VISION 20004/1989
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Gratuliere zur Atombombe

Artikel drucken Christsein im Alltag: Ein Wissenschafter entdeckt seine Verantwortung (Christof Gaspari)

Gerade ist er von seinem Platz aufgestanden und zum Rednerpult gegangen. Da steht er nun und blickt aus seinen fröhlich (ich möchte fast sagen schelmisch) blitzenden Augen auf die rund 150 Seminar-Teilnehmer. "Im Namen des Vaters und des Soh­nes und des Heiligen Geistes" sagt er in seinem unverkennbar schweizerischen Dialekt und bekreuzigt sich. Ja, so habe man früher Vorlesungen begonnen,
erklärt Professor Max Thürkauf seinen verdutzten Zuhörern.

Mit derselben Selbstverständ­lichkeit und Bedächtigkeit hat er vor Jahren bei unserem ersten Zusammentreffen vor dem ge­meinsamen Mittagessen das Kreuzzeichen gemacht und für uns - für sich, seine Frau und mich - gebetet. Bevor wir zu Tisch gegangen sind, waren wir drei Stunden lang gemütlich bei einem zwanglosen Interview zusammengesessen. Damals hat mich der Herr Professor, den ich schon seit langem von seinen zahlreichen Publikationen her gekannt hatte, auch als Mensch für sich eingenommen. Bemerkenswert ist nicht nur was er sagt, sondern vor allem auch, wie er das sagt. Man merkt ein­fach: Da steht der ganze Mensch dahinter, die Erfahrung eines er­füllten - wohl auch bewegten Lebens.
"Ich habe seit meiner Kindheit eine große Liebe zur Chemie ge­habt", erzählte er mir damals. Schon mit 10 Jahren habe er zu experimentieren begonnen, konnte aber, weil er ein schlech­ter Schüler war, nicht aufs Gym­nasium gehen, sondern landete nach der Dorfschule als Laborge­hilfe in einer chemischen Fabrik. "Das war wohl die schwerste Zeit meines Lebens", meinte er rück­blickend, denn er mußte im Nachtgymnasium mit letzter Kraft das Abitur nachmachen. Als Werkstudent - er war Hilfs­lehrer an einer Baseler Berufs­schule und später Assistent bei der schweizerischen Studien­kommission für Atomenergie - machte er das Doktorat an der Uni Basel, um beruflich in die Herstellung von schwerem Was­ser einzusteigen.
Er hatte Erfolg: "Das Verfahren zur Herstellung dieser für die Atomenergiegewinnung wichti­gen Substanz wurde mit Paten­ten, die auch meinen Namen tra­gen, geschützt", klingt heute noch Erfinderstolz durch. Seine nächste berufliche Station war die Bauleitung für eine Anlage zur Herstellung von schwerem Wasser in Frankreich.

1959 zündeten die Franzosen ihre erste Atombombe, eine Plu­toniumbombe, wie mir Thürkauf erklärt hat. "Und Plutonium wird mit schwerem Wasser erzeugt. Ich habe mich aber keineswegs gefragt, wer daran wohl schuld sei ... Als ich zu Weihnachten nach Basel heimkam, sagte man mir: "Du hast ja dem De Gaulle geholfen, die Bombe zu bauen. Wir gratulieren." Und von dem Moment an begann ich zu überle­gen: Was tust du da eigentlich? Der Blitz der ersten französi­schen Atombombe war für mich eine Art Damaskuserlebnis."

Nachdem er Professor und später Direktor des physikalisch-che­mischen Institutes der Baseler Universität geworden war, be­gann er daher damit, neben sei­nen Fachvorlesungen auch sol­che über das Thema: Was ist Physik, was Chemie? zu halten, Fragen der Verantwortung der Wissenschaft und des Wissen­schafters nachzugehen. Dabei äußerte Thürkauf ebenso wie auch in Zeitungsartikeln immer wieder deutliche Kritik am Wis­senschaftsbetrieb.
Das konnte nicht lang gut gehen. Schluß mit der Kritik wurde gefordert oder aber ... "Die Baseler Regierung, die der Universität vorsteht, hat mich 1967 zitiert und mir nahegelegt, zurückzutre­ten." Zwar konnte man ihm nicht das Recht, Vorlesungen zu hal­ten, beschneiden, aber seine be­zahlte Anstellung war kündbar. Dieses Ansinnen löste zwar Wir­bel - besonders auch unter den Studenten - aus. Man legt ihm nahe zu prozessieren. "Meine Frau hat mir vom Prozeß abgera­ten. Und ich habe ihren Rat be­folgt und bin von der Beamtung zurückgetreten. Das Gehalt und die Rente wurden gestrichen. Es war dies - wie ich heute weiß - Gnade."
Damals aber dachte Thürkauf nicht in solchen Kategorien. Er hatte zwar eine katholische Er­ziehung erhalten, war aber mit 20 Jahren aus der Kirche ausgetre­ten und "vom Geistigen her gese­hen ein Atheist".
Seine Technik-Kritik hatte ihn für anthroposophische Kreise, in deren Bannkreis er geriet, interessant gemacht. Er hat für die Anthroposophen Vorträge gehalten und in ihren Verlagen publiziert. Die Erkenntnislehre von Rudolf Steiner interessierte ihn. "Was mich dann aber immer mehr von der Anthroposophie weggebracht hat, das waren die Anthroposophen selbst. Sie sprachen viel vom freien Geist. Wagte man aber nur die kleinste Kritik, dann wurde es sehr eng", faßt er heute seine damaligen Erfahrungen zusammen.

Mit dem Verlust des Einkom­mens an der Uni erlebte er aber regelrecht eine Befreiung. "Ich wurde, wie ich heute weiß, von meinen Dämonen befreit: vom Dämon des Materialismus, eines Dämons, den man nur durch Fasten und Beten austreiben könne, wie es im Evangelium heißt."
Es brach nämlich für Thürkauf tatsächlich eine Art Fastenzeit, eine der materiellen Einschrän­kung, an. Er wurde vorüberge­hend fünf Jahre lang Fluglehrer, da er eine Ausbildung als Berufs­pilot hatte, und später bis 1975 Gymnasiallehrer für Chemie und Physik.
"Warum ich das heute nicht mehr bin? - Ich konnte einfach keine Noten mehr geben. Es hat mich so belastet, daß ich Nierensteine bekam. Und eines Tages, unter der Brause, beschloß ich: Ich mach´s nicht mehr - und ging zurück ins Bett."

Und seit damals leben er und seine Frau von Vorträgen, von Büchern und von Vorstellungen, die seine Frau (sie ist Schauspielerin) gibt. Ob das reicht, wollte ich wissen. "Wir werden nicht reich dabei, aber es "wird uns eben alles an­dere dazugegeben", wie es in der Schrift heißt. Und das ist so viel, daß wir einiges der Mission wei­tergeben können. Monatlich machen wir Abrechnung und, was wir nicht zum Leben brau­chen, bekommt die Mission." Beachtlich.

Da rnußte sich im Leben der Thürkaufs aber ein tiefer geistiger Wandel abge­spielt haben. Das war klar. Aber wie war es dazu gekommen? "Unsere Fastenzeit wurde auch zu einer Gebetszeit - wenn auch nicht in demselben Sinn, wie wir dies heute verste­hen", gab mir der Professor dar­auf zur Antwort und lächelte.

"Wir erlebten eine Zeit der Wü­ste im Anschluß an eine Lebens­periode der vollen Fleischtöpfe." Es war die Zeit, in der Thürkauf seine philosophischen Arbeiten über die Naturwissenschaften vertieft hat. "Das führte dazu, daß immer deutlicher vor mir die Frage nach dem "Wer?" auftauchte." Wer steht hinter all dem, was die Naturwissenschaft in seiner Funktionsweise zu er­fassen versucht?
Damals fing das Ehepaar wieder an, in die Kirche zu gehen. Zu­nächst als Beobachter, als Au­ßenstehende. "Die Entschei­dung, wieder zurückzukehren, verdankten wir dann zwei sehr unterschiedlichen Männern: ei­nem Dorfpfarrer in der Schweiz und dem heutigen Papst. Der Mut und die Hingabe dieses Mannes haben mich bewegt. Ich dachte mir damals: Wenn ich nicht in diese Kirche zurückkehre, bin ich ein Feigling."
Natürlich hatte sich ihnen kei­neswegs der Blick für die vielen Fehler der Kirche getrübt. Aber es war eine Anziehungskraft ge­wachsen, die dazu führte, daß Thürkauf 1981 wieder in die Kir­che eintrat: "Lebensbeichte und erste Kommunion nach Jahrzehnten in der kleinen Kirche dieses Pfarrers. Es war wie eine Wiedergeburt."
Und seither gehen beide, der Professor und seine Frau, einen gemeinsamen Weg an der Hand Gottes. Sie strahlen eine beson­dere Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit aus.
Das hat auch meine Frau gespürt, als wir uns ein anderes Mal mit den Thürkaufs zu einem langen Gespräch zusammengesetzt ha­ben. Da wurde nicht nur fachge­simpelt und über weltbewegende Probleme gesprochen. Da war sofort persönliches Wohlwollen, eine Gemeinschaft durch Chri­stus, spürbar.

Nun gehen Max Thürkauf und seine Frau - denn sie scheinen untrennbar, waren noch bei jeder Begegnung, die wir miteinander hatten, gemeinsam unterwegs - einen Weg der Missionierung, der sie durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und Ita­lien führt. Mittlerweile hat sich närnlich herumgesprochen, daß Thürkauf Wesentliches zu den Zeitproblemen zu sagen hat. Ist er doch einer der wenigen Natur­wissenschafter, die nicht von der Alltagshektik des einträglichen, aber substanzraubenden For­schungs-, Lehr- und Gutachter­betriebes aufgefressen wird. Vielmehr hat er wichtige Jahre seines Lebens zum Nachdenken ohne Erfolgszwang investieren können. Und das gibt ihm die notwendige Distanz und das not­wendige Wissen, den modernen Götzen Wissenschaft ausgewo­gen und liebevoll zu kritisieren und zu einer Umkehr aufzurufen. Schließlich hat er sie ja selbst in seinem Leben vollzogen.
Und genau das spürt man. Er steht als ganzer Mensch hinter dem, was er sagt. Es ist wohl seine Unabhängigkeit von beruf­lichem Erfolg und von der Sorge um eigene Kinder, die ihn in dieser Welt ansatzweise einen Weg gehen läßt, auf dem er weniger als der Durchschnitts­verbraucher zu Kompromissen mit den Zeitströmungen verführt wird.

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"Wenn wir bei der Forschung um Erleuchtung beten, dann führt uns der Heilige Geist. Wenn wir aber nicht beten - wie es die moderne Naturwissenschaft seit 400 Jahren praktiziert -, dann ist es der Teufel, der inspiriert. Ich darf es mir als Naturwissenschafter leisten, das so auszudrücken. Als moderner Theologe, der Karriere machen will, würde ich den Teufel lieber nicht nennen.
In den Abschiedsreden steht es aber klipp und klar im Evangelium: "Ohne mich könnt ihr nichts tun!" Kann es gut gehen, wenn eine so gefährliche Sache wie die Wissenschaft das ignoriert? Das Resultat sehen wir ja heute. Wer es jetzt noch nicht sieht, dem kann man es nicht beweisen. Es geht um eine Ge­sinnungsänderung, um eine Forschung mit Christus. Wenn ich das meinen Kollegen sage, dann lachen sie - mit wenigen Ausnahmen. Sie sagen: Wie sieht denn deine christliche Technik und Wis­senschaft aus? Meine Antwort darauf ist: Hätte man Galilei oder Kepler gefragt, wie ihre Wissenschaft in 400 Jahren aussehen würde, sie hätten keine Ahnung gehabt. Mir geht es auch so. Aber eines weiß ich: Das, was wir entwickeln würden, wird lebensfreundlich sein: eine Technik der Kreisläufe."

Max Thürkauf

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