VISION 20002/2014
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Das ist eine Revolution

Artikel drucken Über die Alltäglichkeit von Prozeduren, die vor kurzem abstrus erschienen (Von Vladimir Palko)

Ein Rückblick auf Meldungen aus den letzen Jahren zeigt, was heute alles unter der Flagge Familie segelt, ohne ernsthaft in Frage gestellt zu werden. Im Gegenteil, die Medien suggerieren, die Entwicklung sei nicht aufzuhalten, ja ein Weg zu mehr Freiheit und Glück.

Ende 2010 verbreiteten die Agenturen die Nachricht, der Rockstar Elton John und sein registrierter Partner, der kanadische Filmproduzent David Furnish, seien „stolze Eltern“ geworden. Der kleine Zachary Jackson Levon John-Furnish wurde von einer Ersatzmutter zu Weihnachten in Kalifornien geboren. Die beiden registrierten Partner kostete dies 100.000 Pfund. Die Medien nannten den kleinen Zachary in Anlehnung an das kleine Christkind „Christmas Baby“. Fakt ist, dass auch die Geburt dieses Kindes den Beginn eines neuen Zeitalters verkündet. Ein Zeitalter, das leugnet, was durch die Geburt des Kindes vor 2000 Jahren verheißen wurde.
Wie die Tageszeitung Daily Mail ausführte, steht in der Geburtsurkunde in der Spalte „Vater“ Elton John und in der Spalte „Mutter“ David Furnish. Es ist nicht bekannt, wer die Ersatzmutter ist, die Zachary ausgetragen und geboren hat. Es ist nicht bekannt, ob diese Mutter auch die Ei-Spenderin war. Es ist nicht bekannt, wer der Spermienspender war. Ist es einer von den registrierten Partnern oder ein dritter? Es ist nicht bekannt, ob dies der kleine Zachary irgendwann erfährt, wenn er groß ist und über seinen Ursprung nachzudenken beginnt. Wie viele „Eltern“ wird Zachary letztlich haben? Drei? Vier? Fünf? Wir wissen es nicht. Aber die „Patentante“ soll angeblich Lady Gaga sein.
Diese Nachricht zum Ende des Jahres steht nicht allein. Sie hat mediales Interesse erweckt, weil die Beteiligten prominente Personen sind. Schon lange vorher hatten die Medien über noch bizarrere Ereignisse berichtet. Im November 2010 hat eine 50-jährige Mexikanerin einen Jungen ausgetragen und geboren, der den Namen Dario bekommen hat. Es war nicht ihre Eizelle, sondern die einer unbekannten Spenderin. Der Spermienspender war der 31-jährige homosexuelle Sohn der Mexikanerin. Als der kleine Dario zu sprechen begonnen hat, wie hat er da wohl die Frau, die ihn geboren hat, gerufen? Mutter? Großmutter?
Ende des Jahres 2010 vermeldeten die Agenturen, dass die Schauspielerin Nicole Kidman und ihr Partner, der Countrysänger Keith Urban, ein Kind bekommen. Das befruchtete Ei von Kidman hat aber eine bezahlte Ersatzmutter ausgetragen. Nicole wollte sich durch die Schwangerschaft nicht die Figur verderben.
Wir erfahren, dass auch einige Enkel von Mitt Romney, des US-Präsidentschaftskandidaten für die Republikaner, durch eine Ersatzmutter auf die Welt gekommen sind. Romney war im Herbst 2012 auch von vielen amerikanischen konservativen Christen gewählt worden. Bei dem Versuch, die Wiederwahl von Barack Obama zu verhindern, war ihnen nichts anderes übriggeblieben. Es ist ja wahr, dass Mitt Romney nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, auf welche Weise seine erwachsenen Kinder ihre Nachkommen auf die Welt bringen. Es scheint so, dass sich keine Familie sicher sein kann, wann die neue revolutionäre Kultur auch bei ihr Einzug hält.
Zwei kalifornische Lesben sind „Eltern“ eines elfjährigen Sohnes, der nun beginnt, sich wie ein Mädchen zu fühlen. Die beiden Mütter haben entschieden, der Junge soll sich einer allmählichen Umwandlung zur Frau unterwerfen. Aus Thomas wird Tammy. Es beginnt mit der Blockade von Hormonen, die die Entwicklung des Jungen zum Mann auslösen.  Über den chirurgischen Eingriff, der eine unwiderrufliche Änderung des Geschlechts bedeutet, soll der Junge/das Mädchen selbst entscheiden, nachdem er/es 15 Jahre alt sein wird. Also, wenn er/es dann verstümmelt wird. An irgendeinen Vater wird sich niemand mehr erinnern.     
Zwei israelische Lesben wiederum haben ein Kind auf die Welt gebracht, bei dem die eine das Ei geliefert und die andere das Kind ausgetragen hat. Das Gericht hat entschieden, dass sie beide die biologischen Mütter des Kindes sind.
Und man hört auch schon, dass es möglich sein wird, ein Kind durch künstliche Befruchtung in der Lotterie zu gewinnen. Es genügt, einen Lottoschein zu kaufen. Wenn Sie gewinnen, können Sie befruchtet werden (falls Sie eine Frau sind), oder Sie liefern den Samen eines Spenders oder eine Ersatzmutter... Wie immer Sie wollen. Und was sagen Sie zu folgendem Drama? Ein Mann und eine Frau lassen ein befruchtetes Ei, genetisch ihr Kind, in den Schoß einer Ersatzmutter implantieren. Danach wird festgestellt, ob der Fötus das Down-Syndrom hat. Sie bezahlen die Ersatzmutter für die Abtreibung. Sie nimmt das Geld.  
Wir sind eine egoistische Kultur geworden, die Versuche mit Kindern anstellt.
Die Mehrheit der Kinder wird auch weiterhin wie seit Tausenden von Jahren auf die Welt kommen und sie werden den Namen des tatsächlichen Vaters und der tatsächlichen Mutter kennen. In dieser Hinsicht wird sich nicht viel ändern. Aber das, was sich vielleicht verändert, unumkehrbar verändert, ist die Moral.
Vor einem halben Jahrhundert hätte die Vorstellung, dass sich zwei Homosexuelle ein Kind kaufen, um es zu erziehen, wobei das Kind seine wirkliche Mutter (Mütter) nicht kennt, allgemein Abscheu hervorgerufen. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Ein großer Teil der Gesellschaft geht darüber mit Schulterzucken hinweg. Zwar schauen nicht alle gedankenlos zu, aber nur wenige haben den Mut, Regeln, die vor 50 Jahren gültig waren, als moralischen Standard zu verkünden, der auch heute noch verbindlich ist.
Das, was einst unmoralisch war, ist inzwischen moralisch. Umgekehrt betrachtet man heutzutage die Verurteilung derartiger, nicht traditioneller Wege, Kinder zu zeugen, zu gebären und zu erziehen, als unmoralisch.
Eine solche kritische Verurteilung steht im Widerspruch zu einem der Hauptgebote des neuen liberalen moralischen Kodex, die Patrick J. Buchanan scherzhaft formuliert hat: „Du sollst nicht verurteilen!“ Wenn du verurteilst, bist du gehässig und „bigott“. Du sollst nicht den Lebensstil anderer verurteilen. „Alle Lebensstile sind sich gleich“, sagt ein weiteres Gebot dieses Kodex.
Die Änderungen, die die Institution der Ehe durchmacht, verlaufen mit atemberaubender Geschwindigkeit. Einst war es selbstverständlich, dass ein Kind in der Ehe geboren wurde. In den USA wurden 1940 nur 3,8% der Kinder außerehelich geboren. 2007 waren es schon vier Kinder von zehn. Der OECD-Bericht aus dem Jahr 2008 gibt an, dass es in Europa sieben Länder gibt, in denen die Mehrheit der Kinder unehelich geboren wird. Es sind Bulgarien, Frankreich, Slowenien, Schweden, Norwegen, Estland und Island, das mit 65% die Liste anführt. Weitere sechs Länder haben die Grenze von 40 % überschritten. Weitere neun haben die Grenze von 30% bereits erreicht. In jedem europäischen Land stieg die Zahl seit 1970 auf ein Mehrfaches. In Spanien betrug sie 1970 ein Prozent, heute sind es mehr als 30. In Polen wurden 1970 fast keine unehelichen Kinder geboren, heute sind es jährlich 20%.
Die Slowakei ist keine Ausnahme. Noch in den achtziger Jahren wurde grob geschätzt nur jedes 20. Kind außerehelich geboren, heute ist es bald jedes dritte Kind. Diese Entwicklung ist auch für europäische Verhältnisse rasant. Und kaum jemand bezeichnet dies als Kollaps der Moral. Es ist vielmehr „eine Veränderung der Moral“. In den Medien erzählen Prominente von ihrem gemeinsamen Leben mit dem oder jenem „Partner“ oder „Freund“, und alle nicken verständnisvoll. Vor 20 Jahren war dies noch undenkbar.
Das ist die Revolution.

Der Autor ist Dozent für Mathematik und Vize-Dekan an der Paneuropäischen Hochschule in Bratislava. Er war von 2002 bis 2006 Innenminister der Slowakei (siehe Portrait 5/13). Sein Beitrag ist dem Buch Die Löwen kommen (siehe Besprechung S. 20) entnommen.

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