VISION 20004/2004
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Europa verdrängt seine Geschichte

Artikel drucken Plädoyer für einen Gottesbezug in der EU-Verfassung

Nun ist es also fix: Die Regierungschefs der EU haben sich auf einen Verfassungstext geeinigt - und er wird keinen Bezug zum christlichen Erbe enthalten. Entlarvend für den Zeitgeist, der in unseren Ländern herrscht. Und im Widerspruch zu den historischen Tatsachen. Und nicht im Einklang mit den Formulierungen, die eine Reihe von Verfassungen der EU-Mitgliedsländer enthalten.

Auf all das weist das Buch von Joseph Weiler “Ein christliches Europa" hin. Es ist eine gediegene Auseinandersetzung mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Gottesbezugs in der Verfassung, die sich die Europäische Union geben will. Dabei ist das Besondere an dem Buch: Es stammt nicht aus der Feder eines Christen, sondern wurde von einem jüdischen Verfassungs-Experten, einem Professor in New York und Brügge verfaßt. Man wird seinen Aussagen daher nur schwer den Vorwurf machen können, es wolle der Kirche durch die Hintertür wieder politischen Einfluß zuschanzen.

Weilers Analyse ist nüchtern. Sie verweist etwa auf die vielfältigen Formen, in denen sich die Verfassungen der Mitgliedsstaaten derzeit zum Thema Glaube und Religion äußern. Da heißt es etwa im Deutschen Grundgesetz: “Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ... hat sich das Deutsche Volk ... dieses Grundgesetz gegeben"; oder in der Verfassung Maltas: “Die Religion Maltas ist die Römische Katholische Apostolische Religion"; oder in jener Polens: “... errichten Wir, die Polnische Nation - alle Bürger, sowohl jene, die an Gott als die Quelle der Wahrheit, der Gerechtigkeit, des Guten und Schönen glauben, als auch jene, die einen solchen Glauben nicht teilen...".

Eine europäische Verfassung, die all dem nicht Rechnung trägt, sei also keinesfalls weltanschaulich neutral, folgert Weiler, sondern ideologisch, eben vom Säkularismus geprägt, eine seit der Französischen Revolution - vor allem, aber nicht nur in Frankreich - vorherrschende Einstellung. Die letzten Jahrzehnte seien richtiggehend von einer Art “Christophobie", eine von krankhafter Angst geprägte Ablehnung alles Christlichen, geprägt gewesen, von einer Haltung, an der auch die Christen mitschuld seien.

Zu denken gibt Weilers Diagnose, es bestehe heute so etwas wie ein “christliches Ghetto". Verfolge man nämlich den Diskurs über die Zukunft Europas, so stoße man auf Stellungnahmen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Vergeblich suche man jedoch nach engagierten christlichen Stellungnahmen in der akademischen Debatte, stellt der Autor fest. Soweit Christen sich aber zu Wort meldeten, verschwiegen sie ihren geistigen Hintergrund.

Weiler spricht vom Skandal der abwesenden Stimme. “Es ist die Tatsache, daß in den grundlegenden Diskussionen über Europa ein expliziter und artikulierter Ausdruck des christlichen Denkens und der christlichen Lehre gefehlt hat und größtenteils weiterhin fehlen wird." Diese Abwesenheit mache alle ärmer.

Dabei habe der Papst in seinen Rundschreiben wesentliche Aussagen gemacht, die durchaus bedeutsam für den Aufbau eines zukunftsträchtigen Bauwerks Europa wären, erinnert der Jude Weiler - und bezieht sich dabei erstaunlicherweise auf die Enzyklika “Redemptoris Missio". In ihr fordert Johannes Paul II. die Christen auf, ohne Wenn und Aber für ihren Glauben einzutreten und zu werben. Er verlangt von ihnen aber auch, es so zu tun, daß den anderen jede Freiheit bleibt, das Angebot auch abzulehnen.

Europa könne nur dann zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen, wenn es diese Spannung zwischen unbedingtem Eintreten für das Gemeinsame und Anerkennung der Freiheit zur Vielfalt pflege, folgert Weiler. Daß wir derzeit weit von einer solchen Haltung entfernt sind, illustriert der Autor in einem interessanten Kapitel, das sich kritisch mit den derzeitigen Weichenstellungen in der EU auseinandersetzt.

Ein lesenswertes und über weite Strecken auch gut lesbares Buch, das in manchen Passagen allerdings eine aufmerksame Lektüre erfordert. Für uns Christen ist es eine Ermutigung, uns nicht zu verstecken, die Ermahnung eines Außenstehenden, der von unserem Glauben vieles besser begriffen haben dürfte als viele von uns.

CG

Ein Christliches Europa. Erkundungsgänge. Von Joseph H.H. Weiler. Pustet, Salzburg-München 2004, 165 Seiten, Euro 9.-

Diese und andere Bücher können bezogen werden bei: Christoph Hurnaus, Waltherstr. 21, 4020 Linz, Tel/Fax: 0732 788 117; Email: hurnaus@aon.at

 

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