VISION 20002/2006
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Ein Eingriff von oben

Artikel drucken Wir haben Grund zur Hoffnung (Von P. Leo Liedermann OSB)

Diese Titelzeile hat Papst Johannes Paul vorbereitet, als er am 16.10.2002 schrieb : “Die Probleme, die die Bühne der Welt zu Beginn dieses neuen Jahrtausends zeigt, bringen uns auf den Gedanken, daß nur ein Eingriff von oben auf eine weniger dunkle Zukunft hoffen läßt." Und er präzisiert: “ . . . ein Eingriff, der die Herzen all jener, die in Konfliktsituationen leben, zu lenken vermag, und all derer, denen die Führung der Geschicke der Nationen obliegt." (Apostolisches Schreiben über den Rosenkranz, Nr. 40)

Schauen wir 20 Jahre zurück : dicht nebeneinander zwei Weltereignisse, eines dunkel, das andere hell. Das eine entbehrt, das andere erfährt den Eingriff von oben.

Tschernobyl, April 1986: Im Kraftwerkblock 4 läuft eine Versuchserie. Dabei gerät der Reaktor in einen irregulären Betriebszustand. Eine längere Beruhigungspause wäre nötig. Der eigens aus Moskau gekommene, hochrangige Versuchsleiter übt auf den leitenden Ingenieur Druck aus, den Reaktor sofort auf Leistung hochzufahren. Dieser sträubt sich, nennt die ernste Gefahr und wird mit Entlassung bedroht.

Damit befinden wir uns am Ort des Martyriums: Treue zum eigenen Gewissen auch um einen hohen Preis (nicht an Blut, doch an Wohlstand und Ansehen).

Der Operateur stellte sein persönliches Interesse über seine klare Einsicht, er beugte sich. Hier liegt sein Fehler. Solch ein bewußter Fehler kommt einem Verbrechen gleich.

Minuten später muß eine “Notbremsung" erfolgen, und dabei explodiert der ganze Reaktor.

Auch heute stehen die Mächtigen oft selbst wieder unter schwerem, anonymen Druck. Sie brauchen die Kraft zum Martyrium, um ihrem Gewissen treu zu sein.

Hier liegt unsere Chance: für sie zu beten und sie zu stärken, statt sie bloß zu kritisieren! Ist so etwas für Europa vorstellbar? Wirksam zu beten für seine Führenden? Es ist vielleicht schwer vorstellbar. Doch es ist möglich bei Gott. Dann retten sie Hunderttausende, zuletzt auch sich selbst.

Der Operateur von Block 4, der sich retten wollte, erhielt eine tödliche Dosis. Er starb nach Tagen körperlicher und seelischer Qual, und ständig sagte er vor sich hin: “Ich habe doch alles richtig gemacht . . ."

Philippinen, Februar 1986: Wiederum hat Präsident Marcos die Wahl massiv für sich gefälscht. Gegen ihn kandidiert Corazon Aquino, ihr Mann war vom Militär ermordet worden. Hohe Anhänger von ihr protestieren, verschanzen sich vor der Hauptstadt, ein Blutbad steht bevor. Kardinal Sin ruft das Volk auf: Erstens pausenlos beten. Zweitens gewaltlos zu Hunderttausenden einen lebenden Schild zwischen den Führern des Protestes und dem drohenden Militäreinsatz bilden!

Die Menschen spüren die Gefahr, sind in Todesangst, doch sie erkennen die Zeit der Gnade: Sie kommen und bleiben, tagelang, gewaltlos und stark - durch das Gebet. Die Truppen wagen keinen Einsatz gegen das betende Menschenmeer. Endlich reagiert auch die Welt. Marcos zieht ins Exil nach Hawaii.

Ein ganzes Volk im Gebet, in der Millionenstadt auf den Knien - das unterscheidet diese “Revolution der Rosenkränze" von anderen Weltereignissen. Unvorstellbar für Europa? Nicht ganz. Drei Jahre später erleben bei uns im Osten Hunderttausende eine ähnliche Macht ihrer Ohnmacht, und der Eiserne Vorhang fällt.

Unsere Bedrohungen sind aber subtiler, unheimlicher, unfaßbar. Auf vielen Ebenen zugleich “sollte" etwas geschehen, und kaum einer weiß, was. Nun, wer das spürt, für den ist das Papstwort ein Signal: Hoffnung gibt uns “nur ein Eingriff von oben". Damit bekommt unsere Zukunft ein Fundament, das niemand selber legen kann. Der Eingriff muß “von oben" kommen, den Einflüssen “von unten" und “von überallher" weit überlegen.

Gott selbst ist voll engagiert! Ist diese Erwartung weltfremd und unrealistisch? Sie ist “weltfremd" im exakten Sinn : fremd dem Denken dieser Welt. Und sie ist zugleich vollkommen realistisch: bezogen auf die eigentliche Realität hinter allen Dingen.

Das Evangelium Christi ist diese Realität. Auf ihm baut unser ganzes modernes Dasein auf: Daß wir Menschen wertvoll sind, weil Gott jeden persönlich liebt. Wie ein Hirte sucht Er das einzelne Schaf. Außerdem gab Er uns Freiheit, Freiheit die Erde zu erforschen und zu nützen (nicht zu verderben!); eine Freiheit, unbekannt jeder anderen Religion und Kultur. Selbst Hellas in seinem höchsten Höhenflug war schwer behindert vom Neid der Götter. Nur unser Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, freut sich über das Glück der Menschen, und mit jedem Seiner Gebote zeigt Er uns, wie dieses Glück Bestand haben kann.

Das Evangelium schenkt also eine schöpferische Freiheit, die wir in Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen nützen müssen. Nun, die Freiheit hat Europa voll genützt. Doch die Liebe ist in Vergessenheit geraten. Damit beginnt der Abstieg. Kein Fortschritt hat ohne dieses Lebensvitamin Bestand. Ohne den Geist der Liebe steht allen technischen Wunderwerken zuletzt Verfall, Unheil und Krieg bevor. Ohne das Evangelium wäre Europa nicht, was es geworden ist.

Doch so große Macht - ohne Liebe - zieht ungeheuren Mißbrauch nach sich. Gott wiederum, der uns solche Freiheit gab - hat Er nicht all das vorausgesehen? Wird Er uns den bitteren Folgen tatenlos überlassen? Zeigt Er Seine Macht nicht am liebsten im Schonen und Erbarmen? Freilich, wir müssen eingestehen, wohin wir geraten sind, und Ihn zu Hilfe rufen.

Auch wenn wir Christen eine Minderheit sind, bei Gott gelten nicht die Mehrheiten der Demokratie: Wenn wir, die Minderheit, uns ganz Ihm zuwenden, bekommen wir die Stimme der Majorität, um Sein Eingreifen für alle zu erflehen, den Eingriff von oben.

Es werden Zeugen nötig sein, auch Märtyrer im vollen Sinn. Gott wird sie erwecken und stärken. Ist es denn schwerer, für die Wahrheit zu leiden, als an den hundert selbst verursachten Schmerzen der Welt?

Nachdem Er uns so vorbereitet hat, verspricht Gott uns Seinen Heiligen Geist, strömend wie nie zuvor, um das Gesicht der Erde zu erneuern. Er zieht die Decke des Todes weg, die ganzen Völkern den Himmel verdeckt. Er bricht den Einfluß der Mächte und Gewalten, der Millionen in falschen Haltungen fixiert. Er legt uns Sein Gesetz ins Herz, ins Fühlen, Denken und Wollen. Er erweckt Verkünder und Boten, um Unzähligen den Weg in Seine Kirche zu weisen, lebendig, jung und rein.

Nach Ihm zu fragen ist dann Thema und Gesprächsstoff zu jeder Tagesstunde, im Beruf und in der Freizeit, im öffentlichen wie im privaten Bereich. Tiefsitzende Irrtümer, Sünden und ihre Folgen treten klar zutage - und Gott sendet einen Strom von Vergebung und heilender Macht.

Ist das alles für Europa denkbar? Es ist völlig undenkbar für den bloßen Verstand, er nimmt es nicht im entferntesten ernst. Doch es ist möglich für den, der glaubt.

Vielleicht ahnen Sie, liebe Leser dieser Zeilen, was in den Aposteln vorging, als sie einander beim Abstieg vom heiligen Berg fragten, was das sei: “Auferweckt werden von den Toten." Der auferweckte Messias Jesus wird Sein totes Volk vom Tod erwecken.

Erweckung für Gottes Volk in Europa durch Seine Kraft !

P. Leo Liedermann

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