VISION 20004/1989
« zum Inhalt Schwerpunkt

Fällt endlich das Tabu?

Artikel drucken

Wer sich etwas aus­führlicher mit der Frage der Abtreibung beschäftigt, erkennt: Im Grunde genom­men ist die alles entscheidende Frage geklärt: Das Wesen im Mutterleib ist von Anfang an Mensch, schlicht und einfach ein Kind.

Ernst Haeckels "Biogenetisches Grundgesetz" (der Mensch mache im Mut­terleib nicht-menschliche Entwicklungsphasen durch, sei also beispielsweise zeitweise amphibien-ähnlich) ist wider­legt. Abtreibung ist somit offen­sichtlich Tötung eines Men­schen. Offenkundig sind auch die traumatischen Folgen für die betroffenen Frauen. Die strah­lenden, kämpferischen Bekennt­nisse prominenter Befürworte­rinnen der Abtreibung: "Ich habe abgetrieben ... ", haben einer an­deren Art von Bekenntnissen Platz gemacht: "Wir haben abge­trieben - und es war die Hölle." ("Tempo" Nov./1986). Erwartungsgemäß wurde die Abtreibung auch zu einem blü­henden Geschäft. So finanzierten Edwards und Steptoe, die engli­schen Pioniere der künstlichen Befruchtung, ihre Forschung mit Geldern, die sie bei Abtreibun­gen verdient hatten.
Längst erkannt wurde auch, daß die de facto Freigabe der Abtrei­bung die Frauen nicht freier gemacht hat. "Unsere Gesell­schaft ... hat die Straffreiheit in­nerhalb der ersten drei Monate längst umgedeutet, Abtreibung für "erlaubt" erklärt ... Der Druck, der seither auf die Mütter ausgeübt wird, ist ein Tatbe­stand, der oft schwerer wiegt als die "Entscheidung" zur Abtrei­bung selbst." So faßt eine Bros­chüre der "Aktion Leben" die Erfahrung des Vereins bei der Beratung zusammen.
Und welche Schlüsse zieht unse­re Gesellschaft aus all diesen Er­fahrungen? Gar keine. Abtrei­bung wird noch immer als wohl­erworbenes Recht der Frauen-­Emanzipation gehandelt und das millionenfache Töten von Kin­dern als unvermeidliche Neben­wirkung zur Kenntnis genom­men. Rückbesinnung auf die Schutzfunktion des Strafrechts für das wehrlose Opfer steht ein­fach gegen den Zeitgeist und ist tabu.
Oder vielleicht doch nicht? Im Juni fällte nämlich der Oberste Gerichtshof der USA ein bemer­kenswertes Urteil, das leider - wie zu erwarten war - in der euro­päischen Medienberichterstat­tung zu kurz gekommen ist. Erst­mals kommt es in einem westli­chen Industrieland zu einer Ein­schränkung bisheriger, extrem abtreibungsfreundlicher gesetz­licher Regelungen. Das könnte ein Signal dafür sein, daß in die­ser Frage doch nicht das letzte Wort gesprochen ist. In den USA haben sich viele Menschen in dieser Frage engagiert. Sie haben einen ersten Erfolg erreicht.

Christof Gaspari

--------------

Amerika, das Land der un­begrenzten Möglichkeiten - das galt bisher leider auch bezüglich der Abtreibungsgesetzgebung: laut Ur­teil des Obersten Gerichtshofs vom Jänner 1973 wurde jeder Frau ein "Recht auf Abtreibung" zugesprochen. Für das erste Drit­tel der Schwangerschaft wurden keinerlei und für die beiden fol­genden Drittel kaum nennens­werte Einschränkungen erlassen. Somit wurde es möglich, ohne Angabe von Gründen bis zur Lebensfähigkeit des Kindes au­ßerhalb des Mutterleibes (also bis etwa zur 24. Woche), unter gewissen Umständen sogar bis zur Geburt abzutreiben. In den folgenden Jahren wurden in den USA jährlich 1,5 Millionen Ab­treibungen registriert. Die ein­zelnen Bundesstaaten hatten - auch bei entsprechender Mehr­heit im Lokalparlament - keine Möglichkeit, gesetzliche Ein­schränkungen durchzusetzen.
Der Bundesstaat Missouri war der erste, der sich mit dieser Lage nicht abzufinden bereit war. Die dortige Bewegung für das Leben ("pro life") hatte - nach einer Idee von Samuel Lee (siehe Seite 14) - eine Gesetzesinitiative zur Ein­schränkung von Abtreibungen gestartet. Durch eine Vielzahl von Aktionen und Gesprächen gelang es auch wirklich, die Abgeordneten des Landesparla­ments davon zu überzeugen, daß man die momentane Situation einfach nicht mehr dulden kön­ne. So wurden 1987 auf der Ebe­ne des Bundesstaates verschie­dene Einschränkungen erlassen: keine öffentlichen Gelder mehr zur Durchführung von Abtrei­bungen und Herabsetzung der Zulässigkeit von Abtreibungen auf die zwanzigste Woche.
Dies stand deutlich im Wider­spruch zum geltenden "Abtrei­bungsrecht" und zog daher eine Verfassungsklage nach sich. Gerade darauf hatte man es aber abgesehen: Denn nun war das Oberste Gericht aufgerufen, zu prüfen, ob das Missouri-Gesetz der Verfassung entspricht - und damit zugleich die eigene grund­sätzliche Entscheidung noch ein­mal zu überdenken.
Das Urteil des Obersten Gerichts wurde im ganzen Land mit Span­nung erwartet - noch dazu, da erst vor einiger Zeit zwei neue Rich­ter dorthin berufen worden wa­ren und noch nie über die Frage der Abtreibung abgestimmt hat­ten; bei den nur neun Sitzen dieses Gremiums konnte das leicht eine Umkehrung der Mehrheits­verhältnisse bedeuten.
Im Mai dieses Jahres wurde der Fall verhandelt und Anfang Juli schließlich der Beschluß verkün­det: das Oberste Gericht der USA erklärte das Missouri-Gesetz für verfassungskonform und räumte auch den anderen Bundesstaaten das Recht ein, gesetzliche Be­schränkungen zur ausufernden Abtreibungspraxis zu erlassen.
Die Bedeutung dieser Entschei­dung - und das wissen nicht nur die Gegner, sondern auch die Befürworter der Abtreibung - reicht jedoch viel weiter:

- Dies geht zunächst aus der Formulierung hervor, mit der die Höchstrichter ihr Urteil begrün­den: während in der ursprüngli­chen Entscheidung von 1973 die Abtreibung bis zur Lebensfähig­keit des Kindes als moralisch vertretbar deklariert wurde, wird diese Grenzziehung nunmehr in Frage gestellt; diese Entschei­dung eröffnet damit grundsätz­lich die Möglichkeit einer völli­gen Zurücknahrne des Abtrei­bungsrechts.

- Zudem fordert das Urteil des Höchstgerichts auch die anderen Bundesstaaten ganz deutlich dazu auf, ähnliche Gesetze zur Eindämmung der schlimmsten Mißstände einzuführen. Fünf Staaten haben ganz spontan zu­gesagt, ähnliche Bestimmungen wie Missouri zu erlassen.

- Und schließlich hat das Oberste Gericht für seine Herbstsitzung drei weitere Fälle zur Abtrei­bungsfrage auf seine Tagesord­nung gesetzt: In zwei Fällen geht es darum, ob Teenager für eine Abtreibung die Einwilligung ihrer Eltern brauchen, im dritten soll der niedrige medizinische Standard vieler privater Abtreibungskliniken erörtert werden.

Die Situation ist damit zwar noch immer schlimm genug - noch schlimmer als in Österreich bei­spielsweise -, aber in Amerika zeichnet sich nunmehr eine Trendwende ab. Man darf also äußerst gespannt sein, wie die nächsten Entscheidungen ausfallen werden. Die Lebensbewegung ist jedenfalls nach ihrem ersten großen Erfolg zuversichtlich, daß nun endlich der Zeitpunkt gekommen ist, das ungeheure Unrecht der Abtreibung einzusehen und entsprechende weitere Schritte zu setzen.

Richard und Ingeborg Sickinger

© 1988-2025 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: info@vision2000.at