war seine Antwort. Mit 18 war er total verzweifelt, sah überhaupt keinen Sinn in seinem Leben. Damals wollte er sich umbrin­gen. Aber nicht einmal dazu war er imstande. Und seine Eltern hätten das nie getan, weil sie ihn wirklich liebten.

Daraufhin begann der Bursch, danach zu suchen, was der Sinn seines Lebens sein könnte. Und er hat ihn dadurch gefunden, daß er die Leute rund um sich zu beobachten begann: Wie verhielten sich die Eltern, die Leute, von denen sie erzählten, und jene, die ins Haus kamen. Und dabei fand er heraus, was den meisten fehl­te: das Verständnis füreinander, die Geduld miteinander, die Liebe zueinander.

Und so beschloß er, diese Werte selbst zu leben. Er hat mit Klei­nigkeiten angefangen. Wenn er etwa las, rief er nicht sofort um Hilfe beim Umblättern, wenn er mit einer Seite fertig war, son­dern begann darauf zu achten, ob die Menschen in seiner Umge­bung Zeit hatten ...

Und damit setzte eine Entwicklung ein, die ihn zu einer Persön­lichkeit werden ließ. Immer wie­der haben sich Menschen zu ihm gesetzt - einfach um bei ihm auf­zutanken.

Vor allem aber ist der junge Mann auf diesem Weg Gott be­gegnet. Er sah diesen nicht mehr als den Bösen, der ihm ein sol­ches Leid zugemutet hatte, an. Er erkannte vielmehr, daß auch die­ses leidvolle Leben voll Sinn vor Gott und für die Menschen war. Und genau das hat man an ihm gespürt.

Seine Mutter hatte sich immer wegen der Zukunft gesorgt. Wer würde den Sohn betreuen, wenn sie nicht mehr könnte? Oft hat Robert sie getröstet: "Schau, es geht uns doch jetzt gut. Wozu sorgst Du Dich wegen übermorgen. Gott wird für uns sorgen."

Und tatsächlich: Seine Mutter ist plötzlich gestorben. Was würde nun mit diesem jungen Mann geschehen? Eine Nachbarsfa­milie, die gerade in Frühpension gegangen war, übernahm die Betreuung. Sie haben ihn fünf oder sechs Jahre gepflegt, alles für ihn getan, jeden Handgriff! Mit 44 Jahren ist Robert gestor­ben. Bei seinem Tod hat alles um ihn getrauert. Kein einziger hätte gesagt, er sei nun endlich erlöst worden, er habe ja von seinem Leben nichts gehabt. Im Gegen­teil viele betrauerten den Verlust - auch die Familie, die ihn betreut hatte.

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