VISION 20006/2010
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Aus Liebe ins Leben

Artikel drucken Die Schönheit der Liebe in den Mann-Frau-Beziehungen wiederentdecken (Christof Gaspari)

Vor 50 Jahren wurde die „Pille“ erstmals in den USA zugelassen. Von da aus trat die Empfängnisverhütung ihren Siegeszug um die Welt an. Heute gehört sie zur Standardausstattung der emanzipierten Frau…

Was das mit Lebensschutz zu tun hat? Sehr viel. Die Verbreitung der Empfängnisverhütung, als Befreiung der Frau bis heute gefeiert, hatte schwerwiegende Folgen für unser Verständnis vom Zusammenleben der Menschen und für unsere Einstellung zum Leben. Die „Pille“ und im Gefolge andere Instrumente, die es ermöglichten, wirksam zu entscheiden, wann ein Kind gezeugt werden kann, veränderten die Mentalität der Menschen.
Es entwickelte sich die Vorstellung, Kinder müßten Wunschkinder sein. Empfängnisverhütung wurde zum Markenzeichen verantworteter Elternschaft. Paare hätten ein Recht darüber zu entscheiden, ob und wann sie Kinder haben sollten. Der Sexualakt verlor damit eine wesentliche Funktion – man traut sich das heute schon fast nicht mehr zu sagen –, nämlich fruchtbar zu sein, Quelle neuen Lebens. Diese veränderte Sicht hatte weitreichende Folgen insbesondere auf geistiger Ebene.
Kaum war nämlich die Vorstellung etabliert, daß man ein Recht auf ein Wunschkind hätte, war es naheliegend, dieses Recht auch dann durchzusetzen, wenn ein „unerwünschtes“ Kind unterwegs war. Schließlich wirkte die Verhütung ja nicht hundertprozentig, wurde zum Teil falsch gehandhabt oder vergessen oder…
Damit war der Boden für die Freigabe der Abtreibung aufbereitet, die ja auch etwas mehr als zehn Jahre nach Einführung der Pille sukzessive in den entwickelten Ländern (in Österreich 1975) „legalisiert“ wurde. Die Kultur des Todes war somit etabliert. Sie weitet sich seither auf stets neue Bereiche aus: die Euthanasie bedroht das Leben von Alten und Leidenden, „Sterbehilfe“-Organisationen versuchen den Kreis ihrer „Kundschaft“ auszuweiten, die Einführung des Gehirntodes macht Sterbende zu Organlieferanten, künstliche Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik produzieren Nachkommenschaft nach Maß… Der Mensch schwingt sich zum Herrscher über Leben und Tod auf.
Die Kirche ist dieser Entwicklung von Anfang an entgegengetreten – und sie wurde und wird massiv dafür kritisiert. Selbst in?nerkirchlich gibt es lauten Protest. Dieser übersieht oder bagatellisiert die zunehmende Zahl negativer Folgen der Entwicklung: den enormen Anstieg sexuell übertragbarer Erkrankungen (siehe Aids), die zunehmende Unfruchtbarkeit infolge jahrelang erfolgreicher Verhütung oder Abtreibung, vermehrtes Auftreten von Brustkrebs dank jahrelanger Pilleneinnahme, die Zurschaustellung und Abwertung der Frau zum Sexualobjekt, schwerwiegende psychische Folgen von Abtreibungen für die Beteiligten, das Scheitern von Beziehungen…
Aber all das ins Treffen zu führen, hat in den letzten Jahrzehnten nicht gereicht, um eine Trendwende hin zum Leben zu bewirken. Die Macht der Medien, die voll auf den Zug der Emanzipation und Liberalisierung aufgesprungen sind, verhindert einen halbwegs objektiven Diskurs.
Was bleibt da zu tun? Ich denke, es wäre wichtig, daß wir Christen die Schönheit der Lehre der Kirche entdecken und sie als attraktives Modell all jenen vorleben, die nach den vielen Enttäuschungen mit den Verheißungen der Aufklärungsbroschüren, der pornographischen Angebote, des coolen, nur ja nicht prüden Umgangs mit dem anderen Geschlecht, nach einer Alternative ausschauen.
Wir werden die Kultur des Todes dann erfolgreich bekämpfen können, wenn wir die Attraktivität wahrer Liebe zwischen Mann und Frau leben und plausibel verkündigen. Alles andere wird wohl nur ein mehr oder weniger erfolgreicher Rückzugskampf in der Auseinandersetzung mit einer aggressiven Ideologie sein, der sich ein großer Teil der westlichen Elite verschrieben hat.
Worum geht es also? Um die Sanierung jenes Geschehens, das die Quelle neuen Lebens ist, um die Sanierung der Mann-Frau-Beziehungen.
Es ist uns geläufig, daß wir alles, was in unserem Inneren vorgeht, nur über den Körper nach außen vermitteln können. Wohlwollen, Zuneigung, Ärger, Dankbarkeit, Freude, Zorn, usw… können andere nur wahrnehmen, wenn wir diese inneren Empfindungen körperlich nach außen artikulieren. Den Ärger eines Verkehrsteilnehmers über mein vorschriftswidriges Verhalten nehme ich an seinen Gesten wahr. Wenn ich ihn anlächle, erkennt mein Enkel, daß ich ihn mag …

Papst Benedikt wird am Samstag, den 27. November 2010, am heurigen Vorabend des ersten Adventsonntags, im Petersdom in Rom eine „feierliche Gebetswache“ für die ungeborenen Kinder zelebrieren. Er hat die Bischöfe und Diözesen der ganzen Welt aufgerufen, sich an dieser Initiative zu beteiligen. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, daß die von Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika „Evangelium vitae“ geäußerte Bitte (siehe S. 5) eines Gebetssturms für das Leben erstmals umgesetzt wird. Jede Pfarre ist eingeladen, sich der Initiative anzuschließen.
Für die Erzdiözese Wien lädt Weihbischof Franz Scharl um 16 Uhr in den Wiener Ste?phansdom zu einer feierlichen Gebetswache (siehe auch www.erzdioezese-wien.at).

Damit die Botschaft verstanden wird, müssen die Zeichen eindeutig und nicht mißbräuchlich oder zur Täuschung verwendet werden. Ein Kind, das vom lächelnden Vater Schläge bezieht, wird das an sich positive Signal, das vom Lächeln ausgeht, bald umdeuten. Die junge Frau, die sich eben über eine Liebeserklärung gefreut hat, wird Zweifel an den schönen Worten hegen, wenn sie erfährt, daß der „Verehrer“ einen Wochenendtrip mit seiner Sekretärin unternimmt.
Ein Kuß, eine Umarmung, das Streicheln sind Träger von Botschaften über Beziehungen. Sie behalten ihren Wert nur insofern, als sie die Beziehungen wahrhaftig abbilden. Sie nützen sich ab, verlieren ihren Wert, sobald sie gedankenlos, mißbräuchlich, betrügerisch eingesetzt werden.
Über unsere Beziehungen verständigen wir uns also körperlich, in unterschiedlichster Weise. Das gilt insbesondere für die Liebe. Sie wird über körperliche Zeichen mitgeteilt. Wir können von einer Sprache der Liebe sprechen. Diese Zeichen variieren je nach Grad der Nähe zueinander, der Vertrautheit und Herzlichkeit, die einen verbinden.
Was bedeutet das nun für die sexuellen Beziehungen? Daß sie etwas mit Liebe zu tun haben, steht auch für jene außer Zweifel, die die sexuelle Liberalisierung propagieren. Selbst ganz irreführende Aufklärungsbroschüren sprechen im Zusammenhang mit dem Sexualakt von der Liebe. Und das ist auch verständlich. Denn der junge Mensch weiß instinktiv: Im Sexualakt geht es um etwas Großes. Er ist seinem Wesen nach Träger einer tiefen Erfüllung und einer großen Verheißung, die Behutsamkeit erfordert. Es ist das Elend unserer Zeit, daß so viele junge Menschen diesbezüglich irregeleitet werden: durch Propagierung eines Menschenbildes, welches das Konsumdenken auf menschliche Beziehungen ausweitet sowie durch die voyeuristische, oberflächliche, die Sinne anstachelnde bildliche Darstellung sexueller Intimität.
Daher ist es so wichtig, der Frage nachzugehen: Welche Botschaft wird denn ursprünglich, im nicht durch Verhütung manipulierten Sexualakt transportiert? Was geschieht da eigentlich dem Wesen des Geschehens nach?
In ihm vollzieht sich im Grunde genommen eine Liebesbotschaft, eine persönliche Mitteilung, die weit über das körperliche Geschehen hinausgeht. Der Sexual?akt wirkt nur insofern erfüllend, als er auch tatsächlich Träger dieser Botschaft ist. Die Frau bringt in dieses Geschehen ihre Bereitschaft zum totalen Einsatz ihrer Person, ihrer Zukunft ein, also umfassende Hingabe. Sie setzt sich im Sexualakt der Perspektive aus, ein Kind zu empfangen, das sie neun Monate lang unter dem Herzen tragen und dann über Jahre hinweg ins Leben begleiten wird, weil dieses Kind existentiell zu seiner Entfaltung von dieser Begleitung abhängig sein wird. Die intime Mutter-Kind-Beziehung ist so wichtig, daß sie in ihrer Anfangsphase sogar hormonell abgesichert ist (siehe S. 11).
Die einzig angemessene Antwort vonseiten des Mannes auf diesen Totaleinsatz ist die Zusage der unbedingten Bindung an diese Frau, die ihre gesamte Zukunft in das Geschehen investiert. Nur die lebenslange Bindung wird der Würde der Frau gerecht. Alles andere ist Geringschätzung, ja Mißachtung, dieser Botschaft.
Daher wird in Genesis 2,24 davon gesprochen, daß der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an die Frau binden wird. Erst auf dem Hintergrund des Verlassens von allem, was bisher wichtig war, und des sich bedingungslos Bindens bekommt das „ein Fleisch Werden“ seinen angemessenen Platz. Die Ganzhingabe der Frau verlangt nach der unbedingten Bindung des Mannes.
Die Entwertung des Sexualaktes war möglich, weil die Empfängnisverhütung die Fruchtbarkeit des Geschehens – übrigens nur weitgehend und keineswegs vollständig – eliminiert hat. Damit war das Geschehen seiner „Transzendenz“, seiner über sich hinausweisenden Funktion, beraubt. Nur durch die Fruchtbarkeit war gewährleistet, daß die Begegnung von Mann und Frau wahre Liebe sein konnte, ein umfassendes Ja zueinander, das im Kind Gestalt annehmen kann. Im Kind werden Mann und Frau tatsächlich ein Fleisch, wie es in Genesis heißt. Im Kind tritt die Liebe der beiden als Person in die Geschichte ein, als jemand, der in Ewigkeit leben wird.
Die Sexualität des Menschen steht somit, wie Papst Johannes Paul II. klarstellt, im Dienst dauerhafter und fruchtbarer Beziehungen. Im Sexualakt geht es um Ganzhingabe, um unbedingte Annahme und um Fruchtbarkeit. Genau das sind aber die wesentlichen Aspekte der Liebe, von der die Offenbarung spricht.
Daher konnte der Papst auch davon sprechen, daß in der Einheit von Mann und Frau das Geheimnis des Dreifaltigen Gottes in der Schöpfung aufleuchtet. Wir sind herausgefordert, es zum Leuchten zu bringen.

Christof Gaspari

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