VISION 20006/2006
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Leben erblüht im Umfeld der Liebe

Artikel drucken Was heute auch schon die Wissenschaft immer klarer erkennt: (Von Christa Meves)

Leben - wer es in Fülle ausschöpfen möchte, muß in Liebe gebadet haben. Wie wichtig zur Entfaltung der menschlichen Möglichkeiten die erfahrene Liebe ist, zeigen die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung.

Die Revolution läßt sich nicht länger unter den Teppich kehren: Nach einem in den 90er Jahren in den USA begonnenen Aufbruch hat sich die Hirnforschung auch in Deutschland etabliert. PET und andere Techniken der Diagnostik haben es möglich gemacht, viel intensiver als bisher zu entschlüsseln, “was da drinnen vorgeht" im menschlichen Kopf und es auf Bildschirme zu bannen, zu beobachten und differenziert zu beschreiben.

Täglich werden neue Ergebnisse publiziert, die bisher unbekannt waren bzw. lediglich erahnt wurden, Stoffwechselprozesse, die die Geheimnisse des Gehirns Stück für Stück entschleiern.

Faszinierend sind die neuen Erkenntnisse über das Gehirn beim ungeborenen Kind und in seinen ersten Lebensjahren, die die Unaufgebbarkeit mütterlicher Geborgenheit festschreiben: denn der Streßpegel der Neugeborenen ist - so betont z.B. Prof. Michael Meaney von der McGill University in Montreal - enorm hoch, er läßt sich aber durch die Nähe der Mutter, die von Kind an ihrer Stimme, ihrem Herzschlag und Geruch sogleich erkannt wird, durch ihre Streicheleinheiten, ihr zärtliches Ansprechen und ihr Anbieten der Nahrungsquelle wieder auf ein normales Maß senken.

Und die Neurobiologen der Universität Magdeburg fügen übereinstimmend mit diesem Befund hinzu: Trennt man Rattenbabys von ihren Müttern, so bleibt der erhöhte Streßpegel als geringe Belastbarkeit für Streß chronisch erhalten!

Resümee der Forscher: Die seelische Verletzbarkeit durch unangemessene, unnatürliche Eingriffe der Experimentatoren ist enorm hoch.

Der Direktor des National Institute of Mental Health Dr. Frederick Goodwin führt die geradezu epidemische Ausbreitung geistig seelischer Störungen in den USA, die sich in den letzten Jahren verdoppelt haben, ebenso wie die Zahl depressiver Patienten auf den nicht bewältigten Streß in der ersten Lebenszeit der Kinder zurück. Ja, Streß könne tatsächlich zur Zerstörung von Hirnsegmenten führen, die für Lernen und Gedächtnis von entscheidender Bedeutung sind: “Wir sehen, wie das Gehirn destabilisiert werden kann und diese Instabilität eine Reihe von neurologischen Zuständen erzeugt, wie sie beim Menschen häufig anzutreffen sind", so das Resümee der amerikanischen Hirnforscher.

Diese Erkenntnisse und viele weitere Belege, die die Notwendigkeit einer bergenden Mutter-Kind-Beziehung im ersten Lebensjahr festschreiben, bestätigen die Erfahrung der klassischen Kinderpsychotherapie, die längst vorlagen. Sie ließen sich aber in Europa vom familienfeindlichen Trend als “lediglich anekdotisch" beiseite drängen, was nun allerdings durch die neuen Beweise immer weniger möglich sein wird.

Dennoch halten die europäischen Politiker mehr oder weniger eisern an der alten sozialistischen Marschrichtung fest, indem sie uns neuerdings ein flächendeckendes Krippensystem aufzunötigen suchen, obgleich nun nachweislich in der Phase der Konstituierung des Gehirns die leibliche Mutter und ihr natürlich liebevoller Einsatz durch keinen Profi, der mehrere Kinder gleichzeitig und mit Kunstnahrung betreut, ersetzbar ist.

Voll durch die Säuglingszeit hindurch gestillte Kinder sind im Alter von zehn Jahren den ungestillten deshalb intellektuell um zwei Jahre überlegen, so auch die Neurologin Lise Eliot in ihrem bereits ins Deutsche übersetzten Werk. Dabei erweisen sich Ansprache und Nähe als entscheidende Faktoren, um die Synapsen im Gehirn millionenfach sprießen zu lassen.

Nun ist man aber auch den verheerenden Folgen denaturierter Frühpflege auf der Spur, da man den unausgeglichenen Stoffwechsel der epidemisch gewordenen Depressionen und der Schizophrenie in neuer Weise differenziert orten kann.

Dadurch zeichnet sich der Einsatz gezielter medikamentöser Gegenmaßnahmen ab, bis hin zu der Frage, ob man nicht die Glücksbotenstoffe, die unverwahrte Kinder durch unzureichende Pflege im ersten Lebensjahr nicht aufbauen konnten, nun bei Erwachsenen chemisch nachreichen könnte. So schlägt etwa der amerikanische Neurowissenschaftler Jaak Punksepp von der State University in Bowling Green, Ohio, vor: “Junge Menschen könnten sich die Wärme menschlicher Liebe auf pharmakologische Weise beschaffen."

Die Perspektiven sind also einerseits hoffnungsverheißend, andererseits bedrängend. Können die Hirnforscher z.B. absehen, was für Folgen die chemischen Eingriffe ins Gehirn bewirken werden?

Wie so oft bei großen, neuen Erfindungen tritt unausweichlich die ethische Frage auf den Plan, ob wir wirklich alles das tun dürfen, was wir machen können, eine umso bedrängendere Frage, als auch hier - ähnlich wie beim Klonen - das Argument einer Hilfe gegen schwere Leiden bei vielen Menschen dazu führt, berechtigte Bedenken leichtfertig zu zerstreuen.

Angesichts dieser Fragestellung ist Besinnung dringend nötig. Müßte es nicht vorrangig werden, die neuen Erkenntnisse zu nutzen, damit so potentiertes seelisches, geistiges und psychosomatisches Leiden gar nicht erst entsteht?

Die Schlußfolgerungen der neuen Forschungsergebnisse sind eindeutig: Mental gesund und damit ebenso lebensstark wie arbeitsfähig wird die Krone der Schöpfung, der Mensch, wenn er während seiner Wachstumsphase mit Liebe nur so durchtränkt ist.

An seinem Lebensanfang, während das Gehirn sich ausgestaltet, muß diese Liebe im wahrsten Sinn dieses Wortes geschehen: über die Nahrung, die der leiblichen Mutter für den Neuankömmling zur Verfügung gestellt wird. Ja, in dieser Gegebenheit kommt bereits zum Ausdruck, worauf es zwingend ankommt: auf die sich intensiv einfühlende, hellhörige, zunächst der Wunderblume Kind vorrangig zugewandten Opferbereitschaft.

Diese Haltung ist unumgänglich, damit sich das Leben des Kindes streßfrei entfaltet, damit seine Synapsen sich zu riesiger Fülle in seinem Hirncomputer vermehren und damit eine optimale geistige Hochentwicklung des Menschen vorbereiten.

Auf die Liebe kommt also alles an. Ja, um einst ein Leben in Fülle leben zu können, ist es am besten, die Vorgaben sehr getreulich einzuhalten - in der Weise, wie die Natur sie vorgibt: Bei der Mutter so nah wie möglich, zu trinken, so oft das Kind danach verlangt, Anregung, Ansprache, Wärme und Zärtlichkeit; denn das Kind kennt bereits die Stimme, den Herzschlag, ja den Geschmack der Milch (weil das Fruchtwasser genauso schmeckt) von seiner leiblichen Mutter!

Liebe - zunächst in Gestalt der totalen Aufopferung der Person, aus dessen Leib das Kind geschlüpft ist - ist also der Nährboden für jegliche Kultur des Lebens; denn ohne seelischen Kraftüberschuß kann der herangewachsene Mensch sich nicht über seine trivialen Lebensbedürfnisse hinaus einsetzen.

Liebe dieser (wenn später auch gemilderten) Art braucht der jungen Mensch während seiner gesamten Kindheit hindurch - durch einen ihn ebenso tief liebenden, schutzbereiten Vater, durch Großmütter und Großväter und weitere Familienangehörige. Ja, man kann - faßt man eine erfolgreiche Erziehung ins Auge - wohl mit einem Schlagertext resümieren: Der Mensch ist “von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt." Das heißt, in den ersten 18 Jahren seines Lebens bedarf er der innigen Hilfsbereitschaft der nächsten Personen seines Umfeldes.

Durch diese Erkenntnis ist mithilfe der neuen Erfahrungs- und Neurowissenschaften ein neuer schlagkräftiger Beweis für die Wahrheit des Christentums erbracht worden. Denn eine Haltung dieser Art entspricht dem Wort Christi: “Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte und deinen Nächsten, wie dich selbst" (Lk 10,27).

Die Liebe - diese selbstlose Liebe - wie Christus sie uns vorgelebt hat, ist deshalb zu Recht der Höchstwert des Christentums! Ohne eine Liebe dieser Art kann es dem jungen Menschen nicht gelingen, seine natürliche Basis als Startplateau für jegliche höhere Ausgestaltung seines Lebens zu nutzen. Ohne dieses Pfund kann er nicht eine Stufe erklimmen, von der aus es ihm selbst möglich ist, als ein Mensch zu leben - und das heißt: zu erkennen, ein von Gott geliebtes Wesen zu sein und daraus den Impuls zu entwickeln, Ihn dankbar, als ein Hilfsarbeiter beim Lieben, zurückzulieben.

Nur Eltern, die in dieser Weise ihr Kind lieben - indem sie es als eine Leihgabe zu treuen Händen von Gott erleben - finden dann auch zu dem Timbre einer Liebe, die im Namen von Jesus Christus diesen Namen verdient, ohne selbstisch zu entarten.

Christus hat es uns zugerufen: Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wer in Bezug auf die Erziehung der Kinder in dieser Spur bleibt, darf hoffen, reiche Früchte zu ernten.

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