VISION 20003/2008
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"Setzt mir zu mit Bitten und Flehen!"

Artikel drucken Das Fürbittgebet als Werk der Göttlichen Barmherzigkeit (Von Urs Keusch)

Gottes Barmherzigkeit wirkt nicht wie ein “Rettungsautomat". Sie muß angenommen werden. Das erfordert eine bewußte Abkehr vom Bösen, eine Öffnung auf Gott hin. Dies muß wieder klar verkündet werden.

Nach einem Gottesdienst kam einmal eine Frau auf mich zu, sie war ganz aufgebracht, und sagte zu mir: “Herr Pfarrer, etwas kann ich nicht verstehen: Wenn doch Gott die Liebe ist und unendlich barmherzig, wie können Sie dann noch predigen, es könne ein Mensch ewig verloren gehen; das ist doch reines Mittelalter, ein Widerspruch in sich. Gott braucht doch unser Gebet für die “armen Sünder" nicht, er wird doch von selbst fertig mit ihnen..."

Wer so spricht - und heute sind es viele - kennt die Bibel nicht, er weiß nichts um die tragische Abgründigkeit des menschlichen Daseins, um sein hartes dauerndes geistliches Angefochtensein, er hat noch nie das Evangelium aufmerksam gelesen, noch nie Jesus richtig zugehört, wenn Er z.B. sagt: “Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin ist schmal, und nur Wenige finden ihn." (Mt 7,13-14)

Gerade weil es für uns Menschen in diesem Leben so schwierig ist, den schmalen Weg zu gehen und ihn einzuhalten, weil es ein mächtiges negatives Gefälle gibt in dieser Welt und im Herzen der Menschen: ein Gefälle zur breiten Straße hin, zur Gleichgültigkeit, zur Sünde, zum Egoismus hin, zur Lüge und zur Lieblosigkeit, zur Eitelkeit und Geldgier, zum Stolz, zur Unsittlichkeit, zum Dunkeln und Gemeinen hin (Okkultismus, Spiritismus, Grübelei, Pornografie etc.) - darum schaffen wir den Weg zum Himmel nicht, wenn uns Gottes unendliche Barmherzigkeit nicht dauernd, ja, ununterbrochen entgegenkommt, uns die Hand entgegenstreckt, damit wir nicht fallen, und wenn wir gefallen sind - siebenmal am Tag - diese rettende Hand barmherzig uns aus der Tiefe wieder herauszieht - wenn wir nur wollen!

Die Bibel sagt uns, die Kirche lehrt uns, die Heiligen wiederholen es tausendmal: Wer nicht auf Gott hin ausgestreckt stirbt, in der glaubenden und hoffenden Hinneigung zu Ihm, in der Sehsucht nach seiner Liebe, nach seiner Wahrheit, nach seinem Erbarmen, nach seiner Gerechtigkeit, der hat kein Ziel für sein Sterben, kein Land für seine Seele, keine Wohnung für seine Unsterblichkeit, er stirbt in die Dunkelheit hinein, ins Unbekannte, in die Finsternis hinein.

Mich hat der Leserbrief von Irene Rippel “Hoffnung geben" in der letzten Nummer von VISION 2000 (2/2008) aufgerüttelt, wo sie u.a. schreibt: “Heute werden wir zugeschüttet mit falschen Toleranzen und psychologischen Ausreden, ja, sogar belehrt, daß Gutes schlecht ist und Böses gut... Ihr Hirten, helft uns in unserem Alltag, Familien und Lebensumständen, nicht nur Humanitäres zu tun, sondern nach den Geboten Gottes zu leben." Hier wird die Not zum Schrei.

Mit Recht beklagen viele Menschen einen beängstigenden geistlichen Notstand in der Kirche, in den hinein eine kirchliche Verkündigung geführt hat, die glaubte: Wenn wir die Botschaft der Bibel - im Geiste der Zeit - homöopathisch verdünnen, werden wir die Menschen - ganz ohne böse Nebenwirkungen für sie und die Prediger - viel leichter für das ewige Heil gewinnen! Was für ein verhängnisvoller Irrtum!

Die Menschen wissen heute nicht mehr, warum sie sich noch moralisch anstrengen sollen. Sie sehen nicht mehr ein, warum sich Christus bis auf die Knochen auspeitschen ließ, warum Er sich an Händen und Füßen durchbohren und seinen Leib und sein Herz mit einer Lanze aufreißen ließ. Viele haben für den Gekreuzigten nur noch ein Achselzucken übrig - oder im Duktus Nietzsches: “Fort mit einem solchen Gott!" Was für eine Sonnenfinsternis ist in den vergangenen Jahrzehnten über das “christliche Abendland" hereingebrochen! Wie ganz anders sehen es doch die Heiligen, wenn zum Beispiel Starez Siluan vom Berge Athos seinen Gläubigen sagt:

“Ein sündiges Leben ist seelischer Tod, die Liebe zu Gott aber ist das Paradies der Seligkeit. Zu beklagen sind die Menschen, die Gott nicht kennen. Sie sehen nicht das ewige Licht, und nach dem Tod versinken sie in die ewige Finsternis. Der gläubige Christ aber kennt das Licht, denn der Heilige Geist hat den Heiligen offenbart, was im Himmel und was in der Hölle ist."

Die Schweizer Ordensgründerin, Sr. Maria Bernarda (1848-1924), welche die Kirche am 12. Oktober dieses Jahres heilig sprechen wird, sie hat um diese Sonnenfinsternis gewußt, sie hat sich verzehrt in der Sehnsucht nach dem Heil der unsterblichen Seelen. Täglich hat sie die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz betrachtet. Im vierten Wort des sterbenden Herrn “Mich dürstet" betet und schreibt sie in ihren persönlichen Aufzeichnungen, daß Jesus “noch ein anderer, weit schmerzvollerer Durst: der Durst nach der Rettung der unsterblichen Seelen" quäle.

Sie klagt um die Seelen, die ewig verloren gehen, “weil sie Dein heiliges Blut mit Füßen treten, nicht an Dich glauben, nichts von Dir wissen wollen, Deine Lehren nicht befolgen, und so sich selbst freiwillig verdammen." Und sie fährt fort mit erschütternden Worten:

“Weder die Engel noch die Heiligen noch wir Menschen können die Qualen der Hölle erfassen, die ewige Trennung von Dir, nur Dir mit dem Vater und dem Heiligen Geist ist es offenbar, was dieser Abgrund von Qualen und Schrecknissen in sich faßt und das in alle Ewigkeit der Ewigkeiten - deshalb ist so groß, so maßlos groß Dein Schmerz, Dein Seelendurst, o Jesus!"

Von Maria Bernarda, deren Heiterkeit und Liebenswürdigkeit immer wieder hervorgehoben werdem, wird gesagt, daß sie ihr ganzes Leben lang um Barmherzigkeit für die Menschen gebetet habe. Auch in der Nacht, während die andern schliefen, habe sie für die Menschen gebetet. Schon als Kind hat ihr Gott eine tiefe Erkenntnis in das Geheimnis und die Macht des Fürbittgebetes geschenkt. Einmal ist es der Herr selbst, der sie mit diesen erschütternden Worten anfleht:

“Helft Mir! Drängt Mich Tag und Nacht in heiligem Ungestüm, setzt Mir zu mit Bitten und Flehen, daß Ich die armen Sünder rette und zu Mir bekehre!"

Was für eine “herzzerreißende Bitte" aus dem Mund des ewigen Königs! Wir können sie nicht erfassen, nicht verstehen, wir können ihr nur entsprechen durch größere Treue im fürbittenden Gebet. Wie sagt doch die Heilige Thérèse von Lisieux: “Jesus will nichts ohne uns tun. Der Schöpfer des Alls wartet auf das Gebet einer armen, kleinen Seele, um die anderen zu retten, die wie jene mit dem Preis seines Blutes erkauft worden sind."

Auch im Tagebuch der heiligen Faustyna - der Apostelin der Barmherzigkeit - bittet Jesus inständig um das Fürbittgebet für unsere Brüder und Schwestern, die in Gefahr sind, für ewig verloren zu gehen. Dieses Gebet nennt die Kirche ein geistliches Werk der Barmherzigkeit. Wie dringend braucht es unsere Welt, wie dringend der Herr, daß Er seine Kinder und seine Welt retten kann!

Beten wir, wo immer wir uns aufhalten: Beim Einkaufen, in der Straßenbahn, beim Besuch der Kirche, im Flugzeug, beim Fernsehschauen, am Strand, in der Fabrikhalle usw. , beten wir für die Menschen, denen wir begegnen, die unseren Weg kreuzen, vor allem für die jungen Menschen, für die Kranken, die Sterbenden. “Jesus, rette deine Kinder! Erbarme Dich unser." Tun wir es auch im täglichen Gebet zusammen mit andern, mit der Familie. Denn “maßlos ist Dein Schmerz, Dein Seelendurst, o Jesus."

Der Autor ist Pfarrer emeritus.

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