In unserer Kirche sind so viele Millionen Menschen heilig, also vergöttlicht worden. Fernstehende, Suchende und Ungläubige "guten Willens" finden in unserer Kirche zu Gott, und damit zum ganzen Sinn und Glück ihres Lebens. Die Heilige Schrift, die mündliche Überlieferung und die übereinstimmende Erfahrung unserer Heiligen geben uns die auf Erden größtmögliche Sicherheit, daß wir dem Lehramt unserer Kirche vertrauen können - mehr als manchen ungeduldigen und widersprüchlichen privaten Theologien.
Und wenn eine Offenbarungswahrheit im wachsenden Licht des Heiligen Geistes noch besser erkennbar werden soll, dann erwarten wir auch das mit ruhiger Zuversicht von unserem Lehramt. Wenn eine solche bessere Erkenntnis reif, durchlitten und geläutert ist, wird sie zu einer guten Zeit und behutsam von unserer Kirche angeboten werden. Öffentliche Theologie muß darauf Bedacht nehmen, nicht für die "Kleinen" zum "Ärgernis" zu werden.
Ich möchte gern eine Bitte an unsere Theologen aussprechen: Helft uns bitte weiterhin, die offiziell gültige Glaubenslehre immer tiefer und umfassender zu verstehen. Ich bin Euch von Herzen dankbar für viele große, wertvolle Gedanken. Doch möchtet Ihr bei jenen überlieferten Glaubensschätzen, die Ihr selbst nicht (oder nicht mehr, oder noch nicht) annehmen könnt, Eure Zweifel und Eure eigenen Auslegungsversuche bitte für Euch selbst behalten.
So könnt Ihr unseren Glauben bereichern, ohne uns zu schaden und ohne uns in Parteiungen zu spalten. Jesus würde vielleicht sagen, daß Ihr so in der Liebe bleibt.
Ein zweiter Gedanke: Die Mitte stärken!
Es geht um eine ganz breite Mitte, die wir um Christus bilden sollten. Ich stütze mich dabei auch auf Aussagen von Kardinal Franz König: Bilden wir eine breite Mitte in der Glaubenslehre, in der Gottes- und Nächstenliebe und in unserer Kirchlichkeit.
Es gibt genug gescheite und vehemente Verfechter dieses oder jenes Flügels. Unsere Kirche braucht das "konservative" und das "progressive" Element. Beide sind für die Kirche gleich lebensnotwendig - aber nur mit- und nicht gegeneinander! Was der Kirche heute so sehr schadet, das sind die "Aggressiven" - und zwar auf beiden Seiten.
Eine Seite macht Front gegen die Hierarchie und die andere gegen die Handkommunion, die eine gegen die Befreiungstheologie und die andere gegen die Glaubenskongregation ... Man könnte weinen über diese selbstzerstörerische, allzu menschliche Ereiferung. Wo bleibt da Gott?
Wenn wir - vom Laienmitarbeiter bis zum Bischof - eine so breite Mitte bilden, daß bei uns konservativ und progressiv in der Liebe Christi voll angenommen sind, dann können sich beide Flügel - ausgenommen die ganz Extremen - bei uns treffen und Heimat finden. Damit können wir jetzt der Kirche Christi den größten Dienst leisten.
Manche Aggressivität kommt aus einer überzogenen und enttäuschten Erwartung gegenüber der Kirche. In manchen Augen müßte sie schon auf Erden eine Gralsgemeinschaft sein. Schon die Katharer haben die Irrlehre von einer Kirche der Reinen aufgestellt.
Welche Antwort formuliert der Glauben selbst? Es ist die Botschaft und die Erfahrung von der Gotteskraft im menschlichen Versagen.
Die Kirche wächst immer aus göttlichem und menschlichem Element zusammen. Sie ist nicht nur von Christus her göttlich, sondern immer auch vom Menschen her feig, träge, harherzig und sündig, also eine Kirche von Heiligen und Sündern.
Wenn so ein riesiges Volk wie die Kirche zwei Jahrtausende unterwegs ist, dann gibt es entlang des Weges viel menschlichen Irrtum, Versagen und Abfall. Wir haben, weiß Gott, einen schweren Rucksack aus der Vergangenheit mitzuschleppen. Aber wenn wir vor dem Abfallhaufen einer Stadt stehen, können wir doch auch nicht sagen: Diese Stadt ist dreckig, welch Skandal!
Wenn mir einer drei miserable Päpste aufzählt, dann kenne ich mindestens zehn. Ich habe aber von den 267 bisherigen Päpsten auch die 100 rechtschaffenen und die 150 heiligmäßigen Päpste gefunden: Angefangen von den ersten 20, die durchwegs den Märtyrertod gestorben sind bis zu letzten Päpsten, die ich noch kannte und die alle heiligmäßig waren (Pius XII, ein Heiliger der Askese; Johannes XXIII, ein Heiliger der Liebe; Paul VI, ein Märtyrer für die Unterscheidung der Geister in der nachkonziliaren Kirche; Johannes Paul I, in dessen einfacher Väterlichkeit das Gutsein Christi viel zu kurz aufgeleuchtet ist). Die Kirchengeschichte der Skandale wird aufgewogen von der Kirchengeschichte der Heiligen. Die dunkle Spur wird überstrahlt von der Lichtspur, die sich wie der Finger Gottes selbst durch die ganze Kirchengeschichte zieht.