VISION 20001/2011
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Die Geister wurden zu Tyrannen

Artikel drucken Heute ist er Priester, aber er hat eine bewegte Geschichte hinter sich… (P. Jean-Christophe Thibaut)


Ein agnostischer oder atheistischer familiärer Hintergrund, Neugier in der Pubertät, Verführung: Wie leicht landet man heute in der scheinbar so faszinierenden Welt der esoterischen Praktiken und der geistigen Mächte. Ein Zeugnis:

Ich bin in einer Familie, die mit dem Kommunismus sympathisierte, groß geworden. Mein Vater war Englisch-Professor, ein Marxist-Leninist, meine Mutter, eine Malerin, Kunstlehrerin und Maoistin. Dennoch bin ich 1960 in einer katholischen Entbindungsstation in Lille zur Welt gekommen. Sie war eben gleich nebenan. Kurz darauf, am folgenden Sonntag, wurde ich getauft. Das war einfach so üblich.
Ich war der älteste von dreien, einem Bruder, einer Schwester. Als Katechismus verpaßte man mir Marxismus-Unterricht – mit Auswendiglernen. In meinem Zimmer prangte ein Poster von Che Guevara sowie eines einer Genossin mit erhobener Faust, im Hintergrund die chilenische Flagge und der Slogan: „Ein einiges Volk wird nie besiegt werden.“ 1965 beschlossen meine Eltern zur Scholle zurückzukehren. Sie haben den am meisten heruntergekommenen Bauernhof in Thiérache gepachtet: kein Trinkwasser, keine Heizung. Ich erinnere mich dann an so große Einsamkeit, daß ich anfing, Selbstgespräche zu führen. Die Eltern schickten mich zum Kinderpsychiater. Er empfahl Gruppenaktivitäten, um mich aus meinem „Autismus“ herauszuholen. Und so schickte man mich zu den Wölflingen. Auch dort war nicht von Gott die Rede.
Mai 1968: Endlich die Revolution, die alles verändern würde! Während meine Eltern demonstrierten und Barrikaden errichteten, war ich in Bücher – der sehr eklektischen Bibliothek meiner Eltern – vertieft. Fragen nach dem Sinn des Lebens trieben mich um. Wenn aber Gott nicht existiert – Er sei, wie meine Eltern sagten, nur eine Projektion des menschlichen Unterbewußtseins und Religion nur „Opium des Volkes“ –, mußte man anderswo nach Antworten suchen…
Eines Tages fällt mir ein Buch über Radiästhesie in die Hände. „Genial,“ denke ich, „ich mache das wie Professor Tournesol in den Tintin-Büchern.“ Ich habe mir also ein Pendel gebastelt, habe meinen Bruder in den Garten geschickt, Gegenstände zu verstecken… und sie tatsächlich alle durch das Pendeln gefunden. Es funktionierte!
In der vierten Klasse Mittelschule lese ich „À la recherche de Bridey Murphy“, den Bericht über eine Frau, die unter Hypnose in frühere Leben zurückkehrt. Fasziniert leihe ich das Buch einem Schulkollegen. „Und wenn wir das auch versuchen?“ Wir decken uns mit Büchern ein und beginnen, einander zu hypnotisieren, indem wir Geister beschwören. Und diese antworten… Blitzartig geraten wir in diesen Sog – und zwar tief hinein. Geister dringen in uns ein, Mächte treten auf. Wir sind zwischen Faszination und Angst hin und her gerissen.
Eines Tages spricht mein Freund mit der Stimme eines Erwachsenen. Ich lasse ihn die Aufzeichnung hören. Er erblaßt. Die Stimme sagt: „Mein Name tut nichts zur Sache…“ (so unterzeichnet der Teufel, wie ich später erfahren werde).
Jeder von uns hat seinen Geist. Diese „Meister“ führen uns in die Magie ein. Wir ergeben uns ihrer Macht, als sie uns durch den Mund meines Freundes – mit verschlossenen Augen im dunklen Zimmer – die Worte nennen, die ich vorher auf einen Zettel geschrieben hatte, der in einem verschlossenem Kuvert steckt. Hochmut steigt uns in den Kopf. Wir sind Eingeweihte, etwas Besseres. Nicht so wie die übrigen Sterblichen.
Meine Eltern nannte ich von nun an „Erzeuger“ und behandelte sie mit Verachtung, die nicht zu übersehen war (ja, der Spiritismus führt zum Hochmut oder in den Wahnsinn. Er zerstört das vernünftige Denken, bringt dich dazu, alles zu glauben, zu schlucken – aber auch alles zu tun.)
Eines Tages, mit 18, verlangen die Geister, daß wir nach Sarlat, im Périgord fahren. Keine Widerrede, wir haben gefolgt, haben uns unterworfen. Da wir in Cambrai wohnen, war das ja nicht gerade nebenan! Die Hin- und Rückfahrt haben wir in einem Tag erledigt. Ich mußte nur den Daumen hochhalten und schon blieb ein Auto stehen, um uns mitzunehmen. Auf Befehl haben wir dort eine Kapelle geschändet – möge der Herr es mir vergeben! Diese Erinnerung weckt mich heute noch aus dem Schlaf.
Nach der Matura hätte ich gern Literatur studiert. Aber die Geister wollten, daß ich Psychologie inskribiere. „Das ist Teil eines Planes,“ war die Erklärung. Ich folge also und trete in Lille-III ein (wenn man auch nur den kleinen Finger in das Räderwerk des Spiritismus steckt, gerät man als ganzer hinein. Daher rate ich den Jungen: Nicht einmal ankommen! Die Geister werden zu Tyrannen bis in die kleinsten Einzelheiten des Lebens. Das geht so weit, daß sie verbieten, eine weiße Linie auf der Straße zu überschreiten!)
Auf der Uni werde ich Mitglied der „Revolutionären Kommunistischen Liga“. Vom Zeitalter des Fischs treten wir in das des Wassermanns ein – der Übergang von einer Ära in die nächste geht nie ohne politische und soziale Zerstörung über die Bühne. Allerdings bin ich von der Schüchternheit der Liga enttäuscht. Man beschränkt sich darauf, Vorlesungen zu verhindern… Die Professoren sind froh, früher heimzukommen, die Studenten auch. Wo bleibt da die alles zerstörende Brandungswelle, von der ich träumte? Mit meinem übertriebenen Eifer handle ich mir den Ausschluß aus der Liga wegen „Extremismus“ ein.
Davor aber wird mir noch eine Mission anvertraut: Unser Lokal liegt genau über der katholischen Seelsorgestation. Sie ist uns ein Dorn im Auge, vor allem, weil bei den Katholen mehr Leute als bei uns sind. Um welche loszueisen, schicken mich die Verantwortlichen auf „Katholikenfraß“: nicht mit dem Holzhammer, sondern mit der feinen Klinge, durch Unterwanderung, Diskussionen…
Ich finde rasch mein Opfer: Christoph, ein ehemaliger Schulkollege, Wirtschaftsstudent und sehr engagiert bei den Pfadfindern, ein bekennender Christ, der den Glauben nicht versteckt. Der Bursche hat eine Schwachstelle: sein Vater ist vor ein paar Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Kein Problem, ihn an diesem Punkt anzugreifen: „Du meinst, Gott ist gut, wo er doch deinen Vater sterben ließ?“
Um an ihn heranzukommen, gehe ich zu den Pfadfindern. Wenn Christoph den Glauben verliert, fällt die ganze Gruppe um. Das wird für mich nur ein Häppchen. Dieser Gott, der Mensch geworden ist – das ist nur etwas für Vollidioten oder alte Frauen, die vor dem Sterben nach einer Versicherung ausschauen. Das ins Wanken zu bringen, wird kein Problem sein.
Eines Tages also schließe ich mit Christoph eine Wette ab: Ich werde ihm seinen Glauben abräumen. Top! Wir treffen uns jede Woche auf eine halbe Stunde. Ich bereite meine Argumente vor, feile an meinem Anti-Katechismus – und gehe zum Angriff über. Und jede Woche, nach dieser halben Stunden, sagt mir Christoph: „Schau, ich glaube immer noch!“ Langsam geht er mir auf die Nerven.
Noch etwas geht mir auf den Wecker: das Glaubensleben auf den Pfadfinderlagern. Während der Gebetszeiten und der Messen verdrücke ich mich. Aber an jenem 17. Juli 1979 – ich weiß nicht recht warum – bleibe ich beim Abendgebet. Es ist 22 Uhr 30. Ich erinnere mich noch an meinen Gedanken: „Eigentlich habe ich es satt, Gefangener der Geister zu sein!“ Und: „Eigentlich ist es hier unter den Christen ganz nett und friedlich.“
Und plötzlich merke ich, daß ich auf die Knie falle. Dieser kleine innere Riß in der Mauer, die mich umgibt, hat dem Heiligen Geist wohl genügt, um in mich einzubrechen – und das ganz ordentlich: zwei Stunden lang verharre ich so! Als ich mich erhebe, bin ich ein gläubiger Katholik. Ich glaube alles, was die Kirche verkündet und mein Herz geht vor Freude über!
Diese Umkehr ist so brutal wie auf dem Weg nach Damaskus. Aber das Übrige wird noch eine Zeit dauern. Ich werde die Kirche von A bis Z entdecken müssen: Ich konnte ja nicht einmal ein Kreuzzeichen machen. Auch muß ich mit verschiedenen geistigen Gewohnheiten brechen. So war ich etwa stets auf der Suche nach geheimen Botschaften in den Evangelien. Vor allem muß ich mich eindeutig von den magischen Kräften verabschieden. Weggeworfen werden alle Zauberbücher und Gegenstände, die mit unseren esoterischen Praktiken zusammenhingen. Ich gehe zur Beichte – dieses äußerst wirksame Mittel gegen alle Bindungen. Ein Befreiungsgebet vollendet meine Freisetzung (Satan kann es nicht leiden, wenn ihm eine Seele, die an ihn gebunden war, entwischt. Er unternimmt alles, um sie zurückzugewinnen, nützt deren Schwachstellen, die Müdigkeit…Man muß daher die Waffenrüstung Christi anlegen – die Sakramente der Kirche – und sich von einem Priester, der diese Praktiken gut kennt, begleiten lassen). Mit 24 feiere ich meine Erstkommunion, mit 28 meine Firmung.
Meine Eltern werden nach Metz versetzt. Wir übersiedeln. (…) Heimlich beginne ich ein Theologie-Studium. Ich führe ein Doppelleben. Wenn ich in die Messe gehe, sage ich, ich sei im Kino… Bis ich eines Tages erkläre: „Ich bin Christ und studiere Theologie.“ „Das wird dir schon vergehen“, sagen die Eltern, die mich wie einen Außerirdischen ansehen. „Nein, ich habe mich für Jesus entschieden, für immer.“ Sie lehnen es ab, mein Studium zu finanzieren. Ich arbeite als Aufpasser in einer Schule – und studiere weiter Theologie. Da ich die Bibel dauernd mit mir herumschleppe, fragen mich die Schüler öfter: „Willst du nicht Priester werden?“ „Nein,“ ist meine Antwort. Fünf oder sechs Jahre leiste ich Widerstand. Aber die Anfrage bleibt drängend. Und eines Tages ist mir klar: Ich habe eine Berufung.
Bevor ich ins Seminar eintrete, erzähle ich meinem Bischof, Msgr Schmitt, meinen Werdegang, ohne das Geringste zu verbergen. Er nimmt mich trotz meiner von Dämonen belasteten Geschichte auf. Zwei Jahre später sendet mich sein Nachfolger, Msgr Raffin, nach Rom, um Missions- und Islamwissenschaften sowie Religionsgeschichte zu studieren. Dort werde ich fünf Jahre verbringen, eines davon als Priester. 1992 werde ich geweiht.
(…) Meine Erfahrungen haben in mir die Hoffnung genährt: Hier auf Erden kann man der Hölle entrinnen, jeder Hölle. Gott ist stärker als alle unsere Gefängnisse. Das schlimmste aller Gefängnisse – so denke ich – ist das der Geister. Hätte mich Christus nicht aus diesem Sumpf geholt, wäre ich wohl im Wahnsinn geendet. Daher treibt mich die Sorge um die jungen Leute um. Ihnen will ich Christus verkündigen.

P. Jean-Christophe ist Moderator einer neuen Gemeinschaft (MIssionaires de l’Amour de Jésus), die sich der Neuevangelisation verschrieben hat und die vor rund 10 Jahren gegründet worden ist. Weiters ist er Autor (unter dem Pseudonym Michael Dor) von mehreren Büchern: Auszug aus Famille Chrétienne v. 27.10-2.11.07.

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