VISION 20001/2001
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Die Ehe, ein Leben lang - ist das durchzuhalten?

Artikel drucken Ein Interview die vielen Schwierigkeiten und Freuden des Ehelebens (Jean Villeminot; Nadine Grandjean)

Ist “durchhalten" eine gut gewählte Bezeichnung, wenn es um die Liebe geht?

Jean Villeminot: Ich ziehe das Wort “verbleiben" vor. Es enthält nicht diese Komponente der Anspannung, die im Durchhalten steckt. Die eheliche Liebe ist das Verweilen im anderen, so wie man sich im verheißenen Land niederläßt.

Nadine Grandjean: Ich persönlich mag das Wort durchhalten, gerade weil es nicht nur auf die Zeit anspielt, sondern auch auf die Schwierigkeit und Haltbarkeit. ... Um in der Liebe zu verharren, muß ich den Tod erleben: das Sterben meiner Vorstellungen von der idealen Ehe, das Sterben meiner Vorstellungen vom Partner, meiner Erwartungen und Illusionen. Da geht es wirklich um einen Kampf auf Leben und Tod. Eine romantisierende Sprache ist gefährlich, weil sie die Gefühle der Verliebtheit überbewertet. Es ist aber eine Illusion zu glauben, daß man eine Partnerschaft für ein ganzes Leben auf der Verliebtheit aufbauen könnte.

Villeminot: Verliebtheit steht immer am Anfang der Liebe. Sie muß aber durch den Filter des Willens hindurch. Wenn ich heirate, sage ich meiner Frau nicht: “Ich bin in dich verliebt", sondern “Ich will dein Mann sein". Ich sage “ich will", also ist mein ganzes Wesen in Pflicht genommen. Dann ist meine Verliebtheit befreit, weil sie nicht mehr auf Instinkt beruht, sondern von meinem Willen gesteuert ist. So bleibt sie erhalten.

Die Fähigkeit, auf Dauer zu lieben, ist also stark an den Willen gebunden?

Villeminot: Ja, sicher. Man muß den Kindern schon früh beibringen, sich zu entscheiden und dann zu ihren Entscheidungen zu stehen. Zum Beispiel: “Du wolltest zu den Pfadfindern oder in einen Fußballclub gehen ... und hast heute keine Lust aufzustehen? Tu es dennoch, zehn Kameraden rechnen mit Dir. Bekenne Dich zu dem, was Du beschlossen hast. Ich helfe Dir, treu zu bleiben."

Grandjean: Da ist aber nicht nur die Schulung des Willens. Es braucht auch die Fähigkeit, sich selbst anzunehmen. Wer sich nicht annimmt, kann keine Liebe schenken. Die Fähigkeit, sich selbst anzunehmen und zu lieben, wurzelt in der Liebe, die man von den Eltern empfängt. Eine spürbare Liebe, die sich in der Zärtlichkeit äußert. Wie wichtig ist die Zärtlichkeit! Das Streicheln, die Bussis, die Liebkosungen, das Berühren... Männern, denen es an Zärtlichkeit gemangelt hat, werden Ehemänner, die sich schwertun, zärtlich zu sein. Ich glaube auch, daß die Jungen hören - und an ihren Eltern oder anderen “alten" Paaren sehen - müssen, daß Treue möglich ist und Scheidung keine Lösung aller Probleme ist.

Stellt sich die Frage der Ausdauer heute in gleicher Weise wie vor 50 Jahren?

Grandjean: Nein, weil die Welt heute anders als vor 50 Jahren ist. Derzeit steht die Ehe unter Beschuß und wird gesellschaftlich nicht abgestützt.

Villeminot: Außerdem wird eine Ehe dank des medizinischen Fortschritts heute für 60 Jahre geschlossen! Das gab es früher kaum.

Grandjean: Daß die Welt sich so rasch verändert, erzeugt Ungewißheit, Ängste und Streß... und von der ehelichen Liebe erwartet man, daß sie mit all dem zurecht kommt. Die Erwartungen an die Ehepartner sind enorm! Es geht um beruflichen Erfolg, die Erziehung der Kinder, die Beziehung der Ehepartner. Überall wird auf Perfektion gedrängt. Es ist ein Wahnsinn! Die Welt hat sich so geändert, daß es keine Modelle mehr gibt. Die Ehe unserer Eltern kann nicht als Vorbild dienen. Das Umfeld ist einfach nicht mehr gleich.

Worauf muß man achten, damit die Ehe hält?

Grandjean: Ich möchte vier Punkte hervorheben:

Die Kommunikation: Das Paar muß im Gespräch sein. Nicht nur, wenn es um Informationen über Kinder, Ferien oder den Speiseplan geht! Es geht um Worte, die aus der Tiefe ihres Wesens kommen, die sagen, wer sie in Wahrheit sind.

Die Zärtlichkeit: Wissen Sie, was ich beobachte? Ehemänner, die zuerst die Kindern und den Hund begrüßen, wenn sie von der Arbeit heimkommen. Ihre Frau aber nicht grüßen. Ein Kuß und “Hallo, Schatz" zuerst - das hat Seltenheitswert. Und doch, wie einfach...

Zuhören. Man muß Zeit miteinander verbringen. Es gibt Paare, die die Hälfte der Zeit getrennt verbringen, oft aus beruflichen Gründen: einer in Paris, der andere in Marseille. Sie sehen sich nur jede zweite Woche oder am Wochenende, um sich abzustimmen, ihre Paarbeziehung aufzubauen. Das schafft man nicht!

Das Sexualleben. Es ist nicht nebensächlich. In der Ehe sind Mann und Frau ein Fleisch. An dem muß man bauen - auch daran. Und es ist nie einfach.

Villeminot: Ich füge einen fünften Punkt hinzu. Er faßt die vier zusammen: das geistliche Leben. Wenn ich bei meiner Frau bleiben will, so ist der kürzeste und der sicherste Weg der, im Herrn zu bleiben. Die Liebe Gottes und die Liebe zum Nächsten sind eines. Und ich begreife, was ausharren heißt, nur dann, wenn ich mich nach dem Ewigen ausstrecke. Das höchste Ziel der Ehe ist die gegenseitige Heiligung der Partner.

Grandjean: Aber das spielt sich in der sehr konkreten Realität dessen ab, was sie hier auf Erden bauen! Wenn Gott mir nicht zu mehr Liebe verhilft... na ja, dann fahr ich lieber in den “Club Med", als in die Kirche zu gehen! Fragt man mich einmal am Abend meines Lebens, wie ich es geschafft habe zu lieben, werde ich antworten: “Ich habe viel gerudert, aber es war Gott, der mir die Mittel dazu geschenkt hat."

Inwiefern hilft das Ehesakrament auszuharren?

Villeminot: Die Eheschließung ist ein Akt Gottes, der schafft - und immer wieder neu schafft: “Ihr werdet nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch sein." Das ist der Fels, auf den die Gatten in Notsituationen bauen können: “Es ist der Herr, der uns verbindet."

Grandjean: Am Tag Ihrer Hochzeit hat Ihnen Gott gesagt, daß Er mit Ihnen sein werde. Glauben Sie es oder nicht? Dieser Ehepartner, den Sie vor 25 oder 30 Jahren bekamen, sollte er ein Danaergeschenk sein? Nein! Gott ist treu, Er will Ihnen helfen, Ihnen die Mittel zur Hand geben, Ihren Partner neu zu erwählen.

Brauchen wir das Sakrament der Versöhnung?

Grandjean: Klar! Wir Frauen, wir vergessen nichts. Das Erinnerungsvermögen des weiblichen Herzens ist wunderbar. Aber es kann auch furchtbar, voller Groll sein. Um zu verzeihen, gibt es eine Schule, die Schule Jesu.

Villeminot: Die Versöhnung ist ein direkt mit der Treue verbundenes Sakrament. Gott ist konsequent in Seiner Entscheidung für die Liebe, da kann Ihn nichts aufhalten: Da geht Er bis zur Barmherzigkeit. Es ist dieselbe Treue, die die Ehegatten sich am Hochzeitstag versprechen: “Du kannst mit mir bis zur Barmherzigkeit rechnen." Und das setzt Dauer voraus. Aber wie soll ich dem anderen Barmherzigkeit gewähren, wenn ich nicht erfahren habe, daß Gott barmherzig ist?

Gibt es Vorzeichen einer Krise?

Villeminot: Die Unfähigkeit, miteinander in Beziehung zu treten - ein starkes, objektives Zeichen. Leider tritt es erst spät auf.

Grandjean: Andere Zeichen: das Nachtragen, die Flucht: es kommt zur Abneigung des einen oder anderen (oft des Mannes), die Traurigkeit, und die Ermüdung: es ist kräfteraubend, sich nicht auf den Partner stützen zu können. Frauen nehmen die Krise rascher wahr als Männer. Warum? Weil sie sich nicht damit abfinden, daß ihre Liebesbeziehung sich verschlechtert. Ihr Mann wird sagen: “Ich verstehe nicht, warum meine Frau nicht glücklich ist. Sie hat doch alles!" Ja, sie hat alles, außer das, was sie wirklich sucht: die Aufmerksamkeit und das Zuhören ihres Mannes. Problematisch ist oft nur die Art, wie sie all das verlangt: Sie weint, schreit, schmollt, provoziert, verschließt sich oder macht Vorwürfe. All das ist unannehmbar und vertieft den Graben zwischen den beiden.

Wie kommt man dann aber aus der Krise heraus?

Grandjean: Man braucht Hilfe von außen, so schnell wie möglich. Sonst vergräbt man sich im Schweigen oder geht im Kreis mit gegenseitigen Anschuldigungen.

Villeminot: Psychologische und “technische" Hilfe kann von Eheberatern, einem Priester, befreundeten Paaren - wenn es wirklich Freunde sind - kommen. Meiner Ansicht nach sollte man jungen Paaren raten, solange alles gut geht, nicht allein zu bleiben. Das wird es ihnen erleichtern, bei einer Krise Hilfe zu finden.

Grandjean: Diesbezüglich wäre ich vorsichtig: Freunden könnte es oft an Objektivität mangeln...

Kann man Krisen vermeiden?

Grandjean: Nein, sie sind sogar notwendig...

Villeminot: Da bin ich nicht einverstanden! Sie sind unvermeidlich, aber nicht “notwendig".

Grandjean: Oh doch! Auf Chinesisch bedeutet das Wort Krise “Gelegenheit". Die Krise ist eine Chance für die Anpassung, eine Art Angelpunkt. In der Ehe durchlebt das Paar sehr unterschiedliche Phasen: Jedesmal geht es darum, eine Kurve zu kriegen. Kommt es zur Krise und sie wird gut bewältigt, dann geht die Liebe gestärkt aus ihr hervor. Im Gegensatz dazu: Ein Paar, bei dem es nicht klappt, meidet die Krisen. So verschließt es sich und die Liebe kann nicht mehr wachsen.

Villeminot: Das stimmt. Der Krise aus dem Weg zu gehen, hat etwas mit Stolz zu tun. Mir sind aber alle verdächtig, die sagen: “Hauen wir nur aufeinander ein, dann wird es uns besser gehen!" Die Krise wird nur dann zur Chance für ein Wachstum, wenn ich bereit bin, sie als Zeichen für meine eigenen Verletzungen zu erkennen. Dann führt sie mich zu einer Haltung der Demut und der Umkehr, die mich bereit macht, Hilfe anzunehmen.

Zahlt es sich aus, in der Liebe auszuharren?

Grandjean: Und ob! Und wir, die “Alten", müssen dafür Zeugnis ablegen. Wer bereit ist, diesen Weg des Sterbens und Auferstehens zu gehen, dem wird das Geschenk zuteil, in einer immer tieferen Liebe zu leben, eine Freude zu verkosten, die unendlich mehr bedeutet als die Verliebtheit unserer jungen Jahre.

Das Gespräch führte Christine Ponsard. Nadine Grandjean und Jean Villeminot betreuen wöchentlich eine Familien-Sendung in “Radio Notre-Dame". Das Interview ist ein Auszug aus “Famille Chrétienne" v. 2.12.2000

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