Oft wird über den Glaubenverlust der Jugend geklagt. Sicher, das gibt es. Aber es gibt auch die vielen hunderttausend Jungen, die heuer nach Santiago de Compostela gekommen sind. Freuen wir uns über sie.
Vom 22. Juli bis zum 16. August war unsere kleine Studentengemeinschaft - wir verdanken ihre "Genese" den Freitags-Gottesdiensten der Wiener Hochschulgemeinde - unterwegs nach Santiago de Compostela, dem Ort des heurigen Weltjugendtreffens.
Großteils zu Fuß folgten wir zwölf dem "Camino", der fast 1000 Jahre alten Pilgerstraße zum Grab des Apostels Jakobus: Von St. Jean Pied de Port an der französisch-spanischen Grenze, über Roncesvalles, dem Kloster, das die Pilger verzeichnet und den Reisesegen spendet, Puente la Reina, Burgos, Leon, Ponferrada, ...; auf weite Strecken in der Einsamkeit der Landschaft, gegen Ende des Weges in der Gemeinschaft der immer zahlreicheren anderen jungen Pilger, die wie wir der Einladung des Papstes folgten.
Wir verstanden den Weg als Auftrag Christi, uns um persönliche Reife im Glauben zu mühen, aber auch als Aufgabe, ihn zusammen mit der Kirche stellvertretend für andere zu gehen.
Wer über den Camino spricht, wird reden, wovon ihm das Herz voll ist. Denn das volle Herz ist die erste, junge Frucht, die der Pilger bringt, "beschnitten und gereinigt" könnte man sagen, an Joh 15 erinnernd. Wirklich, der Weg hat etwas Entkleidendes: Schritt für Schritt fällt ein Stück Eitelkeit ab, Tag für Tag etwas Schminke, Firlefanz, Maske, Tropfen für Tropfen schwitzt man die Selbstgefälligkeit aus. Es ist eine allmähliche Erfahrung: Der Weg liegt nur scheinbar unter unseren Füßen - in Wahrheit sind wir unterworfen. Wer pilgert, unterwirft sich mit jedem Aufbruch neu dem, der lenkt und lehrt und "zum Ruheplatz am Wasser führt". "Ich bin der Weg." Der Camino ist eine Schule des Vertrauens, trotz all der Sicherheiten, die wir "Moderne" nicht aus den Händen geben.
Auch die Sinne beginnen zu beten und lernen das Offensein. Hören und Schauen haben mit Liebe zu tun. Alles liegt bereit: Das Ocker und das Milchgelb des Getreidelandes, wie es Welle um Welle im Sonnenlicht hinfließt, das schattige Wasser der Dorfplatz-Tränken, die Häuser, eingedrückt und verformt, voller Blumen und Hundegekläff, die bereiften Disteln, immer aus roter Erde, die Brombeerhecken und Mandelbäume.
Das gemeinsame Beten wird zum Rückgrat des Tages. Morgens entringt sich das Lob noch etwas mühsam; manch einer unterdrückt fröstelnd seine Unbehaglichkeit, die "fixe Idee" eines warmen Frühstücks; aber immer neu überwindet das "Ja, ich freue mich auf diesen Tag" und "Wir wollen ihn füreinander gehen und für alle" die Müdigkeit.
Die ersten Schritte - hat man die "Last" schwungvoll auf sich genommen - sind meist schon voll Freude. Ein Blick zurück: Der Glockenturm mit dem Storchennest steht dunkel da, aber das Grau-in-Grau der Häuser ist schon gefärbt vom "aufstrahlenden Licht".
Mittags: Ich habe den kleinen weißen Friedhof in Erinnerung, das verschlossene Gärtlein, in dem die einzigen Bäume der Umgebung standen, und wie wir dicht an die Mauer gedrängt das bißchen Schatten nutzten, das für uns herüberwuchs. Das übrige Land: ein matter Teppich. Es ist die Zeit der Schwäche, die Zeit des Körpers - seines Verlangens nach Rast, nach Essen, oft in Ungeduld, endlich niederfallen zu dürfen. Es ist die Zeit, in der böse Worte viel leichter fallen. Und wieder die Überwindung: Wir sammeln uns, wenn die Zeit vorgerückt ist, zur Betrachtung, zum Gebet, zum Singen. Die Kraft strömt wieder in uns. "Jetzt die Zeit der Ruhe Gott geben." Dann abends: Den Schlafplatz, das "refugio" suchen und eine Messe. Die Kirche öffnet sich sacht in ihr Dunkel, als ließe sie uns unter ihren Mantel schlüpfen; abends war es immer, als wären wir heimgekehrt.
Einmal sperrte der Pfarrer uns für die Nacht das Gotteshaus auf: Wir lagen zwischen Bänken und bunten Altären, sahen, wie der hohe Raum dunkelte, das pausbackige Lächeln der Heiligen, die Kreuze und Blumen in ihren Händen, die Spitzendecken zu ihren Füßen. Jemand sprach lachend den Psalm: "Im Hause meines Herrn darf ich wohnen für lange Zeit."
Die Abende waren ein großes Geschenk; die Zeit der Gastfreundschaft, die Zeit der Begegnungen; die Zeit zu bereuen und verzeihen, die Zeit, mit Dank zurückzugeben.
Fragte man uns vor der Reise: "Warum wollt ihr gehen, was sucht ihr?", so drängte sich meist die Antwort vor: "Wir suchen die Richtung, die Berufung, die Zukunft."
Gott ließ uns etwas anderes finden: Er rollte nicht die Zukunft für uns auf - Er ging ganz leise neben uns und sprach. Es war wie Ernmaus: "Brannte uns nicht das Herz ... ?"
Ursula Harand
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Betrachtet man das Wallfahrtsgeschehen, so stellt man fest, daß hier Jugendliche für Jugendliche planen und organisieren, daß sie miteinander unterwegs sind. Es wird improvisiert an allen Ecken und Enden, und es ist erstaunlich, daß trotz der vielen Menschen jeder sein Quartier findet und sein Essen bekommt. Auch dies sind Wege der inneren Veränderung, ja Läuterung. Wer sich in der Warteschlange zur Essensausgabe anstellen, einen entnervten Buschauffeur beruhigen und Pilger in den Bus treiben muß, lernt, sich in Geduld zu üben. Für viele ist es der erste Glaubensschritt überhaupt.
Susanne Kick