Das Bild vom neuen Wein in neuen Schläuchen läßt mehrere Deutungen zu. Oft wird es von Erneuerungsbewegungen zur Selbstdarstellung benutzt.
Vor fast drei Jahrzehnten hatte ich bei einem Cursillo mein unauslöschliches „Damaskus“-Erlebnis. Ich fühlte mich in der neuentdeckten
Beziehung zu Christus wie neuer Wein - jung, stürmisch, noch nicht ganz ausgegoren. Das damals zu Ende gehende Konzil bereitete mir die neuen Schläuche. Die für mich unverständige, drohende und weltfremde Kirche meiner Kindheit erlebte ich nun in der Cursillo-Bewegung als verständnisvoll, einladend und weltoffen. Ich fühlte mich wohl bei den biblischen Bildern vom Wein: „Ich bin der Weinstock
und ihr seid die Reben“ (Joh 15,6) und ”Neuer Wein gehört in neue Schläuche“ (Mk 2,22).
Mehr als zwei Jahrzehnte war ich reich beschenkter Mitarbeiter der Cursillo-Bewegung. Ich hielt dankbar ihrer Spiritualität - „meinen‘“ Schläuchen - die Treue. Zugleich wollte ich auch für andere Erfahrungen offen bleiben. Mit Bereitschaft und Interesse lernte ich auch andere Spiritualitäten kennen, ohne meinen persönlichen Weg aufzugeben:
Bewegung für eine neue Welt, Charismatische Erneuerung, Marriage-Encounter, Theologischer Laienkurs, Taize, Kloster auf Zeit, Meditation, Schönstatt-Bewegung, Internationale Vereinigung christlicher Geschäftsleute ...
Jede Bewegung sieht die Unermeßlichkeit Gottes aus ihrem Blickwinkel. Mit der besonderen Betonung dieses Blickwinkels erscheint dann die SelbstdarstelIung der verschiedenen Spiritualitäten oft wie ein kämpferisches Ausspielen von Gottes Dreifaltigkeit.
So betont das Bild einer geschwisterlichen Kirche mit Berufung auf Christus Wärme und Geborgenheit der Gemeinschaft.
Das Bild einer geistbegleiteten Kirche beruft sich auf die Führung jedes einzelnen durch den Heiligen Geist, der weht, wo Er will.
Das Bild einer hierarchischen Kirche stellt mit Berufung auf Gott,den Vater, Ehrfurcht und Gehorsam besonders heraus.
Von jedem Standpunkt aus wird den jeweils anderen Bildern oft Einseitigkeit vorgeworfen: Ehrfurchtslosigkeit oder Willkür oder diktatorische Erstarrung.
Bewegungen, die das Bild des „neuen Weines“ für sich beanspruchen, rufen leicht zwei gegensätzliche Haltungen hervor.
Als „ewige Erneuerer““ sind alle gefährdet, die sich kritiklos jeder Erneuerungsbewegung anschließen und jede „Modewelle* mitmachen. Unruhig und atemlos stopfen sie alles in ihr religiöses Leben hinein. Sie kommen jedoch mit den verschiedenen Spritualitäten nicht zurecht und neigen zu religiösem Streß. Der Junge Wein wird immer älter, kommt aber nie zur Reife, weil er ständig in neue Schläuche
umgefüllt wird.
„Linientreue Berufslaien“
Andererseits sind viele als „„linientreue Berufslaien‘ gefährdet, weil sie von ihrem bewährten Programm unter keinen Umständen
abweichen. Unbeweglich und verschlossen lassen sie nichts Neues in ihr Leben ein. Sie sehen an anderen Kirchenbildern nur die Kehrseite und neigen zu strenger Überheblichkeit. Der junge Wein wird immer älter, kommt aber nie zur Reife, weil zuvor der Schlauch löchrig wird und vermodert.
Ich kenne diese Haltung zum Teil auch aus eigener jahrelanger Erfahrung. Im Herbst meines Lebens versuche ich, die beiden widersprüchlichen Bilder durch persönliche Gestaltung „aufzuheben". Um im Bild zu bleiben:
Ich möchte Farbe, Bukett und Aroma entsprechend der Rebsorte, der Hanglage und der Winzerpflege meines persönlichen Lebens mit dem dreifaltigen Gott entdecken und reifen lassen. Das kann schon einmal eine Abfüllung vom Faß in die Flasche bedeuten. Oder auch eine behutsame Lagerung im Keller, damit der Wein zu gehaltvollem Qualitätswein reift und nicht zu Essig wird.
Ich habe gelernt, herzlich dankbar zu sein für alles, was mir entspricht - und für alles, was mir nicht entspricht. So darf ich behutsam
verschenken, was mir entspricht - und gelassen neinsagen zu Forderungen, die mir nicht entsprechen.
Wenn wir für die Unterscheidung viel Zeit und Geduld aufbringen, dann wird erfahrbar, was Lukas meint. „Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen; denn er sagt: Der alte Wein ist besser.“ (Lk 5, 38)
Ich will das Bild nicht überfrachten und lieber mit der Bibelstelle enden, in der ich meine Antwort gefunden haben: „Jeder ... der ein Jünger des Himmelreiches geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt.“ (Mt 13,52)