VISION 20001/1989
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Die Mitte stärken

Artikel drucken (Arnulf Fleißner)

In unserer Kirche sind so viele Millionen Menschen heilig, also vergöttlicht worden. Fern­stehende, Suchende und Un­gläubige "guten Willens" fin­den in unserer Kirche zu Gott, und damit zum ganzen Sinn und Glück ihres Lebens. Die Heilige Schrift, die mündliche Überlieferung und die überein­stimmende Erfahrung unserer Heiligen geben uns die auf Erden größtmögliche Sicher­heit, daß wir dem Lehramt un­serer Kirche vertrauen können - mehr als manchen ungeduldi­gen und widersprüchlichen pri­vaten Theologien.
Und wenn eine Offenbarungs­wahrheit im wachsenden Licht des Heiligen Geistes noch bes­ser erkennbar werden soll, dann erwarten wir auch das mit ruhi­ger Zuversicht von unserem Lehramt. Wenn eine solche bessere Erkenntnis reif, durch­litten und geläutert ist, wird sie zu einer guten Zeit und behut­sam von unserer Kirche ange­boten werden. Öffentliche Theologie muß darauf Bedacht nehmen, nicht für die "Kleinen" zum "Ärgernis" zu werden.
Ich möchte gern eine Bitte an unsere Theologen aussprechen: Helft uns bitte weiterhin, die of­fiziell gültige Glaubenslehre immer tiefer und umfassender zu verstehen. Ich bin Euch von Herzen dankbar für viele große, wertvolle Gedanken. Doch möchtet Ihr bei jenen überlie­ferten Glaubensschätzen, die Ihr selbst nicht (oder nicht mehr, oder noch nicht) anneh­men könnt, Eure Zweifel und Eure eigenen Auslegungsver­suche bitte für Euch selbst be­halten.
So könnt Ihr unseren Glauben bereichern, ohne uns zu scha­den und ohne uns in Parteiun­gen zu spalten. Jesus würde vielleicht sagen, daß Ihr so in der Liebe bleibt.
Ein zweiter Gedanke: Die Mitte stärken!
Es geht um eine ganz breite Mitte, die wir um Christus bil­den sollten. Ich stütze mich dabei auch auf Aussagen von Kardinal Franz König: Bilden wir eine breite Mitte in der Glaubenslehre, in der Gottes- ­und Nächstenliebe und in unse­rer Kirchlichkeit.
Es gibt genug gescheite und vehemente Verfechter dieses oder jenes Flügels. Unsere Kir­che braucht das "konservative" und das "progressive" Element. Beide sind für die Kirche gleich lebensnotwendig - aber nur mit- und nicht gegeneinander! Was der Kirche heute so sehr schadet, das sind die "Aggres­siven" - und zwar auf beiden Seiten.
Eine Seite macht Front gegen die Hierarchie und die andere gegen die Handkommunion, die eine gegen die Befreiungs­theologie und die andere gegen die Glaubenskongregation ... Man könnte weinen über diese selbstzerstörerische, allzu ­menschliche Ereiferung. Wo bleibt da Gott?
Wenn wir - vom Laienmitar­beiter bis zum Bischof - eine so breite Mitte bilden, daß bei uns konservativ und progressiv in der Liebe Christi voll ange­nommen sind, dann können sich beide Flügel - ausgenom­men die ganz Extremen - bei uns treffen und Heimat finden. Damit können wir jetzt der Kirche Christi den größten Dienst leisten.
Manche Aggressivität kommt aus einer überzogenen und ent­täuschten Erwartung gegenü­ber der Kirche. In manchen Augen müßte sie schon auf Erden eine Gralsgemeinschaft sein. Schon die Katharer haben die Irrlehre von einer Kirche der Reinen aufgestellt.
Welche Antwort formuliert der Glauben selbst? Es ist die Bot­schaft und die Erfahrung von der Gotteskraft im menschli­chen Versagen.
Die Kirche wächst immer aus göttlichem und menschlichem Element zusammen. Sie ist nicht nur von Christus her gött­lich, sondern immer auch vom Menschen her feig, träge, har­herzig und sündig, also eine Kirche von Heiligen und Sün­dern.
Wenn so ein riesiges Volk wie die Kirche zwei Jahrtausende unterwegs ist, dann gibt es ent­lang des Weges viel menschli­chen Irrtum, Versagen und Ab­fall. Wir haben, weiß Gott, ei­nen schweren Rucksack aus der Vergangenheit mitzuschlep­pen. Aber wenn wir vor dem Abfallhaufen einer Stadt ste­hen, können wir doch auch nicht sagen: Diese Stadt ist dreckig, welch Skandal!
Wenn mir einer drei miserable Päpste aufzählt, dann kenne ich mindestens zehn. Ich habe aber von den 267 bisherigen Päpsten auch die 100 rechtschaffenen und die 150 heiligmäßigen Päp­ste gefunden: Angefangen von den ersten 20, die durchwegs den Märtyrertod gestorben sind bis zu letzten Päpsten, die ich noch kannte und die alle heilig­mäßig waren (Pius XII, ein Heiliger der Askese; Johannes XXIII, ein Heiliger der Liebe; Paul VI, ein Märtyrer für die Unterscheidung der Geister in der nachkonziliaren Kirche; Johannes Paul I, in dessen ein­facher Väterlichkeit das Gut­sein Christi viel zu kurz aufge­leuchtet ist). Die Kirchenge­schichte der Skandale wird auf­gewogen von der Kirchenge­schichte der Heiligen. Die dun­kle Spur wird überstrahlt von der Lichtspur, die sich wie der Finger Gottes selbst durch die ganze Kirchengeschichte zieht.

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