VISION 20003/2001
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Frühling in der Kirche

Artikel drucken Das Positive entdecken und fördern (P. Werner Kuller)

Wenn es in der Öffentlichkeit um Fragen der Kirche geht, wird häufig das Negative hervorgekehrt. Auch viele Christen sehen nur, daß vieles zerfällt. Dabei gibt es so viel Positives. Dieses zu fördern, Leben zu entdecken und zu pflegen, dazu will P. Kuller ermutigen.

Vieles ist, glaube ich, eine Frage der Einstellung. Konzentriert man sich auf das, was nicht ist oder schaut man auf das, was ist? Konzentriert man sich auf das, was nicht ist, was doch eigentlich sein sollte, dann machen sich Klage und Frustration breit: Ja, eigentlich sollten ja alle den Glauben richtig leben.

Schaut man dann aber hin, so sieht man, es gibt Menschen, die das tun. Ich denke an eine Pfarrgemeinderatsklausur zum Thema “Ehe und Familie", die ich gehalten habe. Wir saßen in einem Bildungshaus zusammen und hatten einen ganzen Tag Zeit. Ich habe die dort Sitzenden ... eingeladen, sie möchten sich doch vorstellen und sagen, was sie tun, auch was ihre Aufgabe ist und ob nicht jeder eine Sache in der Pfarre nennen könnte, die ihm Freude macht. Sie haben mich mit großen Augen angeschaut, was für eine komische Frage?

Also ein Problem hätten sie sofort nennen können, das wäre sofort da gewesen, aber eine Sache, die Freude macht! Dann fing der Erste an - und es wurde immer schöner. Ein wunderbares Klima entstand. Der Pfarrer neben mir strahlte, wie gut seine Pfarre ist und wie das wahrgenommen wird. In diesem guten Klima konnten wir uns dann mit der Frage beschäftigen, daß es im Ehe- und Familienbereich noch nicht viel gibt und wir da ansetzen wollen, um etwas zu bewegen.

Oder ich denke an eine feierliche Abschlußmesse einer Jugendtagung. Wir hatten eine sehr gute Woche miteinander erlebt, und in der Abschlußmesse kam so richtig die Freude und Begeisterung zum Ausdruck. Ich komme dann hinaus, und es spricht mich eine Frau an, die sagt: “Ja, wie kommt denn das, daß es eine solche Jugend noch gibt?"

Dieses “noch" ist unglaublich verräterisch. Das ist ein Dekadenzmodell. Es gibt sie halt gerade noch, aber eigentlich erwartet man, daß es immer schlechter wird. Man ist in einem Rückzug begriffen, wo man anderen immer mehr Terrain überläßt. Noch gibt es halt etwas. Es wird aber, das ist impliziert, immer schlimmer.

Und dann laden wir junge Leute in die Kirche ein, laden sie ein, eine christliche sakramentale Ehe zu führen, laden sie ein, sich auch die Frage zu überlegen, einen geistlichen Beruf zu ergreifen und sagen - ich übertreibe einmal - es ungefähr mit den Worten: “Komm doch mit auf unser sinkendes Schiff."

Zuerst beschreiben wir, wie schlimm es ist, daß es nicht mehr richtig funktioniert, und dann laden wir ein. Wie einladend ist das wohl?

Die Zahlen sind rückläufig, das ist klar. Die Realität schauen wir an, weil wir ja etwas mit ihr machen wollen. (...) Die Kirche steht im Gegenwind. Ich denke, daß eine Änderung der Blickrichtung da gut wäre, denn vieles ist auch eine Frage der Wahrnehmung. Wo schaue ich hin?

Vor ein paar Jahren habe ich in Gymnich bei Köln, dem Geburtsort von Pater Kentenich, dem Gründer Schönstatts, an einem alten Brauch teilgenommen, dem Gymnicher Ritt, den es seit der Zeit der Kreuzzüge gibt. Es gibt dort ein Wasserschloß, in dem ein Ritter Arnold von Gymnich gelebt hat. Er ist bei einem Kreuzzug in den Sümpfen vor Kairo in Not geraten und hat dort ein Gelübde gemacht. Jedes Jahr an Christi Himmelfahrt gibt es einen Ritt um Gymnich herum, eine Reiterprozession.

Um halb acht Uhr war die Messe für die, die zu Fuß gingen, um halb neun für die Reiter, die holten uns dann ein. Als ich hinaus ging, standen da die Leute mit dicken Wanderschuhen und einem Jausenpaket. Ich dachte: etwas übertrieben für eine Prozession. Dann sind wir losgezogen: 4,5 Stunden waren wir in glühender Sonne unterwegs.

Was haben wir gemacht? Einen Rosenkranz nach dem anderen gebetet, sonst nichts. Wer macht so etwas heute? Es waren einige hundert Leute da, 500, 600, 700, ich weiß es nicht. Der größte Teil der Teilnehmer waren junge Männer zwischen 20 und 35 Jahre. Mittags zogen wir ein, ein Volksfest am Nachmittag. Sie waren da, typisch die Leute, die man soziologisch am wenigsten in den Kirchen sieht. Sie waren da, so ungefähr unter dem Motto: Einmal im Jahr richtig fromm und dann reicht's wieder für ein Jahr.

Wenn wir das hören, was meldet sich da bei uns? Meldet sich da: Ja, eigentlich sollten die doch jeden Sonntag zur Kirche gehen? Melden sich da Ansprüche an diese jungen Männer? Oder haben wir einfach Freude daran, daß sie es tun, greifen das auf, was sie tun und führen es weiter?

Ich denke, man könnte sich manche Frustration ersparen, wenn man anschaut, was die Menschen tun, um von dort weiterzugehen: Leben entdecken und es pflegen. Wir hauptamtlichen, studierten Leute wissen halt doch zu oft, wie es eigentlich sein sollte - und was nicht sein sollte. Und dann sagen wir: Ja, die Leute sind zwar da, aber sonntags sind sie nicht in der Kirche, was bringt das denn schon?

Oder: Sie alle kennen dieses Zerrbild - ein Pfarrer, der sich nach einem vollen Weihnachtsgottesdienst beklagt: “So viel Leute und das ganze Jahr sieht man sie eigentlich nicht mehr."

Aber immerhin kommen sie zu Weihnachten. Auch hier gilt: Aufgreifen, es gelten lassen und das fördern, was sie tun.

Ich war die ersten Jahre nach meiner Priesterweihe in den USA tätig, in einer ziemlich großen Pfarre mit sechs Sonntagsgottesdiensten und einer Vorabendmesse. Der Religionsunterricht ist dort außerschulisch organisiert und so kamen jede Woche 800 Kinder zum Religionsunterricht zu 75 Katechisten.

Ein Pfarrer von dort, der sehr begabt war, Initiativen zu beheimaten, (...) hat sich geärgert, weil die Leute viel Weihwasser holten. Er hatte immer den Verdacht, das könnte magisch gebraucht werden - und Weihwasser ist nun wirklich nicht das Wichtigste. Die Eucharistie, die Sakramente, Christus sind das Zentrum - vollkommen klar, theologisch klar, da gibt es keinen Zweifel. Und nun tun die Leute so nebensächliche Sachen wie Weihwasser holen! Am liebsten hätte er es ihnen abgewöhnt.

Ein anderer Ort, dasselbe Phänomen, ein Wallfahrtsort: Ich kenne die dort für die Pastoral Verantwortlichen. Sie haben neben dem Weihwasserkessel die Osterkerze aufgestellt und ein schönes kleines Gebet zur Tauferneuerung angebracht. Und nach wenigen Wochen stellten sie fest, daß es eine Reihe Leute gab, die dieses Gebet auswendig konnten. Die Verantwortlichen haben das Leben aufgegriffen und in den richtigen Zusammenhang geführt.

Ich denke, es ist eine Frage der Einstellung hinzuschauen, Leben zu entdecken, es aufzugreifen. Es ist ja auch im Frühling nicht so, daß wir schon viele Lebenszeichen sehen, die ersten Blumen kommen raus. Wenn man ständig darauf hinweist, wie viele kahle Äste es noch gibt, verpaßt man den Frühling. Wenn man nicht Lebenszeichen entdecken will und seinen Blick ihnen zuwendet, merkt man nicht, wie es wächst und sprießt.

Der Autor ist Schönstatt-Pater, sein Beitrag ein Auszug aus dem redaktionell leicht überarbeiteten Vortrag “Frühling in der Kirche", gehalten am 24. März im Rahmen des Symposiums Hauskirche im Hospiz Sonntagberg.

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