VISION 20005/2013
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Der einzige Sohn Gottes

Artikel drucken Das Zentrum unseres Glaubens: Einmaligkeit der Offenbarung in Jesus Christus (Von Kardinal Kurt Koch)

„Für wen halten mich die Leute?,“ hat Jesus Seine Jünger gefragt. Diese Frage stellt Er heute auch uns. Die Antworten gehen da eben­so auseinander wie vor 2000 Jahren – selbst unter Chris­ten. Weil es da um das Zentrum des Glaubens geht,  ist die folgende  Klarstellung besonders wichtig.

Heute ist die alte Irrlehre des Arianismus erneut aktuell geworden. Sie stellt die Ursache von vielen Glaubensproblemen dar, die uns in der heutigen Theologie und in der pastoralen Praxis beschäftigen. Diese Arianisierung des Christus-Glaubens zeigt sich vor allem in dem Phänomen, dass sich nicht wenige Christen heute vor allem von den menschlichen Dimensionen an der Gestalt Jesu von Nazareth berühren lassen, dass ihnen aber das Glaubensbekenntnis, Jesus von Nazareth sei der eingeborene Sohn Gottes, der als der Auferweckte unter uns gegenwärtig ist, weithin Mühe bereitet. Selbst in der Kirche scheint es oft nicht mehr zu gelingen, im Menschen Jesus das Antlitz Gottes wahrzunehmen und Ihn als Gottessohn zu bekennen und in Ihm nicht einfach einen, wenn auch besonders guten und hervorragenden Menschen zu sehen.
Papst Benedikt XVI. hat bereits als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre hellsichtig darauf aufmerksam gemacht, dass der eigentliche Gegensatz, dem wir uns in der heute schwierig gewordenen pastoralen Situation der Kirche stellen müssen, noch nicht mit der heute viel beschworenen Formel „Jesus ja – Kirche nein“ zum Ausdruck gebracht wird, sondern vielmehr mit der Formel umschrieben werden muss: „Jesus ja – Christus nein“ oder „Jesus ja – Sohn Gottes nein“.
Dieser Bedeutungsverlust zeigt sich zweifellos in der radikalsten Form auch in der christlichen Theologie, in den religionspluralistischen Strömungen, die nicht mehr davon ausgehen, dass in Jesus Christus die Offenbarung Gottes schlechthin geschehen ist. Sie nehmen in Jesus vielmehr nur eine Offenbarungsgestalt unter vielen anderen wahr und zwar in der Annahme, das Geheimnis Gottes könne sich ohnehin keiner Offenbarungsgestalt ganz zeigen. Dementsprechend wird betont, es gäbe nicht nur eine Vielfalt von Religionen, sondern auch eine Pluralität von Offenbarungen Gottes. Demgemäß sei Jesus Christus ein religiöses Genie neben anderen im postmodernen polytheistischen Olymp.
Diese religionspluralistische Bestreitung, dass Jesus Christus die Offenbarung Gottes und damit der einzige und universale Mittler des Heiles für alle Menschen ist, ist der zentrale und fundamentale Punkt des christlichen Glaubens. Dabei steht die Identität des Christentums auf dem Spiel, dem es um das elementare Bekenntnis zur geschichtlichen Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth geht.
Mit diesem christologischen Fundamentalbekenntnis steht oder fällt der christliche Glaube. Wenn Jesus, wie heute selbst viele Christen annehmen, nur ein Mensch gewesen wäre, dann wäre er unwiderruflich in die Vergangenheit zurückgetreten und nur unser eigenes Erinnern – das ja manchmal nicht so ganz stark ist – könnte Ihn dann mehr oder weniger in unsere Gegenwart hereinholen. So aber wäre Jesus nicht der einzige Sohn Gottes, in dem Gott selbst bei uns gegenwärtig ist. Nur wenn das kirchliche Bekenntnis wahr ist, dass Gott selbst Mensch geworden und Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist und so Anteil an der Gegenwart Gottes hat, die alle Zeiten umgreift, nur dann kann Jesus Christus nicht bloß gestern, sondern auch heute unser wirklicher Zeitgenosse sein. Nur wenn Jesus nicht nur ein Mensch gewesen ist, der vor 2000 Jahren gelebt hat, sondern als Sohn Gottes auch heute lebt, können wir Seine Gegenwart erfahren und können wir durch Jesus Christus erfahren, wer und wie Gott ist.
Wer es mit dem Menschen Jesus zu tun bekommt, bekommt es mit dem lebendigen Gott selbst zu tun, der Sein Antlitz in Seinem Sohn gezeigt hat.
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Die neutestamentliche Botschaft (ist) überzeugt, dass es sich beim Bekenntnis zur Auferstehung Jesu um den radikalen Ernstfall des christlichen Glaubens handelt, wie der Apostel Paulus den Korinthern, die den Glauben an ihre eigene Auferstehung offensichtlich nicht annehmen wollten, mit aller nur wünschbaren Deutlichkeit geschrieben hat: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos“ (1 Kor 15, 13-14). Dieselbe Grundüberzeugung hat die alte Kirche mit den kernigen Worten zum Ausdruck gebracht: „Nimm die Auferstehung hinweg, und auf der Stelle zerstörst du das Christentum.“
Diese Glaubenszeugnisse dokumentieren, dass es den biblischen Schriftstellern und den ersten Christen ganz bewusst gewesen ist, dass der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi den Kerngehalt ihres Bekenntnisses bildet und dass es sich bei ihm folglich nicht bloß um einen mehr oder weniger wichtigen Zusatz zu ihrem Gottesglauben handelt, sondern um seine Radikalisierung, gleichsam um die entscheidende Feuerprobe, die er zu bestehen hat: Was wäre dies denn für ein Gott, der Jesus, seinen geliebten Sohn, im Tod gelassen hätte?
Der im christlichen Glauben offenbare Gott stellt aber seine unbeirrbare Treue auch und gerade über Kreuz und Tod hinaus unter Tatbeweis. Nur ein Gott, der, um mit Walter Bejamin zu reden, den „Tigersprung ins Vergangene“ schafft und der auch dem der Vergangenheit anheimgegebenen Toten neues Leben zu schenken vermag, verdient den Namen „Gott“.
Dieses großartige Werk der Auferweckung hat Gott in exemplarischer Weise am getöteten Jesus inszeniert. Ihn, den die Menschen ans Kreuz geschlagen haben, hat Gott gerade nicht im Tod gelassen, sondern hat ihn aus dem Tode auferweckt in sein österlich neues Leben hinein. In der Auferstehung Jesu Christi hat sich Gott als wahrer „pontifex maximus“ zwischen dem menschlichen Todesbereich und dem Reich seiner lebendigen Ewigkeit erwiesen. Das Bekenntnis zur Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod in das neue und ewige Leben bei Gott ist das Lebenszentrum des christlichen Glaubens.

Der Autor ist Präsident des Rates für die Einheit der Kirche, sein Beitrag ein Auszug aus seinem Vortrag: „Gottes Antlitz in Jesus Christus schauen“ am 28.8.13 im Rahmen der Theologischen Sommerakademie in Aigen im Mühlkreis.

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