"In Österreich genügt Geld für sich alleine, egal woher es kommt ... Wir sind amerikanischer geworden als die Amerikaner jemals waren: Über Geld geht uns nichts auf der Welt. Es ist als solches zum Wertmaßstab geworden.
Wäre ich ein Moralapostel, so behauptete ich, daß der beschriebene Zustand ein schrecklicher ist. Ich bin aber keiner, sondern konstatiere eher verblüfft, daß ich Teil einer großen Gemeinde geworden bin, die mit mir rund um ein Goldenes Kalb tanzt. Ein gewisser Josua hat das seinerzeit zum Anlaß wortgewaltiger Warnungen genommen. Es hat nicht allzuviel gefruchtet.
Und auch die Josuas sind mir suspekt."
P.M. Lingens
Soweit Peter Michael Lingens in einem "profil"-Kommentar (43/1989) zum Thema 750.000-Schilling-Abfertigung für Österreichs Vizekanzler Josef Riegler.
Daß es Mose war, der das ums goldene Kalb tanzende Volk zur Rechenschaft gezogen hat, sei nur am Rande erwähnt. Bemerkenswerter ist jedoch Lingens´ Analyse. Sie ist zweifellos in vieler Hinsicht zutreffend.
Unsere Gesellschaft - und damit mehr oder weniger bewußt jeder von uns - schlittert in einen unaussprechlichen krassen Materialismus. Von der Werbung werden wir ja auch unausgesetzt in diese Richtung bearbeitet: Konsum und Spaß machen glücklich. Also: Genieße heute! Tag um Tag wird uns dies im Rundfunk, im Fernsehen, von den Plakatwänden herab eingehämmert. Daß da nicht nur für Produkte, sondern für eine Weltanschauung geworben wird, möchte ich an folgenden in Österreich plakatierten Slogans zeigen: "Ich genieße, also bin ich", lautet der Spruch für York-Zigaretten, "Ich will alles, und das sofort", verkündet ein junger Mann auf einer "Kika"-Reklame, "Geld macht glücklich", versucht uns Herr Kirschner im Rahmen einer Raiffeisen-Werbung einzupauken (was sich der tiefgläubige Gründer der Raiffeisen-Genossenschaften dabei wohl im Jenseits denkt?), und die im Süden Wiens gelegene "Shopping City Süd" wirbt schon seit einer Dekade mit dem Satz: "Shopping macht happy" - Einkaufen macht glücklich!
Lingens´ Analyse liegt also nicht ganz falsch, leider. Aber welcher Zynismus kommt darin zum Ausdruck, daß er sich mit dieser fatalen Gegebenheit abfindet! Seine Schlußfolgerungen - so ist der Mensch nun einmal, Schluß basta; und: Man bewahre mich vor Moralaposteln, sie richten ja eh´nichts aus - sind die eigentliche Katastrophe dieses Kommentars. Ermuntern sie den Leser doch, sich in diesem perspektivlosen Pragmatismus einzurichten.
Mir sind nicht die Moses´ und Josuas, wohl aber die Lingens´ suspekt, die falschen Propheten, die jeden Mißstand seligsprechen, wenn er nur von ausreichend vielen getragen ist.