VISION 20006/2000
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Ich soll Maria bitten, für mich zu beten?

Artikel drucken Eine evangelische Christin entdeckt die Gottesmutter Maria (Kimberley Hahn)

Ihr Mann, ein evangelischer Theologe, war nach langem Ringen zum katholischen Glauben übergetreten. Kimberleys Umkehr standen noch Hindernisse im Weg, vor allem Maria. Ein Vortrag brachte diesbezüglich Bewegung in ihre Vorstellungen.

Mir gefiel nicht alles, was Dr. Miravalle ausführte. Ich hatte viele Fragen. Aber ich war nicht so ablehnend wie sonst. Ich hörte aufmerksam zu, wie er die Lehre der katholischen Kirche über Maria darlegte.

Erstens wäre sie keine Göttin - sie sei zwar würdig, geehrt und verehrt zu werden, aber nicht so, wie allein Gott verehrt wird.

Zweitens sei Maria ein Geschöpf, das von ihrem Sohn in einzigartiger Weise geschaffen worden sei wie keine andere Mutter vor oder nach ihr.

Drittens habe Maria, wie das Magnificat sagt, über Gott, ihren Retter, gejubelt, weil Gott sie vom Augenblick ihrer Empfängnis an vor jeder Sünde bewahrt habe. Mit anderen Worten, ihre Sündelosigkeit sei ein Geschenk der Gnade. (Gewiß hat Gott viele von uns davor bewahrt, in wilde Lasterhaftigkeit zu fallen. So hat er Maria vielleicht noch früher davor bewahrt. Ich gab zu, daß es möglich sein könnte.)

Viertens stamme der Titel “Königin des Himmels" für Maria nicht daher, daß sie mit Gott verheiratet wäre - wie ich gedacht hatte -, sondern aus der Ehre Königinmutter Jesu, des Königs der Könige und des Sohnes Davids zu sein. Im Alten Testament habe König Salomo, der Sohn Davids, seine Mutter Batseba auf einen Thron zu seiner Rechten gesetzt und ihr als Königinmutter in seinem Hof Ehre erweisen lassen.

Und im Neuen Testament habe Jesus seine Mutter, die selige Jungfrau Maria, auf einen Thron zu seiner Rechten im Himmel erhoben und uns gebeten, ihr als himmlische Königinmutter Ehre zu erweisen.

Fünftens bestünde Marias Sendung darin, über sich hinaus auf ihren Sohn zu verweisen und uns zu sagen: “Was er euch sagt, das tut."

... Als Scott und ich am Abend nach Hause fuhren, hatten wir ein gutes Gespräch über Dr. Miravalles Vortrag. Dabei beschrieb Scott Maria noch dazu als Meisterwerk Gottes, was ich sehr hilfreich fand: “Maria ist Gottes Meisterwerk. Stell dir vor, du gehst in ein Museum, in dem ein Künstler seine Werke ausstellt. Würde er sich etwa beleidigt fühlen, wenn du dir das Werk, das er als sein Meisterwerk betrachtet, genauer anschaust? Würde er es übelnehmen, daß du es, statt ihn selbst anschaust? ,Hallo, bitte schauen Sie mich an!' Vielmehr würde doch der Künstler dadurch geehrt, daß du seinem Werk deine Aufmerksamkeit schenkst. Und Maria ist Gottes Werk, von Anfang bis Ende."

Scott fuhr fort: “Und wenn jemand eines deiner Kinder dir gegenüber lobt, unterbrichst du ihn dann und sagst: ,Ehre, wem Ehre gebührt'? Nein, du weißt doch, daß du geehrt wirst, wenn dein Kind geehrt wird. Genauso erhält Gott Ruhm und Ehre, wenn seine Kinder geehrt werden."

Am Abend nahm ich diese Gedanken mit ins Gebet, und zum ersten Mal fragte ich Gott, was Er über Maria denke. Dabei kamen mir diese Worte ins Herz: “Sie ist meine geliebte Tochter", “mein treues Kind". “mein schönes Gefäß" und “meine Arche des Bundes, die Jesus in die Welt gebracht hat".

Ich konnte mir nicht erklären, warum die Katholiken den Anschein erweckten, daß sie Maria eine gottesdienstliche Verehrung erwiesen, obwohl dies ausdrücklich von der Kirche verurteilt worden war. Dann fiel mir folgendes ein: Für Protestanten ist es ein Gottesdienst, wenn gesungen, gebetet und eine Predigt gehalten wird. Wenn daher die Katholiken Marienlieder singen, in ihren Gebeten Maria um etwas bitten und über sie predigen, dann schließen Protestanten daraus, daß sie gottesdienstlich verehrt wird.

Für Katholiken aber bedeutet Gottesdienst das Opfer des Leibes und Blutes Jesu, und Katholiken würden nie Maria auf dem Altar als Opfer oder ein Opfer zu Maria im Gottesdienst feiern. Dies gab mir hilfreichen Stoff zum Nachdenken.

Viele wichtige theologische Fragen waren gelöst. Doch eine gefühlsmäßige Blockade war noch in mir...

Einmal hatte ich einen besonders schweren Tag mit den Kindern, als mich ein Bekannter anrief. Ich erzählte ihm, wie schwer der Tag gewesen sei, und er sagte: “Warum denkst du nicht an Maria als eine wunderbare Mutter, der du dich anvertrauen und die du um Hilfe bitten kannst?"

Ich erwiderte ihm: “Seien wir doch ehrlich. Du sagst mir, ich solle mich an eine Frau wenden, die nie gesündigt hat. Zweitens hat diese Frau nur ein Kind gehabt, und dieses eine war vollkommen. Denk doch mal nach: Beim Abendessen geht etwas schief, und jeder schaut den heiligen Josef an. Nur er kann doch schuld sein! Ich halte nichts davon, uns im Gebet an die Heiligen zu wenden. Wenn ich es trotzdem täte, würde ich mich an Josef wenden. Zu Maria hätte ich nicht einmal einen Bezug!"

... Nach dem operativen Eingriff bei meiner Eileiterschwangerschaft am 22. Januar 1989 lag ich innerlich wie leer in meinem Krankenhausbett. Mich befiel ein starkes Gefühl von Einsamkeit - weil ich dieses Leben in mir verloren und auch aufgrund des Kaiserschnitts so starke Schmerzen hatten (ohne den sonst üblichen Trost, ein Kleines in Händen zu halten)...

Als ich dem Herrn mein Herz ausschüttete und mir mein Baby getrennt von mir, aber in seinen Armen vorstellte, fielen mir Stellen aus der Schrift ein, die ich vor langer Zeit aus dem Hebräerbrief, Kapitel 11 und 12, auswendig gelernt hatte. (Ich möchte darauf aufmerksam machen, wie wichtig es für mich war, diese Schriftstellen auswendig gelernt zu haben, sodaß Gott sie mir wieder ins Gedächtnis rufen konnte in einer Krisenzeit, in der ich keinen Zugang zu seinem Wort hatte: Katholiken können und müssen die Schrift auswendig lernen. Die Protestanten haben keine besondere genetische Anlage, die es ihnen leichter machen würde, das zu tun!)

... Am Anfang des 12. Kapitels heißt es: “Da uns eine solche Wolke von Zeugen umgibt, wollen auch wir alle Last und die Fesseln der Sünde abwerfen. Laßt uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender unseres Glaubens."

Nach meinem protestantischen Verständnis hatte ich mir die Gemeinschaft der Heiligen, die ich im Glaubensbekenntnis bekannte, so vorgestellt: Die Heiligen im Himmel haben Gemeinschaft untereinander, und die Heiligen auf Erden haben Gemeinschaft untereinander, aber eine Beziehung zwischen Himmel und Erde besteht nur zwischen einem jeden von uns und dem Herrn. Schließlich hat das Alte Testament die Totenbeschwörung, die Kontaktaufnahme mit Verstorbenen, um die Zukunft herauszufinden, ausdrücklich verboten.

Doch der Hebräerbrief schien im 12. Kapitel zu sagen, daß wir hier als Menschen umgeben sind (Präsens!) von all den Brüdern und Schwestern, die uns vorangegangen sind. Mit anderen Worten, ich war nicht allein in meinem Krankenhauszimmer.

... In dieser Wolke von Zeugen, die mich in meinem Krankenzimmer umgaben, waren Heilige, die noch ältere Kinder verloren hatten als ich, deren Ehepartner gestorben waren (und nicht einfach nur zu Hause auf die anderen Kinder aufpaßten), deren Einsamkeit weitaus schlimmer war als alles, was ich bisher erfahren hatte, und die körperlich viel weiter heruntergekommen waren als ich.

Sie verurteilten mich nicht mit spitzer Zunge, weil ich meine Trauer und Einsamkeit nur so schwer überwinden konnte. Vielmehr traten sie in ihrem Mitleid und mit ihren Gebeten beim Herrn für mich ein, während ich mit so viel Leid und Schmerzen im Bett lag.

Wenn schon das inständige Gebet eines Gerechten viel vermag, wie der Jakobusbrief 5,16 sagt, wieviel mehr erst dann das Gebet eines Vollkommenen? Wenn ich meine irdische Mutter bitten kann, für mich zu beten, und weiß, daß Gott ihre Bitten hört, warum sollte ich dann nicht auch die Mutter Jesu bitten können, für mich zu beten? Dies wäre keine Totenbeschwörung. Diese Seelen leben ja, sie sind nicht tot.

Außerdem bat ich sie nicht, mir die Zukunft vorauszusagen, sondern für mich einzutreten, so wie ich hier auf Erden auch meine Brüder und Schwestern in Christus bat, für mich zu beten. Ich wandte mich nicht an sie, statt an Jesus, sondern ging mit ihnen zu Jesus, wie mit denen auf Erden. Dieses Fürbittgebet schmälerte nicht die Ehre Gottes. Es brachte sie vielmehr zum Ausdruck.

Auszug aus “Unser Weg nach Rom", Christiana, Stein am Rhein 1999

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