VISION 20001/2023
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Gott hatte einen besseren Plan für mich

Artikel drucken Der Schlaganfall seiner erwachsenen Tochter veränderte von heute auf morgen das Leben eines engagierten Missionars
   
  Ehepaar Moens mit Tochter Marie-Anne  

Es ist neun Uhr morgens in Rom am 17. Jänner 2019. Jean-Luc Moens beginnt seinen Tag mit einer Zeit des Lobpreis-Gebetes. Seit seiner Ernennung durch Papst Franziskus zum Moderator von „Charis“, einem neuen internationalen Dienst für die charismatische Erneuerung, lebte der damals 67-Jährige die meiste Zeit in der italienischen Hauptstadt. Mitglied der Emmanuel-Gemeinschaft seit bald 40 Jahren, bereitet der Belgier den offiziellen Start dieser Einrichtung, der für das nächste Pfingsten geplant ist, vor.
Während er betet, nimmt er wahr, dass sein Handy vibriert. Vielleicht ein Anruf des Maklers, mit dem er an diesem Tag einen Termin hat, um den Mietvertrag für seine neue römische Unterkunft zu unterschreiben…
Nein. Auf dem Bildschirm des Geräts erscheint der Vorname von Anne, seiner Frau, die zunächst noch in Belgien geblieben war. Ohne zu zögern, hebt Jean-Luc Moens ab. „Das Herz unserer Tochter hat aufgehört zu schlagen!“, hört er seine Frau panisch ins Telefon rufen. Ihre Tochter Marie-Anne sei schwer­krank.
Da erlebt Jean-Luc, 1.500 Kilometer vom Geschehen entfernt, pures „Grauen“, wie er jetzt mehr als drei Jahre später gesteht. Also setzt er sein Gebet fort: Die einzige und beste Lösung in dieser Situation...
45 Minuten lang kämpfen die Rettungskräfte, um Marie-Anne wieder zum Leben zu erwecken. Sie schaffen es zuletzt. Ein Wunder. Aber nicht das Ende der Tortur. Im Koma erleidet die junge Mutter einen Schlaganfall. Wieder überlebt sie, aber diesmal mit Folgen. „Sie war bleibend linksseitig gelähmt, ebenso auch ihre Beine,“ erklärt Jean-Luc Moens.
So beschließt er, Marie-Anne gemeinsam mit seiner Frau zu pflegen und seine Beschäftigung bei Charis zu kündigen. Er verlässt Rom, um in das Haus seiner Familie in Louvain-la-Neuve zurückzukehren, und tauscht damit ein interessantes Leben, verbunden mit vielen Flugreisen, für einen Alltag, der sich um seine behinderte Tochter dreht. „Gott hatte einen besseren Plan,“ sagt er heute gern.
Diese Herausforderung sowie eine schwere Covid-19-Erkrankung, bei der er ein „mystisches Erlebnis“ hatte, machten ihn zum Zeugen. (…) Tief verwandelt geht er aus all dem hervor, und ist sich nunmehr sicher: „Gottes Allmacht kommt darin zum Ausdruck, dass Er Böses in Gutes zu verwandeln vermag.“
Siehe dazu das folgende Interview.

Wie ist es Ihnen in den letzten beiden Jahren ergangen?

   
 Jean-Luc Moens  

Jean-Luc Moens: Unglaublich viele Leute haben für die Heilung von Marie-Anne gebetet. Selbst der Papst hat Fürsprache für sie gehalten. Ein charismatischer Freund, Damian Stayne, der meine Tochter besucht hat, hat mir etwas später gesagt: „Weißt du, wir haben sie dem Tod entrissen. Wir haben da all unseren Glauben an den Herrn in die Waagschale geworfen, um ihre Heilung zu erhoffen.“ Wir erhoffen sie immer noch. Und wenn sie noch nicht eingetreten ist, so gibt es doch Fortschritte. Ich bin weiterhin überzeugt, dass Gott einen größeren Plan für Marie-Anne und die ganze Familie hat. Was das heißt? Dass sich die Vorsehung in jedem Augenblick unserer annimmt. Das Kreuz gibt es immer um eines größeren Gutes willen. Diesen „besseren Plan“, von dem ich rede, habe ich einem Buch entnommen, das mich zutiefst berührt hat. Es erzählt das Leben von Don Michele Peyron, einem italienischen Priester, den die Vorsehung fasziniert hat.

Wie hat sich die Ankunft Ihrer Tochter bei Ihnen zu Hause abgespielt?
Nachdem Marie-Anne ein Jahr im Spital verbracht hatte, ist sie bei uns in Louvain-la-Neuve drei Tage vor dem in Belgien verhängten Lockdown angekommen, am 17. März 2020. Um sie bei uns aufzunehmen, hatten wir in unserer Wohnung die Einrichtung entsprechend anzupassen. Nichts war auf diese Situation eingerichtet gewesen. Der Schlaganfall hatte die intellektuellen Fähigkeiten unserer Tochter im Gegensatz zu ihren körperlichen in keiner Weise verändert. Sie ist immer noch Doktor in Mathematik und spricht vier Sprachen. Wir haben sie niemals klagen gehört. Und dabei hatte sie in wenigen Wochen alles verloren: ihren Mann, der sie in den Wochen nach ihrer Erkrankung verlassen hatte, ihre Kinder, die dem Vater zugesprochen worden waren, ihren gesunden Leib, aber auch ihre Arbeit, ihr Haus… Als sie aus dem Koma erwacht war, haben wir sie gefragt, ob sie froh sei, trotz allem mit dem Leben davon gekommen zu sein, worauf sie geantwortet hat: „Ja, ich bin es.“ Eines Tages hat sie eine Schwester im Spital gefragt, worunter sie am meisten leide. Ihre Antwort: „Dass mich mein Mann verlassen hat…“

Wie geht man als Eltern damit um, wenn man mit einem solchen Leiden, wie dem ihrer Tochter, konfrontiert ist?
Moens: Ich sage nicht, dass es einfach ist. Wir haben sehr gelitten und tun es immer noch. Wie der heilige Paulus sind wir dazu berufen, in unserem Fleisch an den Leiden Christi das zu ergänzen, was fehlt. Wahrscheinlich kann das nicht jeder. Für manche ist das unvorstellbar und unerträglich. Ich denke aber – und ich will niemanden schockieren, indem ich das sage –, dass Gott uns erwählt hat, um am Leiden Seines geliebten Sohnes am Kreuz teilzuhaben. Diese Überzeugung ist Ergebnis unseres Lebensweges, des Einverständnisses mit Jesus. Seit 50 Jahren bete ich täglich und gehe zur Messe. Ich habe keine Erscheinungen. Alles, was ich hier sage, ist Ergebnis eines Glaubensaktes, den ich täglich wiederholen muss. Keine Frage: Vor 30 Jahren hätte ich nicht so gesprochen wie heute. Das Leiden ist nicht weggenommen. Ich kann damit leben, weil ich es aufopfere. So wird es ein Akt der Liebe.

Wie spielt sich Ihr Alltag rund um Ihre Tochter Marie-Anne ab?
Moens: Jeden Tag sind Aktivitäten rund um Marie-Anne zu erledigen, die mindestens einen von uns beschäftigen, meistens meine Frau. Am Morgen und am Abend kommt eine Krankenschwester, die sie medizinisch und körperlich pflegt. Von deren sich zeitlich ändernden Besuchen sind wir abhängig. An den Wochenenden kommt sie um halb sieben. Kein Ausschlafen mehr… Wenn möglich, nehme ich meine Tochter in die Messe mit. Dann essen wir zu dritt. Ein Detail hat mich betroffen gemacht. Jahrelang hatten wir die Eucharistie daheim. Heute befindet sich Marie-Annes Bett genau an dem Ort, wo früher der Tabernakel war. Ich bilde mir ein, dass Jesus mir sagt: „Jetzt bin ich im Leib deiner Tochter zu dir zurückgekommen.“ Wir nehmen Jesus in unserer versehrten Tochter auf.
(…)
In der Zwischenzeit waren Sie schwer an Covid erkrankt…
Moens: Ja, ich habe mehr als 14 Tage mit meinem Kopf unter einem Helm, in den dauernd Sauerstoff eingebracht wurde, verbracht. Sehr besorgt hat mich das nicht gemacht, da ich keine Schmerzen hatte und im besten römischen Spital, was Infektionskrankheiten anbelangt, untergebracht war. An einem Nachmittag, ich weiß nicht mehr warum, habe ich die kleine Luke an meinem Helm geöffnet. Als die Schwester das bemerkte, hat sich mich richtig „angeschnauzt“, ich dürfe das nie mehr machen. „Wenn ich nicht einmal zehn Sekunden mit offener Luke verbringen darf, muss es wohl ein Problem geben…“, war mir dann doch klar.

Sie haben bezeugt, dennoch eine „gesegnete Zeit mit dem Herrn“ im Spital in Rom verbracht zu haben.
Moens: Insgesamt war ich fünf Wochen im Spital. Eines Tages hatte ich blitzartig eine „mystische Erfahrung“; ich habe von Gott einen Kuss bekommen… Ich hatte vorher Seine Liebe nie mit solcher Intimität erlebt. Unter meinem Helm kamen mir die Tränen. Von da an hat sich mein Beten geändert. Ich fing an, Jesus „meinen Herzallerliebsten“ zu nennen, Gott „meinen lieben Papa“, was ich vorher nie getan hatte. Gott ließ mich ganz konkret eine verrückte Liebe erfahren. (…) Während meiner Genesung in Rom hatte ich nur ein Buch bei mir, das von P. Pierre Descouvemont, einem Freund. Es heißt Les Messages d’amour de Jésu à Gabrielle Bossis. Während meines Spitalsaufenthaltes habe ich es vielleicht 30- oder 40-mal gelesen. Diese Botschaft an Gabrielle Bossis haben mich wirklich auf meine „mystische Erfahrung“ vorbereitet. Insbesondere Sätze wie: „Liebe mich, so gut du es kannst, ich ergänze, was fehlt“ oder „Sag mir oft: ,Jesus, Du bist da, und ich liebe Dich’.“ Das ist einer der Schlüssel zu meinem spirituellen Leben: der Glaube an die Gegenwart Christi in mir. Mein Herzallerliebster ist in meinem Herzen und ich bin in Seinem.
Im Spital konnte ich nicht täglich zur Messe und zur Anbetung gehen, wie es meine Gewohnheit war. Ich erlebte Jesu Gegenwart und Seine Liebe. Wenn ich das Gefühl hatte, Ihn nicht genug zu lieben, gab Er mir zur Antwort: „Liebe mich, so gut du es kannst, ich ergänze, was fehlt.“ Davon habe ich fünf Wochen lang gelebt. Es waren Tage eines intensiven Herz zu Herz mit meinem Schöpfer.

Hatte Ihrer Ansicht nach Gott einen Plan mit Ihnen?
Moens: Ich denke, Gott hat mich beiseite geschafft, um zu meinem Herzen zu reden. Ich hatte vorher ein hektisches Leben, war viel in der ganzen Welt unterwegs, von einem Treffen zum anderen. Das Leben stand still, von einem Tag zum anderen hat sich alles Gewohnte in Luft aufgelöst. Übrig blieb nur das Gebet. Als ich ins Spital kam, sagt mir dort der Seelsorger: „Du wirst sehen, Gott wird Dich Dein Leben Revue passieren lassen.“ Eine echte Prophetie! Während dieser „Einkehr“ hat Gott mich von meinen Skrupeln befreit. Ich hatte nämlich immer die Sorge, nicht genug für Ihn zu tun. Ich lebte wie auf den Fußspitzen gehen im Versuch, Gottes Gnaden zu verdienen. Und jetzt hatte ich den Eindruck, meine Fußspitzen machten mich nicht ausreichend groß! Während meiner Covid-Zeit, hat Jesus mir im Inneren gesagt: „Ich kümmere mich darum; von Anfang an habe ich meine Hand auf Dich gelegt.“ Gott hat mir zu verstehen gegeben, ich müsse nicht allein agieren, es sei nämlich Er selbst, der in mir am Werke sei.

Hat das Ihr Leben verändert?
Moens: Ja, aber der Kampf geht weiter. Nicht weil man ein Erlebnis mit Gott gehabt hat, wird dann alles einfach. Andere Kämpfe treten auf oder die alten kommen wieder – nur stärker! Mein Leben ist also nicht etwa ein langer ruhiger Fluss geworden. Wie Paul Claudel sage ich: „Jesus ist nicht gekommen, um das Leiden zu erklären. Er kam, um mit uns zu leiden.“ Gott sendet nicht das Leiden. Nichts kann so falsch sein, wie das zu denken. Gott ist kein Masochist. Aber er lädt uns ein, unser Leiden gemeinsam mit Seinem Sohn zu tragen, um eines größeren Gutes willen. Und das, das ändert alles von Grund auf!

Auszug aus einem Gespräch das Benjamin Coste für Famille Chrétienne v. 29.10.22 geführt hat.





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