VISION 20006/2006
« zum Inhalt Schwerpunkt

Wozu ist eigentlich das Leben?

Artikel drucken

Ein fünfjähriges Kind hatte seinen Großvater gefragt: “Wozu ist eigentlich das Leben?" Und weil dieser sich diese Frage selbst noch nie gestellt hatte, reichte er sie an den Autor des folgenden Beitrags weiter.

Wozu das Leben? Ist das nicht eine entscheidende, vorrangige Frage, ja eigentlich die Frage schlechthin? Was wir das Leben nennen, dieser Wirbelwind, der uns mitreißt, diese Abfolge von Stunden, diese tausend Dinge, die uns beschäftigen - all das hindert uns meist daran, einfach zu leben, unserem Leben einen Sinn zu geben.

Wozu das Leben? Wie treffend, ja wie furchterregend ist diese naive Frage des Kindes! Hier geht es eigentlich um Leben und Tod. Wieviele junge Leute bringen sich heute um, weil sie auf ihre besorgte, alles entscheidende Frage keine Antwort gefunden haben.

Noch zahlreicher sind wohl jene Männer und Frauen, für die das Leben eine Art Gewohnheit geworden ist, ein resigniert angenommener, grauer Alltag, von Zeit zu Zeit spärlich von kleinen Freuden erhellt. Eher ein Überleben als das Leben selbst.

Trotz allem, auf die Gefahr hin, nicht verstanden zu werden, möchte ich entschieden antworten: Das Leben ist zwecklos.

Das ist ja die Falle, in die wir heute tappen. Man bewertet alles nach der Nützlichkeit, der Rendite, der Produktivität. Demnach müßte man das Leben durch irgendetwas rechtfertigen. Es müßte zu etwas gut sein.

Das Leben jedoch trägt seine Rechtfertigung in sich selbst. Es stellt an sich einen Wert dar. Es ist die erste Gabe. Aus christlicher Sicht ist es die Urgnade, die alle anderen Gaben erst möglich macht - sowohl jene, die wir empfangen, wie jene, die wir anzubieten haben.

Daher ist auch das menschliche Leben heilig. “Jeder Mensch ist eine Heilsgeschichte." Vom ersten Augenblick an. Daher ist das fünfte Gebot auch unmißverständlich: Du sollst nicht töten. Du darfst nie das Leben nehmen, es nie zugrunde richten.

Warum aber das Leben? Die erste Antwort lautet: zur Ehre Gottes. Dem Kind würde ich antworten: Zur Freude Gottes. Man lese den Beginn des Epheserbriefes des Apostels Paulus. Es hat Gott gefallen, es macht Ihm Freude, Leben im Überfluß zu schenken. Wir sind die Menschen Seiner Gnade, Seines Wohlwollens.

Wir müssen aber einen Schritt weiter machen. Was uns das Evangelium vom Kreuz, vom Ostermorgen und von Pfingsten offenbart, ist folgendes: Jesus will in dieses menschliche Leben, das uns geschenkt ist, das göttliche Leben einpflanzen. Was uns mit dem Leben geschenkt wird, ist die Fähigkeit, das ewige Leben zu empfangen, das Leben mit einem übergroßen L.

Und dann gibt es eine zweite Antwort: Das Leben ist uns gegeben, damit wir es verschenken können. Jesus sagt dies an vielen Stellen im Evangelium. Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Eben weil es Geschenk ist, verlangt es nach einer Antwort, nämlich geschenkt zu werden. Das Leben ist kein Schatz, den man ängstlich hütet, den man wie ein unnützes Talent eingräbt. Es ist ein Schatz, der verteilt werden will, ein Talent, das vervielfältigt werden soll.

Das Leben dient dazu zu lieben. “Er mache uns auf immer zu einer Gabe, die dir wohlgefällt", heißt es im dritten Hochgebet.

Alain Bandelier

Auszug aus “Famille Chrétienne" v. 11.9.97

© 1999-2024 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11