VISION 20005/2015
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Im Banne von Handy und Computer

Artikel drucken Es gilt, die neuen Medien diszipliniert zu nutzen (Von Christa Meves)

Wer sich in U-, S- oder sonstiger Bahn umschaut, überall Smartphones in Betrieb. Daheim lockt der Computer. Diese Wun­der­geräte beherrschen den Alltag vieler Zeitgenossen, die oft stundenlang im Bann der Bild­schirme stehen. Eine kritische Anfrage.

Ein mir unbekannter Hendrik mailt: „Helfen Sie mir! Ich bin computersüchtig!“ Ein anderer: „Mich hat die Pornographie erwischt. Wie komme ich da wieder heraus?“ Eine Mutter klagt: „So schöne Ferienspielprogramme hatte ich mir ausgedacht. Aber meine Kinder, alle drei: 18, 16, 14, sind nur mit dem PC beschäftigt!“ Eine andere Mutter ist verzweifelt: „Meine Tochter verweigert alles, die Schule, das Essen, den Umgang mit der Familie. Sie sitzt im verschlossenen Zimmer und beschäftigt sich mit dem Smartphone.“ Eine weitere Familie ist in Katastrophenstimmung: Unsere Tochter hat über Facebook, wie sie in einem Abschiedsbrief schreibt, „den ihr bisher unbekannten ,Mann ihres Lebens’ gefunden und ist seitdem polizeilich als vermisst gemeldet.“
Wie – um Himmels Willen – dieser neuen Flut der Nöte begegnen? Was haben wir uns mit dieser unkontrollierbaren neuen Technik denn nun eingehandelt? Was ist das für eine Seuche, die sich wie ein Schleier über ein offenbar unzureichend beackertes Feld gelegt hat? Was fesselt hier – nicht etwa nur junge – Menschen und schränkt mehr und mehr die persönlichen Handlungsspielräume ein?
Der Hirnforscher Manfred Spitzer aus Ulm hatte bereits vor einigen Jahren mit seinem Buch Die digitale Demenz davor gewarnt, dass die global angesetzte neue Technik in die Gehirne des Homo sapiens eingreife, da diese Maschine in unseren Köpfen durch ständiges Üben im technizistischen Leben unsere Mentalität verändere. Dadurch würden die ungeübten Areale immer mehr eingeschränkt, ja, zum Verschwinden gebracht werden.
Der Mensch würde ein anderer, behauptet er kühn, zumal wenn man in dieser Hinsicht schon die Kinderhirne falsch füttere, wie z. B. beim unablässigen Fernsehkonsum vom Babyalter an. Das würde eine generelle, nicht wieder löschbare Einbuße lernfähiger Vielfalt zur Folge haben. Je früher hier nun der PC und das Smartphone zur Hauptbeschäftigung würden, umso gravierender wäre diese doch als negativ einzuschätzende Umgestaltung des Gehirns.
Damit wächst nun aber auch die Frage: In welcher Weise werden denn die Auswirkungen des veränderten Gehirns in Erscheinung treten, wie wird der Mensch der Zukunft aussehen? „Krank“, sagt Spitzer unverblümt. Und dass die neue süchtige Flut bereits da ist, können die überlasteten Psychotherapeuten schon bestätigen. Darüber hinaus: Dass jede Sucht im besten Fall nur mit dünnem Eis von der Fesselung der Willensfreiheit zu lösen ist, das haben wir längst am Elend der Alkoholabhängigkeit lernen können.
Aber selbst wenn wir hoffen wollen, dass ein Absturz von der Art der eben beschriebenen Fälle bei der Mehrheit ausbleiben würde, in dem wir uns in Selbstdisziplin üben oder durch gesellschaftliche Anleitung zu vernünftigem Umgang mit den neuen Apparaten geschult werden, so bleibt dennoch unser aller Abhängigkeit von den digitalen Medien eine nicht wieder abschaffbare Gegebenheit für unser aller Gehirn.
Wie wird der neue Mensch in Zukunft aussehen, müssen wir uns dann doch fragen? Als 90-jährige Therapeutin, die sich seit 60 Jahren mit jungen Menschen beschäftigt hat, lässt sich auch hier einiges vermuten: Allein schon die Tatsache, dass in allen Bereichen der Ausbildung das rationale, theoretische Denken forciert wird, hat in der heutigen Erwachsenengeneration das funktionale Denken enorm verstärkt. Und das Fernsehen hat die Passivität in der Freizeit erhöht.
 Ich habe deshalb 1972 den Begriff „Verkopfung“ in mein Schrifttum eingeführt, weil mir bereits damals auffiel, dass der neue Mensch in den technisch fortgeschrittenen Ländern sich zwar immer noch gesellig, aber immer weniger empathisch in seinem nahen Umfeld verhält. Er hat offenbar immer weniger Feingefühl für den anderen, weniger Mitleid, weniger Mitmenschlichkeit, weniger spontane, natürliche Hilfsbereitschaft. Genau diese Fähigkeit, tiefe Gefühle zu empfinden, scheint mir bei der jungen Generation sukzessiv im Schwinden zu sein.
Es mangelt den jungen Leuten nicht an Willen, sondern es fehlt vielfach überhaupt der Sinn dafür, sich in andere, in Kinder, Alte oder Leidende hineinzuversetzen. Die ganze Bandbreite innerer Gefühlsbewegtheit scheint als eine allgemeine Eigenschaft kultivierter Menschlichkeit bei der jungen Generation – wenn auch glücklicherweise noch nicht bei allen – im Schwinden begriffen zu sein.
Die Frage ist dann natürlich: Halten vielleicht nur noch einige Restposten aus der Generation, die noch eine natürliche Kindheit haben durften, den Erhalt dieser Eigenschaften für erstrebenswert? Oder ist die Menschheit nun eben auf dem Weg zu einer gefühllosen Robotermentalität?
Der Christ jedenfalls will so nicht sein, kann das nicht wollen. Er setzt auf das Sein im Schöpfer, auf Dankbarkeit, auf begeisterte Hingabe und Total-Opfer aus Liebe. Bleibt die Frage – kann es überhaupt eine Zukunft des Menschen geben, wenn Liebe digital zum Erkalten gebracht worden ist?
Leider tappt die Mehrheit seit Jahren in die neuen Fallen und nimmt die digitalen Medien nicht als Gefahrenquelle wahr. Kluge Eltern reagieren bereits. Sie bemühen sich um eine unnachgiebige Haltung, um die Lernfähigkeit und den Freiheitsspielraum ihrer Kinder zu erhalten: Sie schaffen den Fernseher wieder ab, lassen lediglich einen einzigen PC pro Familie zu und bewilligen dessen Nutzung nur scheibchenweise. Sie kümmern sich mit Gesprächen und konstruktiven Beschäftigungen um ihre Kinder – und das besonders, wenn sie ins Jugendlichenalter kommen. Aber noch sind sie die große Ausnahme!

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