VISION 20002/2018
« zum Inhalt Schwerpunkt

Europa hat dreimal Nein zum Leben gesagt

Artikel drucken (Kardinal Christoph Schönborn)

Worin besteht die Schuld Europas? Seine Hauptschuld ist das Nein zum Leben. Vor einigen Tagen antwortete ich im österreichischen Fernsehen einem Journalisten: „Europa hat in den letzten 40 Jahren dreimal Nein zu seiner eigenen Zukunft gesagt.“ Das erste Mal im Jahr 1968 – wir feiern jetzt 40 Jahre – durch das Ablehnen von Humanae vitae. Das zweite Mal im Jahr 1975, als die Abtreibungsgesetze Europa überschwemmt haben. Und nun das dritte Mal: Gerade gestern habe ich die Nachricht bekommen, dass auch in Österreich die Regierung der „homosexuellen Ehe“ zuzustimmen plant. Das ist das dritte Nein zur Zukunft und zum Leben. Und dies ist nicht zuerst eine moralische Sache, sondern eine Frage der Gegebenheiten, der Fakten: Europa ist im Begriff zu sterben, da es Nein zum Leben gesagt hat. (…)
Wir haben „Nein“ zu Humanae vitae gesagt. Auch wenn wir selbst damals nicht Bischöfe waren, so waren es doch unsere Mitbrüder. Wir hatten nicht den Mut, ein klares „Ja“ zu Humanae vitae zu sagen.
Es gibt Ausnahmen: Der damalige Kardinal von Berlin, Kardinal Bengsch, hatte einen prophetischen Text für die deutsche Bischofskonferenz vorbereitet. Aber dieser Text ist verschwunden und erschienen ist die Königsteiner Erklärung, welche die katholische Kirche in Deutschland geschwächt hat, das Ja zum Leben zu sagen.
Es gab noch eine andere Ausnahme, nämlich in Krakau: Eine Gruppe von Theologen hat unter der Leitung des Erzbischofs und Kardinals von Krakau, des vielgeliebten Papstes Johannes Paul II., ein Memorandum geschrieben und an Papst Paul Vl. geschickt. Ich denke, dass dieses Zeugnis eines Bischofs der Märtyrerkirche, der schweigenden Kirche, mehr Gewicht hatte als all die Gutachten, die Papst Paul Vl. zu diesem Thema erstellen ließ. Es hat ihm geholfen, diese mutige Entscheidung zu treffen, derentwegen er dann in einer schlimmen Einsamkeit geblieben ist.
Auch wenn ich keinen historischen Beweis habe, bin ich mir innerlich sicher, dass dieser Text aus Krakau Paul Vl. den Mut gegeben hat, Humanae vitae zu schreiben. (…)
Aber wir Bischöfe hatten keinen Mut. Aus Angst verschlossen wir uns hinter den Türen, nicht aus Angst vor den Juden (1Joh 20,19), sondern wegen der Presse – und auch wegen des Unverständnisses unserer Gläubigen.
Weil wir keinen Mut hatten, veröffentlichten wir in Österreich die Mariatroster Erklärung, so wie in Deutschland die Königsteiner Erklärung. Dies hat im Volk Gottes den Sinn für das Leben geschwächt und die Kirche entmutigt, sich für das Leben zu öffnen. Als dann die Welle der Abtreibung kam, war die Kirche geschwächt, da sie den Mut des Widerstands nicht gelernt hatte, einen Mut, wie wir ihn in Krakau gesehen haben und wie ihn Papst Johannes Paul II. während seines ganzen Pontifikats gezeigt hatte, den Mut, ja zu sagen zu Gott, zu Jesus, auch um den Preis der Verachtung. Aus Angst waren wir hinter den verschlossenen Türen.

Auszug aus der Predigt im Rahmen des “Gemeinschaftstages der Bischöfe Europas" (24. bis 29. März 2008)

© 1999-2024 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11