VISION 20005/2002
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Zurück zum Feuer, zum Herzen des lebendigen Gottes

Artikel drucken Plädoyxer gegen die große Versuchung zur Resignation (Von Urs Keusch)

Neulich hat mich ein junger Mann besucht und zu mir gesagt: “Ich bin in eine katholische Buchhandlung gegangen,wollte mir ein Buch über den Glauben kaufen, um den Glauben kennenzulernen. Ich habe mir keines gekauft, sondern bin ziemlich deprimiert aus dem Laden gegangen. Schon allein die Titel und Buchbesprechungen haben mich total verwirrt."

So ergeht es heute vielen Menschen. Sie suchen: sie möchten ihren Glauben besser kennenlernen, möchten Gott finden, den Sinn des Lebens erfassen - aber im Labyrinth der Bücher und Büchergestelle verlieren sie die Hoffnung, überhaupt einmal “die Wahrheit" zu finden. Bücher, nichts als Bücher...

Es ist nicht so, daß heute die Menschen am Glauben nicht mehr interessiert wären. Aber sie wissen oft nicht, wo sie suchen, welche Bücher sie lesen, welchem Priester sie glauben sollen. Sie sind bald überfordert und entmutigt.

Hinzu kommt die verheerende “Heuschreckenplage der Kritik", die alles Grün der Hoffnung und Freude bis auf die Wurzeln abfrißt: die Kritik an der Kirche, an der Geschichte des Christentums, die Kritik an der Bibel, der Gestalt Jesu, am christlichen Weltbild, eine Kritik, die heute über die Medien globale Ausmaße angenommen hat. Wie soll da der suchende Mensch noch Wahrheit finden, noch an die Wahrheit glauben können? Denn es ist wahr, was Georges Bernanos in sein Tagebuch schreibt: “Alles, was wir gegen die Kirche tun, ist gegen die Freude getan."

Dann hat heute an vielen Orten in der Kirche die Verkündigung ihre zeugende und überzeugende Kraft verloren. Das kommt nicht von ungefähr. Wir stehen am Ende der Aufklärung. Alles liegt zergliedert, durchleuchtet, geröntgt, in Säure aufgelöst da. Die Seele des Lebens ist entschwunden. Der Blick für das Ganze verloren gegangen. Die Warnung Nietzsches vor den Gelehrten seiner Zeit trifft auch auf viele zu, die heute im Dienst des Wortes Gottes stehen: “Hüte dich vor ihnen ! Jeder Vogel liegt vor ihnen entfedert."

Es ist auch nicht wahr, daß alle die Menschen, die aus der Kirche austreten, einfach ungläubig sind und von der Kirche nichts wissen wollen. Oft sind es Menschen, denen es ein paar Mal passiert ist, daß sie den Gottesdienst und die Kirche innerlich leerer, öder verlassen haben als sie hineingegangen waren. Sie nennen es “Bla-Bla", was heute an vielen Orten in der Kirche geboten wird. Es ist solcher Verkündigung und solchem Gottesdienst oft die Seele ausgegangen.

Der Glanz der Wahrheit ist entschwunden, weil nicht mehr der lebendige Herr in der Mitte der Anbetung, des Dienstes, der Freude, des Trostes und des Lobpreises steht sondern der kleine Mensch, der um sein Ich tanzt.

Es wäre auch oberflächlich und ungerecht zu behaupten, der Mensch von heute sei der Erfahrung der religiösen Wirklichkeit nicht mehr zugänglich und die Frage nach Gott, nach Christus und der Kirche gebe es für ihn nicht mehr. Das ist nicht wahr.

Der Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen. Seine Unruhe in ihm ist seine Sehnsucht nach seinem Ursprung - und es ist die Sehnsucht Gottes nach dem Menschen. Jeder Mensch - und gerade heute - spürt diese Unruhe. Das “Gerücht Gottes" geht noch überall um.

Wir sollten nie aus dem Auge verlieren, daß jeder Mensch seinen innersten Ort hat, der für die Lüge und die Verblendung unzugänglich ist. Es ist der Ort seiner Ebenbildlichkeit mit Gott. In diesem seinem innersten Punkt regt sich sein ganzes Leben lang immer wieder die Sehnsucht nach dem Ewigen: nach der Wahrheit, nach der Liebe Gottes.

Selbst in der größten Sünde bewahrt und beschützt Gott dem Menschen diesen innersten Punkt als sein letztes Heiligtum. Auch im Leben eines noch so großen Sünders gibt es Augenblicke, wo dieser innerste Punkt wie nach außen springt, um nach dem Ewigen zu greifen. Hier liegt der tiefste Grund, warum wir das Licht der Wahrheit und der Liebe niemals verbergen dürfen (Lk 8,16). Es könnte sein, daß jemand ausgerechnet hier und in diesem Augenblick nach diesem Licht verlangt.

Es gibt eine große Versuchung für uns Christen, vielleicht ist es unsere größte: die Versuchung zur Resignation, die Versuchung zum Kleinmut. “Ach, was bringt's! Hier ist doch Hopfen und Malz verloren!" Dazu hat der Starez Sosima in Dostojewskijs letztem Roman bleibend Gültiges gesagt:

“Selbst wenn du den Menschen leuchtest, aber siehst, daß die Menschen trotz deinem Licht nicht ihr Seelenheil suchen, so bleibe fest und zweifle nicht an der Kraft des himmlischen Lichtes. Glaube daran, daß sie, wenn auch nicht jetzt, so doch später ihr Seelenheil finden werden. Finden sie es auch später nicht, so werden ihre Kinder es finden, denn dein Licht wird nicht sterben, auch nicht nach deinem Tode. Der Gerechte scheidet dahin, doch sein Licht bleibt."

Um diesen Glauben und diese Überzeugung geht es heute vor allem. Wir dürfen uns niemals von der Finsternis einer Epoche abschrecken lassen. Das ist auch die Überzeugung des Papstes, wenn er schreibt: “Wir dürfen vor zeitbedingten Krisen nicht resignieren."

Was kann man heute den Christen raten, die von Resignation angefochten sind, vor allem jenen, die in der Verkündigung stehen? Der Rat ist einfach und durch alle Jahrhunderte derselbe: Zurück zum Feuer!

Die christliche Verkündigung durch Wort, durch Beispiel, durch Dasein bezieht ihren Glanz, ihre Wärme, ihre Freude, ihre Liebenswürdigkeit, ihre Geduld und ihren Sieg von der täglichen lebendigen Begegnung mit der Wahrheit, mit Jesus Christus. Im täglichen stillen und anhaltenden Gebet und im täglichen Verkosten des Wortes Gottes bezieht die Verkündigung ihre auferweckende Kraft. Das sagt auch der Papst in seinem Schreiben zum 3. Jahrtausend: “Es besteht kein Zweifel, daß man den Vorrang des Gebetes und der Heiligkeit nur von einem erneuerten Hören des Wortes Gottes her annehmen kann."

Vom heiligen Bernhard stammt das Wort: “Glühen ist mehr als wissen." Eisen fängt erst dann zu glühen an, wenn es über längere Zeit in die Glut des Feuers gelegt wird. So ist es mit dem Christen. Er soll glühen. Er soll sich darum nicht bloß hin und wieder dem Feuer nähern, er soll sich im Feuer aufhalten: im Herzen Gottes, im Herzen Jesu.

Wo das geschieht, da geschieht wie von selbst Neuaufbruch: bei sich selber und fast unmerklich in seiner nächsten Umgebung. Denn ein Mensch, der aus der Liebe Gottes lebt, ist wie ein milder Frühling, der überall und fast unbemerkt Blumen und Käfer aus der erstarrten Erde hervorlockt.

Menschen, die glühen, sind auch niemals lau. Sie sind darum niemals untätig in der Liebe und im Dienst an der Wahrheit. Sie empfinden Abneigung gegenüber Gleichgültigkeit, Konformismus und dem Geist des Taktierens. “Die Liebe Christi drängt sie" (2Kor 5,14). Ihr Licht will hinaus. Sie können das, was sie im Glauben gehört, mit den Augen gesehen, was sie geschaut und mit den Händen angefaßt haben (1Joh 1,1), nicht für sich behalten. Sie müssen davon sprechen, davon zeugen, davon singen, davon schreiben. Sie sollen das Geschenk des Glaubens weitergeben. “Es ist das Geschenk der Verkündigung jenes Gottes, der die Liebe ist und die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn hingab." (Papst Johannes Paul II.)

Wenn jemand von sich selbst wissen will, ob Gott ihn liebe und ob er auf dem Weg zum Himmel ist, der braucht sich nur zu fragen, ob es ihn zu den Menschen drängt, um ihnen das Geschenk des Glaubens und der Liebe zu bringen. Dieses Drängen der Liebe und dieser Weg zu den Menschen ist der Weg des Menschen zum Himmel.

Man kann heute den Christen nicht eindringlich genug raten, ihren Glauben auch durch Studium zu vertiefen und in sich aufzubauen. Ein großer Heiliger der Katholischen Reformation, Franz von Sales, wird in seinen Briefen nicht müde, den Menschen immer wieder zu empfehlen, auf keinen Fall die tägliche Lektüre eines erbauenden christlichen Buches zu unterlassen, und seien es auch nur fünf Zeilen.

Franz von Sales sprach damals bei den Priestern vom täglichen Studium der Theologie als dem 8. Sakrament. Und was damals für die Priester galt, gilt heute für alle Christen: Die tägliche Lektüre eines Buches, das sie im Glauben bildet und erbaut, ist unerläßlich für ein erleuchtetes, selbstbewußtes und überzeugendes Christsein.

Noch ein bewährter Rat aus dem Schatz der christlichen Tradition: Lies die Biographien großer christlicher Zeugen! Sie sind das lebendige, das fünfte Evangelium, das viele Menschen leichter verstehen und ins eigene Leben anzuwenden wissen.

Wieviel Aufbruch ist doch im Laufe der vergangenen 2000 Jahre gerade aus der Lektüre solcher Biographien entstanden! Denken wir nur an Augustinus, Franz von Assisi, Ignatius von Loyola und viele andere. Nichts weckt nebst dem Studium der Heiligen Schrift so sehr den Glauben, die Hoffnung und die Liebe wie das Zeugnis von Heiligen. Und nichts spornt so zum christlichen Aufbruch an wie solches Beispiel.

Wo Menschen im Glauben verunsichert sind, wo sie nur noch Nebel sehen und kaum mehr einen Strahl des ewigen Lichts, dort sollten sie sich in die Gondelbahn setzen und auf einen Berg fahren. Die Heiligen sind solche Berge. Sie geben den Blick frei für die unbegrenzte Schönheit und Klarheit der christlichen Wahrheit. Jedenfalls mach' ich es so, wenn mir im Nebel von Religionskritik, Jesuskritik, Bibelkritik, Kirchenkritik... bisweilen die klaren Konturen der Wahrheit entschwinden.

Für mich ist Mutter Teresa ein solcher Berg. Von diesem Berg aus sehe ich immer wieder ganz klar, zu was für Aufbrüchen Gott uns Menschen befähigt und zu welcher Schönheit des Glaubens und Lebens Er uns berufen hat.

Der Autor ist Priester und wohnt in der Schweiz.

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