VISION 20005/2001
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Die Familie - Ort der Menschwerdung

Artikel drucken Die Sehnsucht nach Familie ist stärker als alle negativen Kampagnen (Christof Gaspari)

Geht es Ihnen auch so, liebe Leser? Ich kann all die Hiobsbotschaften über die Entwicklung der Familie schon gar nicht mehr hören. Seit Jahrzehnten werden wir damit bombardiert - aber an den Trends verändert sich nichts: Von Jahr zu Jahr mehr Scheidungen, weniger Eheschließungen, weniger Kinder, mehr Alleinstehende...

Wenn solche Zahlen dann jeweils veröffentlicht werden, gibt es jede Menge Leitartikel zum Thema: Wieder einmal bedenkt man dann die Ursachen für diese Auflösung, warnt vor einer Verschlechterung. Manchmal klingt es auch schadenfroh, nach dem Motto: “Seht, wir haben es euch ja immer schon gesagt, die Familie ist ein Auslaufmodell." Beim Durchblättern meiner Unterlagen stelle ich auf's Neue fest, wie lange schon die Familie medial demontiert wird.

Zwei Kostproben: Im “Rennbahn-Express" (1/1987), einer Jugendzeitschrift, verkündet der in Österreich renommierte Demograph Rainer Münz: “Die Jugendlichen im Jahr 2000 wollen vor allem Karriere machen, eine eigene Familie wäre dabei nur hinderlich. Karriere machen im Jahr 2000 bedeutet zusätzlich, auch in Bezug auf den Ort der Arbeitsstätten flexibel zu sein - so ein Ortswechsel, einmal hier, einmal dort, ist ohne Partner und Kinder natürlich leicht..."

Und in der renommierten deutschen Wochenzeitung “Die Zeit" (22/1988) lese ich: “Die Familie der Zukunft ist die sogenannte ,Hybridfamilie': Die Partner leben in getrennten Haushalten, die sowohl dem Bedürfnis nach Individualität als auch auf Kinderaufzucht genügen müssen - die ,Scheidungsfamilie' von heute als Prototyp von morgen. Zunehmen werden, so die Prognosen, alle Formen von Beziehungsexperimenten, egal ob es sich um matriarchalische Brutgemeinschaften oder um Väter-Nistkommunen handelt. Auch das Comeback des Heiratens und das Gründen traditioneller Familien gehören dazu - doch sollen selbst die so wenig von Dauer sein wie die Wohngemeinschaft oder die wilde Ehe."

Kein Klischee ist zu schlecht, um ein schiefes Licht auf die Familie zu werfen. Scheinbar besorgt wird immer wieder die tolle Erkenntnis herumgereicht, nirgends geschähen so viele Gewaltakte wie in den Familien. Nicht zu überhören ist der Unterton: Da seht Ihr es wieder einmal, Ihr Familienbefürworter! Wie stichhaltig das Argument ist, läßt sich leicht zeigen: Niemand würde für die Abschaffung der Straßen plädieren, weil dort die meisten Verkehrsunfälle geschehen, und für das Ausweichen auf Feldwege eintreten.

Am meisten verwundert aber an dieser Kampagne gegen die Familie jedoch, daß sie die Sehnsucht nach einer eigenen Familie nicht aus den Herzen der Menschen auszulöschen vermag. Das bestätigen alle Umfragen bis in die jüngste Vergangenheit. Man lese in den einschlägigen Wertestudien nach. Auch für die meisten jungen Menschen bleibt die Familie der höchste Wert. Die Sehnsucht nach Geborgenheit in dauerhaften Beziehungen ist nun einmal unausrottbar in uns verankert. Sie gehört eben zur Grundausstattung des Menschen.

Wenn es jedoch diese Sehnsucht gibt, warum nimmt dann das Scheitern heute so überhand? Warum gelingt es immer weniger Menschen, diese Sehnsucht auch zu erfüllen?

Da ist zunächst die Tatsache, daß in den vergangenen Jahrzehnten die meisten jener Gesetze, die zur Abstützung der Familie beitrugen, geändert worden sind. Das fing beim Steuerrecht an und endete beim Familienrecht. Letzteres wurde richtiggehend demontiert. Ja, der Familienbegriff selbst hat seine Konturen verloren. Heute sind wir drauf und dran, gleichgeschlechtliche Partnerschaften der Ehe gleichzustellen. Welche Verwirrung!

Diese Entwicklung hat zur Folge, daß insbesondere die Ehen kaum mehr von außen abgestützt sind. Sie verlieren damit einen wesentlichen Rückhalt, der Jahrhunderte hindurch ein wichtiger Garant für stabile Beziehungen war.

Nun genügt es nicht, diesen Umstand zu beklagen. Denn so sehr die Abstützung von außen auch wichtig für das Gelingen von Beziehungen sein mag, so wenig ist sie ein Garant dafür. Auf das Gelingen der Beziehung aber kommt es letzten Endes an. Wir dürfen nicht übersehen, daß in der “guten, alten Zeit" die Ehen zwar stabiler, aber deswegen ja nicht unbedingt glücklicher gewesen sind. War eine Frau einmal verheiratet, so gab es für sie kein Entrinnen - auch wenn die Beziehung noch so katastrophal gewesen sein mag. Es ist gut, da nicht allzu verklärt in die Vergangenheit zu schauen.

Nun sind die gesellschaftlichen Stützen für Ehe und Familie also weitgehend weggeräumt und die negativen Folgen dieser Entwicklung unübersehbar. Einvernehmliche Scheidungen gehen rascher über die Bühne als die Anschaffung eines neuen Autos. Das ist zweifellos zu beklagen, aber es bietet auch eine Chance: zu erkennen, worauf es bei Ehe und Familie wirklich ankommt, nämlich auf das innere Band, auf seine Festigung.

Ich möchte diesen Punkt noch einmal von einer anderen Seite her beleuchten: Die heutige Demontage und Destabilisierung von Ehe und Familie zwingt uns, der Frage des Stellenwertes dieser Einrichtungen wirklich auf den Grund zu gehen und uns nicht mit einer oberflächlichen Familienideologie - ja auch sie gibt es! - zufrieden zu geben.

Aufbauen können wir auf der mittlerweile offenkundigen Erfahrung: Der Mensch nimmt Schaden (was den Intellekt, die Motivation, die psychische Stabilität, die Fähigkeit zur sozialen Integration anbelangt), wenn er in seiner Kindheit nicht ausreichend stabile und liebevolle Beziehungen in einer Familie erlebt (siehe S. 6). Überhandnehmende Drogen- Alkohol- und Konsumsucht, Jugendkriminalität und -verwahrlosung, wachsende Bindungsunfähigkeit, usw... sind Beweis genug. Ich erspare Ihnen, liebe Leser, die Details.

Es genügt nicht, den Menschen irgendwie hochzupäppeln, damit er Mensch wird. Nicht jedes Umfeld, das irgendwie für Nahrung, Kleidung, Ausbildung und Unterkunft sorgt, gewährleistet die Entfaltung der Persönlichkeit (siehe S. 6). Was das Kind dringender braucht als alles andere, ist dieses: geliebt zu werden.

Was aber heißt das: geliebt zu werden? In einer Zeit, die so viel Schindluder mit dem Wort Liebe treibt, ist das gar nicht sofort einsichtig. Daher sei es hier klargestellt. Geliebt weiß ich mich, wenn andere mir die Botschaft vermitteln: Es ist gut, daß es dich gibt. Du bist für uns wertvoll. Ja, du bist so wertvoll, daß wir bereit sind, für dich auch Schwieriges auf uns zu nehmen. Wir nehmen dich auch dann an, wenn du es eigentlich nicht verdienst, ja, sogar wenn du unerträglich bist. Wir heißen zwar nicht alles gut, was du tust, und wir sagen dir das auch zu deinem eigenen Wohl, aber was immer auch geschehen mag, wir stehen zu dir. Wir gehen miteinander durch Dick und Dünn.

Diese Erfahrung muß der Mensch machen, um Mensch zu werden und zu bleiben. Und sie wird nur dort vermittelt, wo man unverbrüchlich zueinandersteht. So ist die lebenslängliche Ehe und die Familie, die ihre Kinder nicht abschiebt, sondern selbst großzieht, der am besten geeignete Raum für persönliche Entfaltung, die ja im Wachsen der Liebesfähigkeit besteht.

Diese Wahrheit ist wohl vielen, wenn auch diffus, bewußt. Daher auch, wie erwähnt, die große Sehnsucht nach diesem Weg. Daß er so oft nicht zu Ende gegangen wird, kommt daher, daß es eine beinahe übermenschliche Herausforderung darstellt, sich so radikal einzulassen. Das viele Scheitern heute ist der beste Beweis dafür, daß guter Wille allein kaum ausreicht.

Daher gehört es zu einem gesunden Realismus, diesem Umstand in der säkularisierten Welt Rechnung zu tragen. Wer sich heute auf dieses große Projekt Familie einläßt, sollte wissen: Die eigene Liebesfähigkeit wird wohl nicht reichen, sie wird laufend genährt, erneuert, gestärkt werden müssen.

Woher soll man sich aber in einem zunehmend rauhen Klima diese Liebe holen? Es liegt an uns Christen, auf die Quelle hinzuweisen. Nicht durch große Worte. Die bekommen andere leicht in die falsche Kehle. Sondern dadurch, daß in unseren Familien erfahrbar wird, daß da Gott, der die Liebe ist, täglich ganz konkret einen neuen Anfang schenkt, Kraft für den Tag, Mut zu vergeben, Bereitschaft zu verzichten - trotz all unserer Schwäche, wenn wir Ihn darum bitten.

Ihr müßt miteinander beten!

Wir leben heute in sehr schwierigen Zeiten, in denen es viele zerrüttete und unglückliche Familien gibt. Es besteht keine Anteilnahme, kein miteinander Teilen. Die Menschen wissen nicht mehr, was es heißt, einander zu lieben. Nicht die Armut ist an diesem Zustand schuld. Etwas anderes ist in die Familien eingedrungen: ein schrecklicher Heißhunger, ein Ehrgeiz, eine Sucht nach irgendetwas.

Heute verlaufen sich viele junge Menschen auf den Straßen, weil sie die Liebe, das Füreinander-Dasein, die Freude in den Familien entbehren. Es gibt so viele Menschen, die nach Liebe hungern. Es sind nicht nur die Kinder, die sich selbst überlassen sind, weil ihre Eltern zu beschäftigt sind. Es sind auch viele alte Menschen, die in den Altersheimen vergessen werden, weil ihre Kinder Angst haben, den Eltern zu “geben".

Ihr müßt wieder lernen, in den Familien zu beten. Eine Familie, die miteinander betet, hält auch zusammen. Macht eure Familien zu einem neuen Nazareth!

Dieses Gebet nützt der ganzen Welt. Denn der Frieden beginnt zu Hause und in unserem eigenen Herzen. Wie können wir Frieden in die Welt bringen, wenn wir keinen Frieden in uns haben?

Mutter Teresa

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