VISION 20005/2005
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Der Welt Christus bringen

Artikel drucken Gespräch über Mission im Zeitalter des Dialogs

Weil wir als Menschen miteinander unterwegs sind, stehen wir untereinander fortgesetzt in einem geistigen Austausch, vertreten Standpunkte, versuchen andere für unsere Ansichten zu gewinnen. Mission gehört zum Menschsein, stellt der Direktor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich im folgenden Gespräch fest.

Mission - fast ein Unwort heute: Die meisten assoziieren es mit aggressiven Bekehrungsversuchen, mit Indoktrination, die den anderen für unmündig hält. Was kann man solchen Vorstellungen entgegenhalten?

P. Leo Maasburg: An einem Vormittag im August saß ich auf der Armen-Sünder-Bank im Stephansdom um zur Beichte an die Reihe zu kommen. Relativ lautstark versuchte daneben eine Jugendliche ihrem Freund zu erklären, daß in der Anbetungskapelle nebenan Gott selbst auf ihn warte; eine Mutter erzählte ihrer Tochter im Kinderwagen, daß auch die Muttergottes am Altarbild ein Kind in den Armen trägt; zwei Asiaten diskutierten - soviel ich verstand - über die Linienführung des Domes in die Höhe zu Gott... Das sind doch alles Missionare, dachte ich mir, jeder auf seine Art. Ja, ich glaube, jedem Menschen ist die Gabe zu missionieren tief in die Seele geschrieben. Er kann gar nicht anders, als Missionar zu sein. Durch die Art, wie er ist und was er tut oder nicht tut, verkündet er immer etwas. Die Frage ist nur was oder wen verkündet er? Wir sind alle - ob Hausfrau, Landwirt, Wirtschaftstreibender, Politiker oder Bombenleger - Missionare im weiteren Sinn, ob ich mir der Tatsache bewußt bin oder nicht. Immer bin ich Träger einer Botschaft und verändere damit die Welt. Die Frage ist nur: Welcher Geist oder Ungeist steht hinter unseren Taten? Natürlich bin ich der Handelnde, aber wer ist der Vater des Gedankens und somit meiner Taten?

Und wie sieht das aus der Sicht des Gläubigen aus?

Maasburg: Den Inhalt seiner Mission hat der Schöpfer dem Menschen zugewiesen, als Er ihm den Mitgestaltungsauftrag gab: “Bevölkert die Erde, unterwerft sie euch..." (Gen 1,28). Das war des Menschen grundlegende “Mission". Im Neuen Testament gibt Jesus das Missionsgebot: “Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern ... und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe." (Mt 28,19). Jesu Auftrag erfüllt diesen Mitgestaltungsauftrag.

Wenn der wahre und liebende Gott Auftraggeber ist, wie sind dann aggressive Bekehrungsversuche, Indoktrination etc. möglich?

Maasburg: Erstaunlicherweise hat Gott seine Mission freien, zerbrechlichen Wesen anvertraut. Ich kann als Missionar vieles verkünden: Gott, Götzen, Gutes, Böses, mich selbst und meinen Lebensstil. Ein freies Wesen zu beauftragen, birgt das Risiko des Mißbrauchs. Schon ganz am Anfang hatte ein freies, brilliantes Geschöpf eine “Mission": Luzi-fer (lux ferre), der Lichtbringer. Er sollte den Menschen das Licht der Erkenntnis der Geheimnisse der Schöpfung bringen, damit sie in dankbarer Liebe ihren Schöpfer erkannten und priesen. Das unbegreifliche trat ein: der Lichtbringer gab in extremer Verblendung nicht Gott, der Quelle des Lichts, die Ehre sondern verlangte sie für sich selbst.

Hat Mission im Zeitalter des Dialogs, des Gesprächs auf gleicher Augenhöhe, noch einen Platz?

Maasburg: Der Dialog ist ein wichtiges Mittel der Verkündigung. Ich würde ihn als “respektvolle Kontaktaufnahme zum gegenseitigen Kennenlernen" beschreiben. Er muß eingebettet sein in ein gelebtes Zeugnis des Glaubens und der Liebe, das dem Mitmenschen die Möglichkeit gibt, sich unter dem Einfluß der Gnade wissend und frei Christus zuzuwenden (traditionell: Bekehrung genannt). Nach heutigem Verständnis geht es um einen vierfachen Dialog, bei dem sich die Parität auf die Dialogpartner, nicht aber auf die Inhalte bezieht:

* den “Dialog des Lebens", in dem Menschen im nachbarschaftlichen Zusammenleben ihre Probleme, aber auch Freud und Leid teilen;

* den “Dialog des Handelns", in dem Christen und Nichtchristen im Einsatz für andere Menschen zusammenarbeiten;

* den “Dialog der religiösen Erfahrung", in dem man den spirituellen Reichtum in Respekt vor den Frömmigkeitsformen der anderen miteinander teilt;

* den “Dialog des theologischen Austausches" zwischen den Fachleuten mit dem Ziel, die Traditionen und Werte der jeweils anderen tiefer kennen und einschätzen zu lernen (vgl. Päpstlicher Rat für den interreligiösen Dialog, Kongregation für die Evangelisierung der Völker, Dialog und Verkündigung 42).

Der interreligiöse Dialog gehört zum Evangelisierungsauftrag der Kirche, ersetzt jedoch nicht die Verkündigung der Botschaft von der universalen Heilsbedeutung Christi.

Viele meinen, man dürfe Andersgläubige nicht für den eigenen Glauben gewinnen wollen, weil man sie dabei ihrer Kultur entfremde. Was ist darauf zu sagen?

Maasburg: Stellte es etwa eine kulturelle Entfremdung dar, wenn man versucht hat, die Azteken von ihren 30.000 grausamen Menschenopfern pro Jahr abzubringen? Oder sind heute Bemühungen entfremdend, Teile des Islam vom terroristischen Gewaltpotential zu befreien, Dämme gegen ausufernde Korruption oder moderne Sklaverei im Sexgewerbe zu errichten? Es ist notwendig, den Begriff “Kultur" von seinem Heiligenschein zu befreien und Stammesreligionen nicht mit Kleinparadiesen zu verwechseln. Jede Kultur birgt Schönes, Bewahrenswertes, Banales und Abscheuliches, Heiliges und der Heilung Bedürftiges. Dies gilt auch für die “christliche Kultur" des Westens: Sie braucht Heilung ihres zerbrochenen Respekts vor der Heiligkeit des Lebens! Bekehrung hat nichts mit Entfremdung von Kultur, sondern mit Heilung, Heiligung und Vollendung zu tun.

Es reicht also nicht, wenn Muslime, Juden, Hindus, Animisten, Buddhisten usw... sich darum bemühen, ihren Glauben bzw. ihre Weltanschauung nach bestem Wissen und Gewissen zu leben?

Maasburg: Reicht - wofür? Unser ewiges Ziel zu erreichen? Was ist unser ewiges Ziel? Ist es “Salvation", wie es amerikansiche Fernsehprediger anbieten? Nein, der heilige Petrus sagt uns klar was “reicht": “... werdet in eurem ganzen Wandel heilig, wie der heilig ist, der euch berufen hat." (1Petr 1,15-16) Jeder Getaufte ist schlichtweg zur Heiligkeit berufen, dazu am 1. Novermber dem Fest “Aller Heiligen" gefeiert zu werden. Nicht Salvation ist unser Ziel sondern Heiligkeit. Salvation ist dessen Nebenprodukt. Heilige werden heißt: in unserem ganzen Wandel, Denken und Tun Christus ähnliche zu werden. Gibt es da ein Genug?

Ob es reicht, wenn Muslime, Hindus oder Animisten sich darum bemühen, ihren Glauben nach bestem Wissen und Gewissen zu leben. Ich weiß es nicht, ich hoffe es.

Eine Befürchtung habe ich allerdings: wenn wir Christen dieses Sehnen Gottes nicht erfassen und keinen Auftrag verspüren, es anderen mitzuteilen, dann könnte es sein, daß es für uns nicht “reicht".

Viele behaupten, es sei hochmütig, wenn Christen meinten, sie müssten andere mit ihrer Wahrheit beglücken, so als würden nur sie darüber verfügen. Was ist darauf zu antworten?

Maasburg: “Was ist Wahrheit?", ist schon Pontius Pilatus' Frage an den gefolterten Christus. Ist Wahrheit: “allseeligmachendes Sofortglück bedarfdeckend gelagert"? Ein solches Weltheil zu versprechen schaffen in der Regel nur Ideologien vor dem Aufwachen in die Wirklichkeit, Parteien vor den Wahlen und junge idealistische Revolutionäre. Das Christentum jedenfalls kennt keine Geheimformel “Wahrheit", um die Menschheit zu ihrem Glück zu zwingen. Das Christentum bezeugt nur eines: Im jüdischen Kulturraum hat sich ein Ereignis zugetragen das menschheitsgeschichtlich einzigartig und von universaler Bedeutung ist: “Der eingeborene Sohn Gottes ist Mensch geworden und hat unter uns gewohnt." (Vgl Joh. 1,1-2) Dieser eingeborene Sohn Gottes sagt zu Pilatus und uns: “Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist hört auf meine Stimme." (Joh 18,37) Dieser Sohn Gottes sagt: “Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben." (Joh. 14,6) In diesen Worten aus dem Johannes-Evangelium ist der grundlegende Anspruch des christlichen Glaubens ausgedrückt. Auf diesem Anspruch gründet die missionarische Tendenz des Glaubens ..." (Ratzinger: Glaube, Wahrheit, Toleranz, 2005).

Gott hat dem Christentum mit Christus kein Wahrheitsprivileg überreicht, sondern so etwas wie ein Wahrheitskriterium (“Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben." (Joh 13,34). Dieser Maßstab bringt das “Reich der Wahrheit" hervor, wo immer es gelebt wird. Jeder kann darauf hören und jeder wird daran gemessen werden, Christen wie Nichtchristen. Daraus ergibt sich: Wenn Christus, wie wir es glauben wirklich die Wahrheit des Schöpfers ist, dann “weh uns, wenn wir ihn nicht verkündigen." (vgl. 1 Kor 9,16) Denn nicht wir Christen haben die Wahrheit, sondern Er, Christus, ist die Wahrheit des Schöpfers für alle Menschen.

Was bedeutet eigentlich Inkulturation der Botschaft Christi?

Maasburg: Inkulturation heißt, eine Botschaft mitteilbar zu machen. Das ist Voraussetzung für einen fruchtbaren Dialog. Mission ist auf den Wandel und die Veränderung der Kulturen und Religionen ausgerichtet und zwar nach dem Design des Schöpfers, das er uns in seiner Fülle in Christus gezeigt hat. Mission ist keine Einbahnstraße: Sie verändert nicht nur den Empfänger der Botschaft, sondern auch den Überbringer. Es fasziniert mich immer wieder zu sehen, wie sehr die großen Missionare der Neuzeit die Länder ihrer Mission verändert haben, wie sehr sie aber gleichzeitig Heimat gefunden haben in den Kulturen, zu denen sie das Christentum brachten: beispielsweise der Südtiroler Heilige Josef Freinademetz dessen Chinesisch auch für Chinesen als beispielhaft galt und dessen Aussehen gegen Ende seines Lebens bis in die Gesichtszüge nicht mehr von dem eines Chinesen zu unterscheiden war; oder die selige Mutter Teresa mit ihrem weltberühmten blaugestreiften indischen Sari, die heute von vielen Hindus ähnlich verehrt wird wie ihre eigenen Gottheiten. Gerade am Beispiel der Albanerin Mutter Teresa und ihrer Schwestern kann man die Bereicherung des westlichen Christentums sehen, das die Berührung des westlichen Christentums mit den indischen Kulturen gebracht hat: ein neues Bewußtsein um die Armen in der Welt, ein Erkennen ihrer Würde durch die Identifizierung Christi in ihnen.

Ist Neuevangelisierung ein moderner Ausdruck für Mission - und zwar in einem neuheidnischen Milieu?

Maasburg: Jede Generation muß den Glauben neu erobern. Was man früher als Weitergabe des Glaubens bezeichnet hat, beschränkt sich heute bestenfalls auf die Einübung einer bestimmten religiösen Kultur in der Kindheit. Wird dieser kulturell übernommene Glaubensrahmen nicht durch eine persönliche Erfahrung mit Christus und Glaubensbildung gestärkt, hält er dem hämmernden Druck des modernen Laizismus meist nicht stand. Er zerbricht bei der ersten wichtigen Lebensentscheidung, wenn christliche und weltliche Lösung miteinander konkurrieren. Das neuheidnische Klima Zentraleuropas erfordert eine neue Mission, ein neues Entdecken der heilenden Gegenwart Gottes.

Das Gespräch führte Christof Gaspari.

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