VISION 20002/2017
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Wir verkündigen Jesus Christus

Artikel drucken Die Welt hat Anspruch darauf, das Kostbarste an unserem Glauben kennenzulernen (Christof Gaspari)

Wir leben in einer neuheidnischen Zeit. Nur fällt es uns schwer, dies zur Kenntnis zu nehmen, weil in unseren Ländern noch so vieles christlich geprägt ist. Diese Restbestände christlicher Kultur werden jedoch zerfallen, wenn sie nicht von ihrer Wurzel, von Jesus Christus, neu belebt werden.

Ein Blick auf die Religionslandkarte der Welt könnte allerdings den Eindruck erwecken, es sei alles ohnedies nicht so schlimm: Europa inklusive Russland – und dieses reicht bis zum Pazifik – sowie ganz Amerika und Australien sind als christliche Gebiete verzeichnet. Riesige Landflächen also. Auch Statistiken über die Religionszugehörigkeit der Weltbevölkerung wirken scheinbar beruhigend: Laut Pew Research Center sind von den rund sieben Milliarden Weltbewohnern 32% Christe, also fast jeder Dritte.
Aber wie sieht die Situation konkret aus? Was wird in den christlichen Ländern tatsächlich geglaubt? Nehmen wir Österreich als Beispiel. Mit Stand 2014 gehörten 5,27 Millionen Österreicher der katholischen Kirche an. Von diesen besuchen aber nur 605.000 regelmäßig den Sonntagsgottesdienst, 11,5%. In Deutschland liegt der entsprechende Wert bei 10,5%. Die restlichen rund 90% lassen den Sonntagsgottesdienst aus, leben somit unter dem Existenzminimum für gläubige Christen.
Gleiches Bild bei der Beichte: Einmal jährlich ist wirklich das Mindeste, um eine vertrauensvolle Beziehung zu Jesus Christus aufrechtzuerhalten. Was sagen da die Zahlen? Erschreckendes jedenfalls für Deutschland: 54% der Priester (!) beichten jährlich nur einmal oder seltener, leben also ebenfalls am oder unter dem christlichen Existenzminimum. Noch dramatischer die Lage bei der übrigen katholischen „Elite“: 70% der ständigen Diakone, 88% der Gemeindereferenten, 91% der Pastoralassistenten raffen sich bestenfalls einmal jährlich zu einer Beichte auf. Und fast noch schlimmer: Ein tägliches persönliches Gebet pflegen nur 56% der Priester und 58% der Pastoralassistenten.
Zugegeben: Es gibt in Europa auch Länder mit intensiverer Gottesbeziehung: Polen, die Slowakei, Irland, Kroatien… Und es gibt auch eine Glaubenserneuerung, besonders unter Jugendlichen (siehe Zeugnisse S. 12-13), wie auch der Andrang bei Weltjugend- und Taizétreffen, bei Nightfever-Gebetsabenden oder Heiligenkreuzer Jugendvigilien zeigt.
So hoffnungsträchtig dieser da und dort beobachtbare Aufbruch auch ist, sind wir doch herausgefordert, uns der unerfreulichen Tatsache zu stellen, dass wir in einer weitgehend heidnischen Umwelt leben. Dieses neue Heidentum kennzeichnet allerdings andere Merkmale als jenes, mit dem die ersten Christen konfrontiert waren.
Michael O’Brian, Autor des Erfolgsromans Father Elijah, hat dieses neue Heidentum in einem Interview gut beschrieben: „Wir leben jetzt in einer Ära des Glaubensabfalls, der Degeneration einer einst christlichen Zivilisation hier im Westen, begleitet von unvermeidlichen Angriffen auf die religiöse Freiheit. Das unterscheidet uns deutlich von der Situation der frühen Kirche. Damals gab es eine große Anzahl von Menschen, die in der Finsternis lebten und sich nach dem Licht sehnten, in einer Welt, die aus dem Heidentum hervor kroch. In unseren Tagen, haben die abgefallenen Christen etwas von dem Licht gesehen und dennoch entscheiden sie sich dafür, in die Finsternis des Neuheidentums zurückzufallen. Sie begründen das damit, dieses sei ,toleranter’, ,liebevoller’ als die Forderungen von Gottes Gesetz – als der Geist und die Wahrheit, die zum Leben führen.“
Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Das neue Heidentum unserer Tage ist von der Überzeugung getragen, der christliche Glaube sei passé, überwunden, nicht mehr relevant. Die meisten Agnostiker vertreten diese Ansicht. Sie haben sich einem „Wissenschaftsglauben“ verschrieben, der meint, er habe den religiösen Aberglauben überwunden. Esoteriker, Yoga-Jünger lassen den christlichen Glauben hinter sich, weil sie meinen, etwas Besseres gefunden zu haben. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Freund, den ich zu einem Cursillo eingeladen hatte. Am Ende des Glaubenskurses, dessen Hauptanliegen es war, eine Begegnung mit Jesus Christus zu ermöglichen, fragte ich ihn, wie er die Tage erlebt habe. Seine Antwort war bemerkenswert: „Wir,“ damit meinte er seine Pfarrgemeinde, „sind da schon viel weiter. Die Rede vom persönlichen Gott – das ist überholt…“
Das erinnerte mich an eine Aussage des Pfarrers dieser Gemeinde. Er sagte im Rahmen einer „Dialogpredigt“ während der Messe zu einem seiner Mitarbeiter in der Firmvorbereitung: „Du hast gesagt, Jesus sei der Sohn Gottes. Das kann man heute nicht mehr sagen…“ Als ich dem Pfarrer darauf erwiderte: „Herr Pfarrer, das bekennen wir aber im Glaubensbekenntnis!“, bekam ich zur Antwort: „Da hat sich einiges geändert. Und es wird sich noch vieles ändern.“
Für mich damals ein Schock. Ich hatte erst wenige Jahre zuvor zum Glauben gefunden, ebenfalls bei einem Cursillo. Als Agnostiker, der mit „Wahrheit“ nichts am Hut hatte und alles relativ sah, wurde mir bei dem Kurs plötzlich die Einsicht geschenkt, dass mir in Jesus Christus, dem Mensch gewordenen Gott, der Garant für die Verkündigung der Wahrheit begegnet. Auf meinem weiteren Glaubensweg durfte ich dann immer wieder neu erfahren: Was die Kirche, als Leib Christi, lehrt, erweist sich als wahre, gute Wegweisung, um das Leben in der heutigen Zeit zu gestalten – auch in Fragen, in denen ich zunächst andere Positionen vertreten hatte. Oft musste ich meine Sichtweise korrigieren – und zwar mit Gewinn.
Und nun das: Jesus, Sohn des Joseph und der Maria – ein Lehrer unter vielen, also wie Buddha, Mohammed, Ghandi! Sollte das wirklich zutreffen, könnte ich genau so gut zu meinem Agnostizismus zu­rückkehren. Denn woher sollte ich dann wissen, in welchen Fragen der einfache Mann aus Nazaret recht gehabt hatte und wann nicht?
Mein weiterer Weg hing von der Beantwortung dieser Frage ab: Wer ist Jesus wirklich? Und so begab ich mich auf die Suche, las Bücher noch und noch, die Heilige Schrift, erlebte bei Kursen der Erneuerung, welche Freude  und welche Verwandlung Menschen bei der Begegnung mit Jesus Christus erfuhren, vertiefte mein Gebetsleben, führte viele Gespräche… Und je mehr ich voranschritt, umso fester wurde meine Überzeugung: Jesus Christus ist der Herr, „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott,“ wie es das Glaubensbekenntnis ausdrückt.
Heute lasse ich mich nicht mehr verunsichern durch Sätze, wie sie etwa in der Weihnachtsausgabe einer Großstadtpfarre zu lesen waren: „Die Vorstellung von der ,Menschwerdung’ Gottes ist eine Häresie – ein anderer als der biblisch bezeugte Glaube. Weder im Alten noch im Neuen Testament ist davon die Rede, dass Gott Mensch geworden ist…“ – geäußert von einer Theologieprofessorin!
Wenn heute in der Kirche solches verkündet wird, versteht man, warum der Glaube in unseren Breitegraden so bedroht ist. Eine Kirche, die sich nicht mehr zum Zentrum ihrer Botschaft bekennt, kann nicht überleben. Wozu sollte sie auch? Sie kann noch so großartige soziale Dienste durch ihre Caritas leisten, noch so viel Geld sammeln, um Armen in der Dritten Welt zu helfen, noch so sehr an das Gewissen der Menschen appellieren, sorgsam mit der Schöpfung umzugehen, noch so attraktiv Kirchen und Klöster renovieren – so wertvoll all das auch ist, es ist umsonst, wenn es nicht vom Glauben an den Mensch gewordenen Gott durchstrahlt wird.
Dass es in unserem Glauben zuallererst und vor allem um Jesus Christus geht, kommt wunderbar in Wladimir Solowjews Kurze Erzählung vom Antichrist zum Ausdruck: Da versammelt der Retter aus einer schweren politischen Krise, der Antichrist, der als Herrscher der Welt eingesetzte Kaiser, ein brillanter, gebildeter Mann, der sich auch als Kenner und Gönner der Religionen gebärdet, deren Vertreter um sich. Er will ihnen seine Gunst erweisen, ihnen das gewähren, was für sie das Wichtigste sei. Dabei denkt er an die Förderung der theologischen Forschung, die Stärkung des Primats des Papstes oder die Errichtung eines Weltmuseums christlicher Archäologie zur Stärkung der heiligen Überlieferung… Mit diesen Angeboten überzeugt er einen Großteil der versammelten Christen. Übrig bleibt aber ein Rest Glaubenstreuer, die der Antichrist mitleidig fragt: „Was ist denn euch das Teuerste am Christentum?“ Worauf im Namen des kleinen Rests ein Starez, ein orthodoxer Mönch, antwortet: „Das Teuerste am Christentum ist für uns Christus selbst – Er selbst, und alles, was von Ihm kommt; denn wir wissen, dass in Ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt.“
Ja, das Teuerste ist für uns Christus selbst. Es genügt heute nicht mehr über Gott zu reden. Im Zeitalter von Esoterik und interreligiösen Dialogen verbinden die Menschen die unterschiedlichsten Inhalte mit diesem Wort. Dass es irgendeine Art Gott oder etwas Göttliches gibt, mit dieser Idee können sich viele anfreunden. Problematisch wird es, sobald einer erklärt, Gott habe sich manifestiert, sei Mensch geworden, in Jesus Christus, vor 2000 Jahren (siehe S. 8-9). Und Er – nur Er – habe uns alles offenbart, was wir als Menschen über Gott erfahren können – insbesondere, dass Er uns liebt und eine vertraute, liebevolle Beziehung eingehen möchte.
Denn Christus bringt uns nicht nur eine Lehre, eine Wegweisung, wie Leben gelingen kann, Er bringt uns nicht nur die Wahrheit, sondern vor allem die Nähe Gottes, der sich nach unserer Zuwendung sehnt, der einen Plan für unser Leben hat (siehe S.7).
Das ist es, was Christen glaubhaft verbreiten müssen, wenn sie den weiteren Glaubensschwund verhindern wollen. Und das gelingt nur, wenn wir uns selbst für diese liebevolle Beziehung öffnen. Dass es dabei um die zentrale Entscheidung unseres Lebens geht, wird bei Jesu letzter Begegnung mit Petrus, dem Stellvertreter, am See von Tiberias (siehe S. 10-11) deutlich. Eine Szene, die mich enorm berührt: Da vertraut der Herr dem Petrus Sein Werk an. Er fragt ihn nicht, ob er bereits einen Missionsplan entwickelt, ein Organisationskonzept für die Jüngergemeinschaft entworfen, ein Expertengremium zur Lösung auftretender Probleme einberufen habe – nein, Er fragt Petrus nur: „Liebst du mich?“
An der Antwort auf diese Frage entscheidet sich alles. Denn, wo einer wie Petrus mit „Ja Herr, Du weißt alles, Du weißt auch, dass ich die liebe,“ antwortet, dort werden die Schleusen für das Wirken des Heiligen Geistes geöffnet, und es geschehen die Wunder, von denen wir in der Apostelgeschichte lesen.
Und Gleiches geschieht zu allen Zeiten – auch heute –, wo jemand sein Herz für Jesus öffnet. Selbst unsere neuheidnische Zeit braucht den Herrn, auch wenn sie es nicht weiß.



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