Die Gebote ... sind dazu bestimmt, das Wohl der Person, Ebenbild Gottes, durch den Schutz seiner Güter zu wahren. "Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen“, sind sittliche Regeln, die als Verbote formuliert sind. Die negativen Vorschriften bringen besonders kraftvoll die ununterdrückbare Forderung zum Ausdruck, das
menschliche Leben, die Personengemeinschaft in der Ehe, das Privateigentum, die Wahrhaftigkeit und den guten Ruf zu schützen.
Darum ist die Nachfolge Christi das wesentliche und ursprüngliche Fundament der christlichen Moral: Wie das Volk Israel Gott folgte, der es durch die Wüste in das verheißene Land führte (vgl. Ex - 13, 21), so muß der Jünger Jesus folgen, zu dem der Väter selbst ihn
hinlenkt (vgl. Joh 6,44).
Es handelt sich hier nicht allein darum, auf eine Lehre zu hören und ein Gebot im Gehorsam anzunehmen. Es geht ganz radikal darum, der Person Jesu selbst anzuhängen, sein Leben und sein Schicksal zu teilen durch Teilnahme an seinem freien und liebenden Gehorsam gegenüber dem Vater. Wenn er durch die Antwort des Glaubens dem folgt, der die fleischgewordene Weisheit ist, ist der Jünger Jesu wahrhaftig Jünger Gottes.
Die Liebe Christi nachzuahmen und nachzuleben, ist dem Menschen aus eigener Kraft allein nicht möglich. Er wird zu dieser Liebe fähig allein kraft einer Gabe, die er empfangen hat.
Wie der Herr Jesus die Liebe von seinem Valer empfängt, so gibt er sie seinerseils aus freien Stücken an die Jünger weiter:
„Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15, 9). Die Gabe Christi ist sein Geist, dessen erste „Frucht" (vgl. Gal 5, 22) die Liebe ist.
Das Gespräch Jesu mit dem reichen Jüngling wird gewissermaßen in jeder Epoche der Geschichte, auch heute, weitergeführt.
Die Frage: „Meister, was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“, bricht im Herzen jedes Menschen auf, und es ist immer und allein Christus, der die volle und entscheidende Antwort anbietet. Der Meister, der die Gebote Gottes lehrt, der zur Nachfolge einlädt und die Gnade für ein neues Leben schenkt, ist immer unter uns gegenwärtig und tätig, gemäß der Verheißung: „Seid gewiß:
Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28, 20).
Auszug aus der Enyziklika „Veritatis splendor" von Papst Johannes Paul II