VISION 20004/2013
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Der Papst steht eine Stufe unter den Gläubigen

Artikel drucken Gedanken über die ersten Monate des neuen Pontifikats

Papst Franziskus ist seit 100 Ta­gen im Amt: Weltweit oft kom­mentiert, aus unterschiedlichsten Blickwinkeln. Im folgenden Eindrücke und Überlegungen von Andreas Püttmann, Autor von Gesellschaft ohne Gott – Risiken und Nebenwirkungen der Ent­christlichung Deutschlands.

Mit Papst Franziskus ist zum ersten Mal seit 1272 Jahren ein Nichteuropäer im Konklave gewählt worden. Kommt das einer Palastrevolution gleich?
Andreas Püttmann: Dieser Begriff erscheint mir kategorial verfehlt. In der Kirche gibt es keine Revolution, sondern Reformen, weil sie eine „semper reformanda“ ist. Allerdings brach sich im Vorkonklave unter den Kardinälen Unmut Bahn nach Skandalen wie Vatileaks oder um die Vatikanbank. Kardinal Bergoglio erschien nach seiner treffenden Intervention als die geeignete Person, um die Kurie zu reinigen. Seine geographische Herkunft ist demgegenüber ein nachrangiges Kriterium. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit, bis das Papsttum das geistlich ermattete Abendland verlassen würde, um sich aus den jüngeren Kirchenprovinzen Erfrischung zu holen. Schon Papst Benedikt XVI. war ja eigentlich ein unverdientes Geschenk eines vitaleren deutschen Katholizismus früherer Jahrzehnte an die heutige Kirche – und ist, vor allem in Deutschland, entsprechend unangemessen behandelt worden. Man braucht eben selbst ein gewisses Niveau, um Niveau zu erkennen. Unsere Mediokratie bringt aber massenhafte Mediokrität hervor.

Papst Franziskus ist 76, andere Menschen sind da schon lange in Rente. Hat man ihn gewählt, weil man wie 2005 kein so langes Pontifikat wollte nach dem langen von Papst Johannes Paul II.? Hätten Sie sich einen jüngeren Papst gewünscht?
Püttmann: Das Alter ist für mich nicht wichtig. Ich denke das sahen die Kardinäle – geisterfüllt – ebenso. Joseph Ratzinger hat zwischen seinem 78. und 86. Lebensjahr noch Großes geleistet: auf 24 apostolischen Reisen – darunter sehr schwierige – in Länder aller Kontinente und auf 31 inneritalienischen Pastoralreisen, bei 348 Generalaudienzen, unzähligen Katechesen und Ansprachen, mit drei Enzykliken und drei Büchern über Jesus Christus, mit der Bewältigung des Missbrauchsskandals, der Versöhnungsinitiative gegenüber den verstockten Piusbrüdern, Impulsen für den interkonfessionellen und interreligiösen Dialog, insbesondere gegenüber der Orthodoxie und dem Islam, mit der Anregung so wichtiger Debatten wie über Glaube und Vernunft, Religion und Gewalt, Politik und Recht, „Humanökologie“ und „Entweltlichung“ – eine Herkulesarbeit, die fast schon einem Gottesbeweis gleich kommt.

Hatten Sie mit der Wahl des Namens Franziskus gerechnet? Und ist es nicht verwunderlich, dass bisher noch kein anderer Papst diesen Namen gewählt hat?
Püttmann: Die Namenswahl hat mich wie fast jeden überrascht und hätte in der Tat schon viel früher vorkommen können. Der weitsichtige Joseph Ratzinger schrieb 1957 in seiner Doktorarbeit, in der Kirche der Endzeit werde sich die Lebensweise des heiligen Franziskus durchsetzen.

Denkt Papst Franziskus vorwiegend an die Armen in Lateinamerika oder will er generell zu einem Umdenken auffordern?
Püttmann: Ganz sicher unterscheidet er bei den Armen nicht zwischen südamerikanischen und europäischen. Unsere Armutsberechnungen müssten sowieso mal kritisch hinterfragt werden. „Arm dran“ sind übrigens auch Einsame, Kranke, Verbitterte und Verirrte mit viel Geld.

Wie ist es um die geistige Armut in Europa bestellt?
Püttmann: Besorgniserregend. Materialismus und Hedonismus dominieren das Leben, Utilitarismus und Empirismus das Denken. Eine fundierte humanistische Bildung ist in den jüngeren Altersgruppen kaum noch zu finden, da die mit dem Schreiben von 3000 SMS im Monat, ihrer Daily Soap und dem Dschungelcamp sowie der Auswahl ihrer  Markenklamotten absorbiert sind.

Im Angelusgebet hat Papst Franziskus unlängst gesagt „Betet für mich, dass ich möglichst wenige Fehler mache“. Stellt er sich damit nicht zu sehr auf eine Stufe mit dem gemeinen Volk?
Püttmann: Der Papst ist bekanntlich „Diener der Diener Gottes“. Wie könnte er sich da „auf eine Stufe mit dem gemeinen Volk“ stellen? Er steht gleichsam eine Stufe darunter! Diese angemessene Demut hat schon Benedikt XVI. ausgezeichnet, der sich noch im hohen Alter unter das Joch dieses schweren Dienstes gebeugt und darin seine Kräfte verbraucht hat. Dass Franziskus ausdrücklich um ein Gebet für sich bat, ist auch nicht neu. Schon Papst Gregor der Große bekannte: „Ich habe den guten Hirten beschrieben, aber ich bin keiner; ich habe das Ufer der Vollkommenheit gezeigt, aber ich kämpfe noch gegen die Sturzwellen meiner Fehler und Nachlässigkeiten; darum werft mir euer Gebet als Rettungsring zu, damit ich nicht untergehe“.

Wird Papst Franziskus die Macht der Kurie brechen können?
Püttmann: So martialisch sagt es natürlich der profane Jargon. Die Kurie braucht Macht und wird sie zu Recht immer haben, schon weil ein Papst nicht in jeder Hinsicht „Superman“ sein kann. Aber sie muss offenkundig gereinigt und an manchen Stellen effizienter strukturiert werden.

Was können wir von Papst Franziskus in Bezug auf Themen wie Ehe und Familie, Zölibat, Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexualität erwarten?
Püttmann: Dass er diesen Themen ihren gebührenden Platz zuweist: nicht im Zentrum der Verkündigung, nicht so eindimensional diskutiert wie bei uns üblich, nicht so zeitgeistsynchron beantwortet wie durch die Evangelische Kirche in Deutschland. Er dürfte wie seine Vorgänger versuchen, Wahrheit und Schönheit der Norm hoch zu halten und zugleich zur Barmherzigkeit in deren Anwendung auf den Einzelfall zu raten. Ich bin mir sicher: Auch der liebe Gott in seiner Weisheit und Güte macht Ausnahmen, weil er, anders als wir unverständige Menschen, in jedes Herz zu schauen vermag.

Das Gespräch hat Christian Dick geführt.

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