VISION 20006/2019
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Ins Leben gekämpft

Artikel drucken In letzter Sekunde entscheidet sich die 19-jährige Laura für ihr Kind

Lauras Welt bricht innerhalb von Sekunden zusammen. Der Test ist positiv. Schwanger von einem bald mit einer anderen Frau verheirateten Mann und mitten in der Ausbildung. Den Schock muss sie erst einmal verdauen. Viele Fragen kreisen in ihrem Kopf. Wie sage ich es dem Vater des Kindes? Wie wird die Familie reagieren?

Ein paar Tage später fasst sie Mut, zunächst zum Arzt zu gehen und zu klären, ob sie wirklich schwanger ist. Während der die Schwangerschaft bestätigenden Untersuchung wird ihr zum ers­ten Mal bewusst, dass es hier um ein Kind geht, ihr Kind. Dem Kindsvater gegenüber äußert sie nur einen vorsichtigen Verdacht. Er rastet aus und verlangt die Abtreibung. Traurig lässt sie sich von ihrem Arzt eine Überweisung geben und geht zur Beratung. Problemlos und schnell bekommt sie dort den Schein ausgestellt, mit dem sie zur Abtreibung gehen kann.
Auch ihre Mutter reagiert, wie befürchtet und droht mit Rauswurf. Was jetzt? Laura surft im Netz und stößt auf eine Facebook-Gruppe, in der sich Frauen in ähnlichen Situationen austauschen. Da sie nichts zu verlieren hat, versucht sie es dort. Ein wechselhaftes Gespräch beginnt, in dem sich manche Frauen für die Abtreibung aussprechen, andere versuchen, Alternativen aufzuzeigen, wie sie es mit Kind schaffen könnte. Das tut ihr gut.
Dennoch ist der Druck so groß, dass sie den Abtreibungstermin, den sie inzwischen ausgemacht hat, auch wahrnehmen will. Der Kindsvater zahlt ihr sogar eine „Belohnung" für diese Entscheidung und bringt sie bis vor die Tür. Hinein muss sie aber allein. Dort sitzt sie eine Zeit lang im Wartezimmer, sieht die vielen Frauen, die vor ihr dran sind, deren Leere in den Augen, ihre Trauer, ihr Weinen. Dann ist sie an der Reihe. Die OP-Schwestern behandeln sie sehr freundlich. Laura legt sich hin, Beine und Arme werden fixiert, eine Nadel wird gelegt.
Der Gynäkologe macht noch eine Ultraschall-Untersuchung. Plötzlich fängt sie an zu schreien: ,,Ich kann das nicht! Stopp! Lasst mich gehen!", und die Tränen fließen. Nach Verlassen der Klinik schreibt sie einer Beraterin der Facebook-Gruppe, die verständnisvoll reagiert, sie ermutigt und anbietet, Hilfe vor Ort zu suchen. Doch dann beugt sich Laura ein zweites Mal dem Druck ihrer Umgebung. Auch diesmal entscheidet sie sich in letzter Sekunde gegen die Abtreibung. Und jetzt plötzlich kommt Freude über ihr Baby in ihr auf, eine 180-Grad-Wendung. Laura zieht es durch, genießt den Anblick ihres wachsenden Bauches und jede Bewegung des Babys. Sie kann es kaum noch erwarten, ihren Sohn in den Armen zu halten.
Doch im sechsten Schwangerschaftsmonat wird sie aus ihren Träumen gerissen: Das Baby hat einen Herzfehler. Die junge Frau sieht es als Strafe an, weil sie ihr Baby abtreiben lassen wollte. Die Ärzte machen ihr Mut, sie versucht durchzuhalten. Als sich die Versorgung des Babys massiv verschlechtert, entschließen sich die Ärzte zu einem Notkaiserschnitt.
Der kleine Poel wiegt bei der Geburt 2.800 Gramm. Ein süßes, zartes Baby, das kerngesund aussieht. Doch es hat eine Herzklappeninsuffizienz, die eine sofortige Operation erfordert. Kurze Zeit später eröffnen die Ärzte Laura, dass die Fehlbildungen schwerer sind als angenommen. Während der Operation entgeht Poel nur knapp dem Tod. Er kommt direkt auf die Neonatologie, wird beatmet und an viele Schläuche angeschlossen. Drei Tage später die zweite Operation. Auch sie übersteht Poel knapp. Endlich, nach drei schlimmen Tagen, sieht Laura ihren Sohn zum ers­ten Mal. Aber der dramatische Weg ist noch nicht zu Ende.
Die aktuelle Diagnose lautet HLHS, Hypoplastisches Linksherz-Syndrom, ein schwerer Herzfehler. Laura ist einem Nervenzusammenbruch nahe, als ihr klar wird, was das bedeutet. Die Beraterinnen der Facebook-Gruppe versuchen sie aufzufangen, auch ihre Familie, die jetzt zu ihr hält.
Eine schwere Zeit beginnt, mit Operationen, vielen Tränen, großer Angst, mehreren Reanimationen, Hoffnungslosigkeit und Tausenden von Gesprächen und Gebeten. Am Ende geschieht das Wunder: Anfang November wird der kleine Poel, der die Operationen unglaublich gut überstanden hat, nach Hause entlassen und darf jetzt zusammen mit seiner glücklichen Mama und seiner stolzen Oma leben.

Aus LEBE,  Zeitschrift der Bewegung für das Leben – Südtirol 143/2019

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