VISION 20003/2000
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Weg aus der falschen Freiheit

Artikel drucken Ein drogenabhängiges Mädchen entschließt sich zur Rehabilitation

Es war ein schwerer Schock, als wir von unserer jüngsten Tochter vor rund zwei Monaten erfuhren, sie sei heroinsüchtig. Das war der Tiefpunkt einer jahrelangen Katastrophe mit ihr, die begonnen hatte, als sie zwölf war.

Mit 16 war sie von daheim weggezogen, weil sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und die uneingeschränkte Freiheit wollte. "Das ist mein Leben, das geht niemanden etwas an, was ich mache."

Wir mußten nicht nur unsere eigene Ohnmacht schmerzlich erkennen, es gab auch keine Hilfe, weil diese entweder von unserer Tochter abgelehnt wurde oder - leider in den meisten Fällen - völlig versagte. Es ist anzunehmen, daß das bisher Gesagte vielen Eltern recht bekannt vorkommen wird.

Aber wir hatten sie in unserer Not immer wieder der Mutter Gottes geweiht. Daraus erwuchs uns die Gewißheit, daß sie nicht völlig zugrunde gehen würde. Doch nun war sie drogenabhängig ... hoffnungslos? Bei Gott gibt es kein hoffnungslos!

Nun kam sie mit der Droge nicht mehr zurecht und wußte, daß sie vor der Wahl zwischen Leben und Tod stand. Sie hatte auch den guten Willen, damit aufzuhören und wollte nur von uns die Kraft für einen völligen Neubeginn bekommen. Das Alleinwohnen vertrug sie nicht, nachdem die diversen "Beziehungen" fehlgeschlagen waren, so bat sie uns, bei uns wohnen zu dürfen.

Vor einigen Jahren war sie in Medjugorje gewesen und hatte dort die Gemeinschaft Cenacolo für Drogensüchtige der Schwester Elvira kennengelernt. Zwar waren ihr sowohl Medjugorje als auch das Cenacolo völlig egal, wie sie sagte, aber immerhin, sie wußte davon. Ihre ältere Schwester, die schon früher von dem Unglück erfahren hatte, sagte ihr, es gäbe für sie nur den Weg ins Cenacolo, das sei die einzige realistische Chance für einen wirklichen Neubeginn. (Der übliche Entzug hilft in den meisten Fällen nicht, weil die eigentlichen Probleme im Inneren des Drogenkranken liegen, in seiner gestörten Persönlichkeit.)

Da unsere Tochter sich bereit erklärte, ins Cenacolo einzutreten, nahmen wir Kontakt mit der Niederlassung für Burschen im burgenländischen Kleinfrauenhaid auf, wo man uns an ein Haus für Mädchen in Italien verwies. Der junge Mann, mit dem meine Tochter in Kleinfrauenhaid gesprochen hatte, sagte ihr auch: "Allein schaffst du das nicht, denn die Droge ist wie ein Gummiband - wenn du einmal dran hängst, zieht sie dich immer wieder zurück."

Er ermutigte sie aber auch sehr, unbedingt ins Cenacolo zu gehen, denn sie haben sehr gute Erfahrungen, und alle, die in Kleinfrauenhaid oder in anderen Häusern des Cenacolo sind, waren in der gleichen Situation, kennen ihre Probleme und kennen auch die furchtbare Macht der Droge.

Im Anschluß an das Gespräch hatte unsere Tochter dann zweimal in der Woche ein Telephongespräch mit der Leiterin des Hauses in Italien: Dabei wurden ihr alle Bedingungen und alle notwendigen Schritte, die es zu machen galt, mitgeteilt. Außerdem mußte sie dadurch dokumentieren, daß sie den ernsten Willen habe, dorthin zu kommen und ein neues Leben zu beginnen.

Nach einem neuerlichen Rückfall fuhren wir dann nach Italien, zumal wir schon alle Untersuchungsergebnisse hatten, und trafen uns dort mit der Kontaktperson vom Cenacolo. Unsere Tochter war ebenso wie wir über ihre Offenheit und Herzlichkeit überrascht und meinte: "Die hat nie Drogen genommen, das gibt es gar nicht!" Nach deren eigenen Worten aber war sie sehr wohl sechs Jahre lang in den Drogen gewesen.

Es beeindruckte unsere Tochter sehr zu hören, daß alle im Haus in derselben Situation gewesen waren wie sie, und nun offensichtlich glückliche Menschen auf dem Weg zu einem verantworteten Leben in wirklicher Freiheit waren.

Unsere Tochter hatte nun eine Woche Zeit, sich die Gemeinschaft anzuschauen, um sich endgültig zu entschließen, dort zu bleiben oder nicht. Die Gemeinschaft schlägt einen Aufenthalt von zwei bis drei Jahren vor. Denn solange dauert es, um wirklich von der Droge loszukommen, die Probleme mit sich selbst in den Griff zu bekommen und seine Persönlichkeit so weit zu ändern, daß man nicht wieder in die alten Unsitten zurückfällt.

In den ersten Monaten hat sie einen "Schutzengel", ein bereits längere Zeit in der Gemeinschaft lebendes Mädchen, das rund um die Uhr (24 Stunden täglich) mit ihr beisammen ist und sie durch die erste, besonders schwere Zeit hindurchführt.

Uns als Eltern wurde die Möglichkeit geboten, in einem anderen Haus, das aber genau unter den gleichen Bedingungen geführt wird, am Tagesablauf der Gemeinschaft teilzunehmen und so das Leben, das unsere Tochter führen würde, eine Woche lang kennenzulernen. Der Gemeinschaft ist es ein Anliegen, daß nicht nur die Drogenabhängigen, sondern deren gesamte Familie heil und gemeinsam zu seelischer Gesundung geführt werden. Denn zumeist ist irgendeine "kranke" Familiensituation an dem Unglück mitbeteiligt.

Wir erfuhren auch vieles über "die Droge", was eigentlich alles unter Droge zu verstehen ist: Dazu gehört nicht nur Rauschgift oder Alkohol, sondern alles, was sich so zwischen Gott und den Menschen drängt. Alles, was als Götze im Mittelpunkt des Lebens steht, kann zur Droge werden und zur Abhängigkeit und Zerstörung der Persönlichkeit führen.

Bei den Mädchen im Cenacolo sahen wir, daß acht Stunden Arbeit täglich, viel Gebet und viel Sprechen miteinander eine sehr gute Möglichkeit sind, daß sie sich selbst (und auch einander) kennenlernen können und ihre Probleme aussprechen lernen. In einer Gemeinschaft angenommen und geliebt zu werden - trotz aller eigenen Fehler und Schwächen - hilft den jungen Leuten enorm. Sie sind ja meist aus Isolation und dem Gefühl, sich an andere anpassen zu müssen, zur Droge gekommen.

Nach der Probewoche bekamen wir einen Brief der Tochter: eigentlich gefiele es ihr momentan überhaupt nicht. Alles mögliche fand sie schrecklich, aber sie wolle kämpfen - vor allem für Jesus. Denn Jesus war ihr Freund. Er hatte sie nie verlassen. Ob sie bleiben würde, das könne sie nicht schon nach einer Woche entscheiden. Bis zum großen "Fest des Lebens" der Gemeinschaft Cenacolo im Juli hoffte sie, klar zu sehen. Dann würde sich sich entscheiden.

Vom Abschied und von diesem Brief waren wir schon sehr erschüttert, aber der Frieden, die Freundlichkeit und Zuversicht, die wir im Cenacolo kennengelernt hatten, halfen uns über unseren Kummer hinweg. Man sagte uns auch, daß alles, soweit es nach einer Woche abzusehen war, normal verlief. Auch der Brief, der ziemlich verzweifelt geklungen hatte, sei ganz normal. Jeder, der in die Gemeinschaft eintritt, muß unzählige Schwierigkeiten und Nöte überwinden, er hat aber auch die Hilfe dazu.

Jetzt liegt es an uns, im Vertrauen auf Gott weiterzubeten und daran zu glauben, daß Er das Gute, das Er in unserem Kind begonnen hat, auch vollenden wird.

CWS

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