Bei einem Sommeraufenthalt in den USA haben wir sie kennengelernt: Sam und Goria Lee, ein christliches Ehepaar, das sich ganz dem Kampf gegen die Abtreibung gewidmet hat. Ihre Einsatzbereitschaft und Konsequenz, ihr Mut und ihre Lebensfreude haben uns einfach begeistert. Sie sind ein Beispiel dafür, wie Christen auch heute die Welt verändern können.
An einem heißen Samstagvormittag im August treffen wir Sam und Gloria zm ersten Mal: beim "picketing", eine Art friedlicher Demonstration vor einer Abtreibungsklinik in ihrer Heimatstadt St. Louis. Gemeinsam mit einer Gruppe von rund fünfzig Menschen - jungen und alten, weißen und schwarzen - gehört das zu ihren wöchentlichen Aufgaben: Sie versuchen, mit Frauen, die entweder einen Schwangerschaftstest oder eine Abtreibung durchführen lassen wollen, ins Gespräch zu kommen. Ruhig und freundlich gehen Sam und Gloria vor. Man spürt, wie sie mit ihrer ganzen Person hinter den wenigen Sätzen stehen: die Frau, das Mädchen möge ihre Entscheidung unbedingt noch einmal überdenken:
Auch an diesem Samstag sind einige Frauen dabei, die das Angebot annehmen und - statt in die Abtreibungsklinik zu gehen, mit in die Pro-Life-Beratungsstelle kommen. Dort wird ihnen echte Hilfe angeboten: Das reicht von finanziellen und materiellen Unterstützungen bis zur Vermittlung von Wohnmöglichkeiten; aber auch das Gespräch und der persönliche Beistand sind ein wichtiger Faktor. "Es geht darum, dem ganzen Menschen zu helfen", erzählt Sam, und Gloria setzt fort: "Wenn man von den tausenden Abtreibungen hört, sind das ja nicht irgendwelche anonyme Zahlen oder Fälle. Bei jeder einzelnen Abtreibung, die wir verhindern helfen, ist ein Kind gerettet und zugleich die Frau vor der wahrscheinlich schlimmsten Entscheidung ihres Lebens bewahrt worden. Menschenleben retten - deshalb stehen wir hier."
Zugleich arbeiten sie aber auch auf verschiedenen anderen Ebenen. Sam ist der Motor der politischen Pro-Life-Arbeit: Er war der geistige Vater jenes Gesetzes, das zunächst im Bundesstaat Missouri beschlossen wurde (um die ausufernde Abtreibungspraxis einzudämmen) und das zuletzt den Obersten Gerichtshof der USA beschäftigt hat (siehe S. 12). Gespräche mit Abgeordneten des Landtages, juristische Fallstudien, Pressearbeit, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen gehören zu seiner täglichen Arbeit. Einen etwas anderen Weg hat seine Frau Gloria gewählt: Sie sieht ihre Aufgabe in der Unterstützung von Frauen, die durch ihre Schwangerschaft in Schwierigkeiten oder Not geraten sind. Sie ist eine der Mitbegründerinnen von "Our Lady´s Inn", einem Wohnheim für alleinstehende Mütter in einem aufgelassenen Pfarrhaus. "Wir möchten dort alle jene Frauen aufnehmen, die - so wie "Our Lady", also wie Maria - keinen anderen Ort haben, wo sie ihr Kind auf die Welt bringen können", erzählt Gloria. Sie kümmert sich um die Bewohnerinnen, führt die Buchhaltung, erledigt Amtswege und springt als Babysitter ein.
"Es ist uns äußerst wichtig", betont sie, "daß wir einander auf diese Weise ergänzen: daß wir in der politischen Arbeit nicht die konkrete Not des einzelnen übersehen, und daß wir in der Beschäftigung mit den oftmals sehr großen Schwierigkeiten einzelner nicht den Blick für das Grundsätzliche verlieren."
Angefangen hat alles, als Sam noch Student am College in St. Louis war. Damals hat ihn ein Freund zu einer Aktion vor einer Abtreibungsklinik eingeladen. Diese Aufforderung löste bei Sam einen Denkprozeß aus: "Und mit einem Mal war mir klar, welches Unrecht in unserem Land - hier und jetzt - geschieht; und daß man, ähnlich wie Martin Luther King, mit allen friedlichen Mitteln dagegen ankämpfen muß". Von nun an war er jahrelang regelmäßig vor Abtreibungskliniken anzutreffen, um mit gewaltfreien Methoden Abtreibungen zu verhindern: durch das Gespräch mit den betroffenen Frauen und durch das Blockieren der Eingangstüren. Sam erzählt: "An keinem anderen Ort wird einem die Dramatik des Geschehens, aber auch die Verantwortung, die jeder von uns trägt, mehr bewußt, als direkt vor der Abtreibungsklinik."
Dieser friedliche Kampf ist ihm so wichtig, daß er sogar in Kauf nahm, wegen "unerlaubten Demonstrierens" in Haft genommen zu werden. Im Laufe der Jahre wurde er über 50 Mal verhaftet. Er verbrachte sogar mehrere Monate im Gefängnis. Für Sam hat sich die Art des Einsatzes allerdings etwas geändert, seit er - ebenfalls im Rahmen der Pro-Life-Arbeit - Gloria kennenlernte, die als freiwillige Mitarbeiterin in "Our Lady´s Inn" mithalf. Durch das gemeinsame Anliegen sind sie zusammengekommen und haben sich gleich so gut verstanden, daß sie sich nach wenigen Monaten verlobten, und nach einem Jahr bereits verheiratet waren. Als Ehemann und vor allem auch als Vater von mittlerweile drei Kindern: Miriam (5) und Nicholas (2) und einem Ungeborenen, mußte er seine Arbeitsweise neu überdenken. "Meine Familie hat da ganz einfach Priorität", betont Sam. Zwar sind die beiden noch immer regelmäßig vor den Abtreibungskliniken im Einsatz, manchmal werden dabei auch die Kinder mitgenommen, aber nach einer längeren Haft zu Beginn ihrer Ehe war ihm klar, daß er einfach nicht mehr so lange von zu Hause fort sein konnte.
In der Folge verlegte er das Schwergewicht seines Einsatzes auf die poitische Arbeit. Seit 1984 arbeitet er "hauptberuflich" für die Pro-Life-Bewegung, allerdings als freiwilliger, also unbezahlter Mitarbeiter. Gloria ist - auch wenn sie nun natürlich wegen der Kinder weniger Zeit hat - nach wie vor in "Our Lady´s Inn" beschäftigt und hilft, wo sie gebraucht wird. Die Familie lebt ausschließlich davon, daß viermal im Jahr eine Zeitung ausgeschickt wird, in der sie von ihren Aktivitäten und Projekten berichten und um Spenden bitten. "Einige Male gab es längere Durststrecken, aber bis jetzt war es immer noch möglich, die wichtigsten Ausgaben zu bezahlen und davon leben zu können," erzählt Gloria.
Wie oft das - gerade mit Kindern - sehr schwer werden kann, läßt sich leicht vorstellen. Manchmal werden sie auch darauf angesprochen, woher sie die Kraft für diesen - oft sehr einsamen - Weg nehmen. "Das frage ich mich auch manchmal", sagt Gloria mit einem entschuldigenden Lächeln, und Sam fügt hinzu: "Wir sind zutiefst überzeugt, daß es unsere gemeinsame Berufung ist, für unsere ungeborenen Mitmenschen zu kämpfen - und deshalb vertrauen wir ganz darauf, daß uns Gott auch die nötigen Mittel dazu geben wird." Das tägliche Gebet ist in ihrem Leben ohne Sicherheiten die wichtigste Stütze, wie Gloria betont: "Nach menschlichem Ermessen ist das ganz schön verrückt, was wir tun; ohne unser gemeinsames Gebet wüßte ich nicht, wie wir dieses Leben führen könnten."
Warum sie es trotzdem tun? "Dieser Kampf", ist Gloria überzeugt, "muß jetzt und von unserer Generation gefochten werden - damit ihn unsere Kinder vielleicht eines Tages nicht mehr führen müssen." Es geht ihnen um eine bessere, eine menschlichere Welt. Sam ist davon überzeugt, daß es Zeiten in der Geschichte gibt, wo Christen dazu aufgerufen sind, gegen ein Unrecht einzuschreiten, das Böse zu bekämpfen: "Wir tragen Verantwortung nicht nur für unsere Familie", betont er, "denn es gibt Pflichten, die über die eines Vaters und Ehemanns hinausgehen." Er führt aus: "Wenn zum Beispiel ein Krieg ausbrechen würde und viele unschuldige Menschen davon bedroht wären, dann stünde für die meisten außer Zweifel: wir haben die Verantwortung, unser Land und unsere Freiheit zu verteidigen. Nun werden in unserem Land tatsächlich in jedem Jahr hunderttausende Menschen getötet - da kann man doch nicht einfach weiterleben, als ob nichts geschehen würde."
Wünschen sie sich manchmal ein ganz "normales" Leben mit einem nettem Haus, einem flotten Auto, einem angenehmen Einkommen? "Manchmal schon", räumt Gloria mit einem halb nachdenklichen, halb fröhlichen Lächeln ein. "Aber ich sehe zugleich auch die Nachteile, so zu leben: wie wichtig einem materielle Dinge werden, wie wenig Zeit für die wirklich wesentlichen Fragen und Anliegen bleibt."
Die jüngsten Veränderungen in der amerikanischen Gesetzeslage werden natürlich auch von den beiden als Riesenerfolg gefeiert - und zugleich als Ansporn gesehen, jetzt verstärkt weiterzumachen. "Der allerschönste Lohn ist es aber," erzählt Gloria, "ein Baby im Arm zu halten, das ohne unseren Einsatz nicht auf die Welt gekommen wäre. Da spürt man: es zahlt sich doch aus."