VISION 20004/1989
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Viel Glaube und ein wenig Humor

Artikel drucken Ein Interview mit dem für die Erneuerung weltweit zuständigen Kardinal Leo Suenens

VISION 2000: Wir stehen heute nicht nur in Österreich - vor relativ heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche. Haben diese auch etwas Gutes an sich?

Kardinal Leo Suenens: Hier ha­ben wir einfach die Frage nach der Entwicklung der Kirche angeschnitten. Zuerst einmal geht es darum, daß wir Christen lemen, alle in diesselbe Richtung zu blicken. Einander zu lieben, heißt nicht, daß wir nur gegensei­tig aufeinander schauen, sondern daß wir gemeinsam in diesselbe Richtung Ausschau halten.

VISION 2000: Was hat das mit der gegenwärtigen Auseinan­dersetzung zu tun?

Suenens: Es geht darum, die Christen dazu zu animieren, sich folgender Frage zu stellen: Was ist die Kirche ihrem tiefsten We­sen nach? Die Kirche ist ein Ge­heimnis. Wenn wir von ihr spre­chen, so müssen wir erst einmal klarstellen, von welcher Kirche wir überhaupt reden.

VISION 2000: Gibt es diesbezüg­lich Mißverständnisse?

Suenens: Wir haben unter­schiedliche Ebenen der Betrach­tung. Es gibt die Kirche in ihrer historischen und soziologischen Ausprägung. Da sehen wir die Menschen, schwache Men­schen. Wir alle tragen Schätze in zerbrechlichen Gefäßen. Diesel­be Kirche ist aber auch eine sa­kramentale Wirklichkeit. Von dieser Warte aus gesehen, stellt sie die Fortsetzung des Geheimnisses der Menschwerdung unse­res Herrn dar: Es ist Christus, der tauft, der die Eucharistie feiert, der die Sünden vergibt ...
Und es gibt noch ein tieferes Verständnis. Weil Christus uns den Heiligen Geist zugesagt hat, haben wir es auch mit der vom Heiligen Geist bewegten, pfingstlichen Kirche zu tun.

VISION 2000: Beschränken sich nun die gegenwärtigen Ausein­andersetzungen Ihrer Meinung nach allzu sehr auf eine vorder­gründige, institutionelle Be­trachtung?

Suenens: Zweifellos. Wir star­ren uns dauernd gegenseitig an, sehen nur das Menschliche. So aber kommen wir nicht aus den Querelen heraus. Menschlich ge­sehen besteht die Kirche nun einmal aus Menschen, die mehr oder weniger gute Eigenschaften haben. Von Zeit zu Zeit gibt es großartige Päpste - freuen wir uns darüber. Aber es gab auch Zeiten, wo dies keineswegs der Fall war. Wir müssen einfach die menschliche Schwäche zur Kenntnis nehmen. Was mich da tröstet: Wenn Sie den Stammbaum Jesu anschauen, so finden Sie recht armselige Leute. Ähn­lich geht es mir, wenn ich die Ge­schichte der Apostel anschaue. Sie ist nicht gerade ruhmreich. Wir müssen klarstellen, was unser Fundament als Christen ist: Der Christ ist ein vom Glauben seiner Taufe bewegter, von der Eucharistie genährter, durch die Gnade von Pfingsten erneuerter Zeuge Christi. Das·ist unsere Identitätskarte.
Jeder von uns ist aufgerufen, sich ernsthaft zu fragen, ob er die Konsequenzen aus diesen Besonderheiten des Christseins gezogen hat.
Es geht also um die Art, wie wir die Sakramente der Taufe, der Firmung und der Eucharistie und die von ihnen ausgehenden Gna­den leben. Und darauf sollten wir Christen uns konzentrieren: Be­trachten wir doch, was Gott in uns bewirkt.

VISION 2000: Hält man Sie nun mit solchen Ansichten eher für "konservativ" oder für "pro­gressiv"?

Suenens: Im allgemeinen gelte ich als eher links stehend. Aber wissen Sie, es werden sich immer Leute finden, neben denen Sie als "Linker" erscheinen. Ich möchte Ihnen auf Ihre Frage diesselbe Antwort geben, die ich am Kon­zil jemandem gab, der mich ähn­liches gefragt hat: Ich bin extre­me Mitte. Damit meine ich, daß ich beides bin.

VISION 2000: Was braucht die Kirche also heute in besonderem Maß?

Suenens: Man hat mich das ein­mal in Amerika bei einer Presse­konferenz gefragt. Und meine Antwort war damals wie heute: Wir brauchen Glauben und ein wenig Humor. Letzterer hilft uns, die eigenen Begrenzungen und die der anderen zu ertragen. Wir müssen einen neuen Blick auf unsere Welt werfen und er­kennen, daß sie derzeit vom christlichen Standpunkt aus be­trachtet in einem recht jämmerli­chen Zustand ist. Kürzlich habe ich eine Statistik gesehen. In Frankreich gibt es 200.000 Kate­cheten (was übrigens großartig ist!). Man hat sie gebeten, den Kindern, die sie unterrichten, die Frage zu stellen: Wer von euch hat schon zuhause von Jesus Christus erzählen gehört? 70 Prozent hatten vorher noch nie von Jesus gehört!
Die Weitergabe des Glaubens funktioniert also nicht mehr in der traditionellen Weise. Die Kinder atmen heute von klein auf einen anderen Geist. Man denke nur an die vielen Stunden, die sie vor dem Fernseher verbringen: Das ist ein Bombardement mit einer Immoralität verschieden­ster Art. Daher geht es darum, daß sie sich als Erwachsene für einen Weg als Christen entschei­den. Christen sollten die Erfah­rung der Gegenwart und des Wirkens Gottes machen und sich aufgrund dessen bewußt für Ihn entscheiden. Immerhin sind die Apostel drei Jahre hindurch mit Jesus unterwegs gewesen, und sie haben dabei herzlich wenig begriffen. Der Herr mußte ihnen sagen, er werde ihnen den Heili­gen Geist senden, der sie all das lehren würde, was sie bisher nicht verstanden hatten, und der ihnen erst die Kraft geben würde, seine Zeugen zu sein.

VISION 2000: Wie könnte das vor sich gehen?

Suenens: Da ist vor allem das Zeugnis der Laien, die aus dem Heiligen Geist leben, gefordert. Das wurde mir kürzlich wieder einmal klar, als ich eine Gruppe junger, 20- bis 25jähriger Ameri­kaner zum Essen eingeladen hat­te und sie über ihren Glaubens­weg befragte. So gut wie alle hatten der Kirche spätestens mit 15 bis 17 Jahren den Rücken gekehrt. Und jeder erzählte der Reihe nach, wie er zu Jesus ge­funden hatte. Einer hat gesagt: "Nicht ich habe Jesus gefunden, sondern Er ist mir begegnet". Wie das vor sich gegangen sei, wollte ich wissen. Das sei durch die Begegnung mit lebendigen Christen geschehen, war die Antwort. Und darum geht es auch bei der Neuevangelisie­rung, zu der der Papst aufruft.

Das Gespräch führte Christof Gaspari. Siehe auch Furche 34/1989

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