VISION 20003/2014
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Gott für alles danken

Artikel drucken Gedanken über das Gebet der Christen (Von P. Luc Emmerich csj)

Wie unterschiedlich kann Beten sein: Absolviere ich Gebete nur oder trete ich bewusst vor den Allmächtigen hin? Überwiegen ´ Bitten und Klagen oder kommen Freude und Dank zum Ausdruck? Im Folgenden wertvolle Impulse für ein erfülltes Gebetsleben.


Wenn man beten möchte, ist das Allererste, was man tun sollte: Vor Gott hinzutreten mit offenen Händen und Ihn zu bitten: Herr, gib mir die Gnade des Betens. Jede Gebetsform ist eine Gnade. Die Jünger haben Jesus gebeten: Lehre uns beten.
Wir haben oft Einwände gegen das Gebet. Da türmen sich häufig viele Hindernisse auf: Wir reden uns ein, keine Zeit zu haben, unwürdig zu sein, nicht recht zu wissen, wie das geht, wir seien zu zerstreut oder wir fühlen uns ganz trocken… Auf diese Einwände ist zu antworten: All das kommt nicht von Gott. Auch wenn du nicht vollkommen bist, dein Beten nicht so „funktioniert“, wie du dir das vorstellst, auch wenn du keinen Höhenflug erlebst – Beten ist auch für dich etwas. Denn das, was zählt, ist deine Absicht – und nicht das Ergebnis. Für Gott zählt die Intention, nicht die Leistung.
Für uns Menschen aber zählt die Leistung. Auf das sind wir schon von klein an getrimmt. Für das Gebet gilt dieser Maßstab nicht. Legt man ihn an, steckt sogar etwas Hochmut dahinter. Wir wollen alles perfekt machen, wollen vor Gott gut dastehen. Dabei sagt Christus: „Nimm einfach zur Kenntnis, dass du unvollkommen bist. Ich werde dich führen.“ Beim Beten geht es also um den guten Willen: Bereit zu sein, fünf Minuten mit Christus zu reden. Und diese Zeit ist heilig. Sie ist mein Gebet.
(…) So möchte ich jetzt einige schöne Formen des Gebets ansprechen. Ohne jetzt eine strenge Reihenfolge zu definieren, könnte man doch sagen, dass die erste Form des Gebetes die Anbetung ist. Was ist damit gemeint? Dem Katechismus und der Lehre der Kirche ist zu entnehmen, dass es bei der Anbetung zunächst um eine innere Haltung geht: die „adoratio“. Das bedeutet: Wenn man vor Gott hintritt, geht es zunächst einmal darum, überhaupt wahrzunehmen, wer da mein Gegenüber ist. Stellen wir uns die Frage: Bin ich mir bewusst, dass ich als Geschöpf jetzt vor meinem Schöpfer bin?
Das ist also der erste Schritt. Daher ist es nicht gut, sofort loszulegen und die ganze Liste meiner Wünsche und Gedanken vorzulegen. Mach dir bewusst: Du bist nicht vor irgendwem, vor einem automatischen Verteiler von Gunsterweisen. Nein, Du bist vor dem lebendigen, wahren Gott, den niemand sehen kann, ohne zu sterben. Er ist der Schöpfer, der Herr der Herren. Er ist im unzugänglichen Licht.
Unsere ganze Existenz hängt an Ihm, hängt von Ihm ab. Würde Gott, der Schöpfer, eine Sekunde lang aufhören, uns zu wollen, uns zu lieben, uns zu erhalten, wir würden sofort ins Nichts fallen und verschwinden. Die Schöpfung geschah nicht nur am Anfang, sie findet ständig statt, jede Sekunde. Und der anbetende Mensch erkennt genau das an: Du bist meine Quelle, mein Alles, der Felsen, auf dem ich ruhe – Du bist mein Vater…
Wir schöpfen dauernd aus den Gaben unseres Gottes, vergessen Ihn aber über weite Strecken. In der Anbetung aber erkennen wir diese Wahrheit an. Die Anbetung konfrontiert mich mit der Wahrheit: Nicht ich bin das Zentrum der Welt. Der Heilige Vater weist oft darauf hin, dass es einer Kopernikanischen Revolution in uns bedarf: Gott ins Zentrum zu stellen. Er ist die Sonne, um die wir kreisen. Das ist die Wahrheit. Sie macht unser Leben hell und schön.
Wir Johannes-Brüder setzen jeden Tag sieben Anbetungsakte. Das geht ganz einfach: Du nimmst dir eine Minute Zeit und machst dir bewusst: Ich lege alles zu Deinen Füßen, Herr, alles, was ich bin, verdanke ich Dir. Man kann es auch tun, wenn man mit Widrigkeiten konfrontiert ist, Kopf- oder Zahnschmerzen hat. Dabei geht es nicht darum, etwas zu spüren, sondern um die innere Haltung, die Freude darüber: „Ich bin Dein Kind, Du bist mein Vater. Dieser Tag gehört Dir. Mein Herz, meine Seele, meine Träume gehören Dir…“ Solche Momente kann man über­all in sein Alltagsleben einbauen: in der U-Bahn, auf der Straße… Es verändert alles.
Eine weitere schöne Form des Gebetes, die fast automatisch aus der Anbetung hervorströmt, ist das Lob. Eine Gebetsform, die Gott wahrhaft gebührt. Was ist das aber, das Loben? Nachdem ich anerkannt habe, wer Gott ist, ist die erste naheliegende Reaktion das Lob: Herr, Du bist groß, Du bist wunderbar! Die Schrift ist voller solcher Gebete. Sie sind Anerkennung dessen, wie Gott ist. Und sie sind Dank dafür, dass Gott so ist, wie Er ist. Im Lob bewundere ich Gott: „Herr, ich bewundere Dich, Deine Güte, Deine Kraft, Deine Allmacht, Dein Licht, Deine Erhabenheit, Deine Barmherzigkeit, Deine Liebe zu uns…“
Jetzt könnte der Einwand kommen: „Das klingt alles sehr schön, aber wenn Sie mein Leben kennen würden, würden Sie das anders sehen… Ich habe keinen Grund zum Loben, denn es geht mir schlecht, ich leide, mir wachsen die Probleme über den Kopf. Was soll da das Loben?“
Dahinter steht der Gedanke, das Loben hinge von der guten Laune, den Erfolgen, der Stimmung ab. Sicher, eine schöne Erfahrung ist eine gute Basis für das Loben. Aber was sagt die Schrift zu diesem Thema? Was sagt Paulus? Seine Antwort: In allem sagt Dank. Dieses „in allem“ sollten wir hören. Wir können Gott auch für das loben, was uns gerade jetzt stört, verletzt und wehtut.
Es ist gewagt, das zu sagen. Dennoch ist es die Wahrheit. Jeder Kampf, jede Schwierigkeit, jede Prüfung, jede Grenze, die wir haben, dein Leiden, deine Traurigkeit, deine Wut – Du kannst Gott in dieser Sache loben. Ja, das klingt gewagt.
Aber es ist wahr. Wie könnte nun ein Lob unter solchen Umständen lauten? „Herr, ich verstehe überhaupt nichts, in mir lehnt sich alles auf, warum passiert all das – und warum gerade mir! In mir lehnt sich alles auf. Ich kann an nichts anderes als an meinen Schmerz denken. Dennoch: Im Inneren meines Wesens, meines Herzens ist die Gewissheit, die sagt: Herr, ich weiß, dass Du da bist, dass Du allmächtig bist, dass Du mein Heil willst, dass Du das letzte Wort hast und dass alles einen Sinn bekommt. Und daher lobe ich Dich. Ich verstehe zwar gar nichts, aber ich glaube das.“
Man bedenke: Weil wir Kinder sind, können wir nicht alles verstehen, was passiert. Sicher, wir sollen auch zu verstehen versuchen. Aber es ist nun einmal eine Tatsache: Wir sind begrenzt. Der letzte Sinn der Dinge, die ewige Frucht, die Gott aus dem Geschehen ernten wird – all das erkennen wir nicht. Oft verstehen wir ein Geschehen erst nach 10 Jahren, erkennen staunend, was es gebracht hat. Aber damals hatten wir nichts kapiert.
Das Loben macht Gott Freude. Ich wiederhole es: Auch wenn wir nichts an unserer Situation begreifen – wir loben aus dem Glauben und nicht aus der jeweiligen Laune heraus. Denn Emotionen kommen und gehen, sie hängen vom Wetter ab, von der körperlichen Verfassung. Auf sie kann man nicht bauen. Es geht vielmehr um den Glauben: „Herr, ich lobe, ich preise Dich, weil ich Dich kenne. Denn Du hast das letzte Wort, Du bist immer Sieger, am Schluss gewinnst Du. Und darum lobe ich Dich!“
Aus dem Lob entsteht die Danksagung. Sie ist eine tiefe, wunderschöne Art des Gebetes, die Gott gebührt. Die Eucharistie ist genau das. Wenn wir die Texte der Heiligen Messe hören – sie sind fast nur Dank. Danke, danke, danke… Wir können Gott für jede kleinste Sache danken: „Ich sitze hier, ich lebe, ich habe eine Seele, ich habe einen Geist, einen Willen, ich habe die Gnade bekommen, den Glauben, ich trage das Siegel meiner Taufe und meiner Firmung im Herzen. Ich habe Brüder und Schwestern, Menschen, die mich lieben, ich habe ein Dach über dem Kopf, ich habe zu essen, ich habe Freunde, ich darf die Schönheit der Welt schauen, ich atme, ich bewege mich… danke! Dank für alles!“
Die kleine Thérèse von Lisieux sagt: Gott gefällt das Danke so sehr, dass Er – sobald wir Ihm für eine Gnade danken, die Er uns gibt – sich beeilt, um uns zehn andere zu geben.
Warum dankt man? Weil wir von sehr vielen Dingen in unserem Leben profitieren. Nur merken wir es meist gar nicht. Aber kaum ist es nicht genug, sind wir unzufrieden. Und dabei empfangen wir so vieles, bemerken aber die Person, von der das alles kommt, nicht…
Beginnen wir also unser Beten mit dem Loben und Danken – und zwar immer. Daran können sich selbstverständlich unsere Bitten anschließen. Diese Reihenfolge ist einzuhalten.
Wir können also etwa beten: „Herr, Du bist groß, Du bist mein Alles, meine Liebe. Ich lobe Dich und danke Dir für Deine Gegenwart. Ich weiß, dass Du mein Herr und Meister bist und so bitte ich Dich darum: Schau auf mein Elend…“ Und dann folgen die Bitten. Denn Jesus sagt: Bittet!
Aber noch einmal: die Reihenfolge ist wichtig. Ich nehme Gott wahr, Seine Größe, ich weiß, dass ich Sein Kind bin – und daher darf ich Ihn bitten. Ich darf sogar mit Ihm streiten – Hauptsache ich wende mich an Ihn.

Aus der Katechese von P. Luc Emmerich in der Kirche Maria vom Siege in 1150 Wien zum Thema „Die verschiedenen Formen des Gebetes“ am 21.3.14




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