VISION 20001/2019
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… und das Leben der kommenden Welt

Artikel drucken Das Zeugnis der Märtyrer lässt uns ahnen, wie wunderbar das Leben bei Gott sein wird (Von P. Leo Liedermann OSB)

Es sind die Märtyrer, die wohl am eindrucksvollsten Zeugnis geben, welche Kraft und welcher Mut dem Menschen zuteil wird, der seine ganze Hoffnung auf das ewige Leben bei Gott setzt. Von einem der Märtyrer, die 1597 in Japan gekreuzigt wurden, einem 13-Jährigen, dem man die Freiheit versprach, sollte er abschwören, wird das Wort überliefert: „Die Freuden und Ehren des Lebens sind nur Schaum auf dem Wasser, wie der Morgentau auf den Gräsern. Die Freuden und Ehren des Himmels dagegen sind unvergänglich.“ Und die Märtyrinnen von Compiègne, Kamelitinnen, die 1794 zum Schaffot geführt wurden, sangen das „Veni creator spiritus“ in Erwartung der himmlischen Freuden. Im folgenden Beitrag Gedanken darüber, was uns die Märtyrer lehren.

In der frühen Kirche
Es war im Jahr 202. Als Christin mit Freunden und Angehörigen festgenommen, schrieb die 22-jährige Perpetua, Tochter einer vornehmen Familie in Karthago und Mutter eines neugeborenen Sohnes, diese Notiz in ihr Kerker-Tagebuch:
„Mein Bruder sagte mir: Frau Schwester, du hast schon eine solche Begnadigung, dass du eine Offenbarung erbitten kannst, ob es zum Leiden kommt oder ob wir frei werden. – Ich betete, und es wurde mir gezeigt: Ich sah eine eherne, sehr hohe Leiter, die bis an den Himmel reichte ... Saturninus stieg zuerst hinauf, der sich nachträglich aus freien Stücken gemeldet hatte. Er kam bis zur Spitze der Leiter, wandte sich um und sagte zu mir: Perpetua, ich erwarte dich ... Und ich stieg hinauf. Ich sah einen weit ausgedehnten Garten und in seiner Mitte einen altersgrauen Mann sitzen im Gewand eines Hirten. Er war groß und molk die Schafe, und viele Tausende in weißen Kleidern standen dabei. Er erhob sein Haupt, sah mich an und sagte zu mir: Willkommen, Kind! Er gab mir vom Käse der Milch, die er molk, einen Bissen. Ich empfing ihn mit zusammengefalteten Händen und aß ihn, wobei die Umstehenden sagten: Amen. Und beim Laut der Stimmen erwachte ich, noch essend das Süße, was immer es auch war.
Das habe ich sofort meinem Bruder berichtet, und wir erkannten daraus, dass Leiden uns bevorstehen. Da fing ich auch schon an, keine Hoffnung mehr auf diese Welt zu setzen.“
Die Christin Perpetua ist klar und ruhig bereit, ihr Leben und ihre Familie als Preis für die kommende Welt hinzugeben. Ob wir diese Entscheidung verstehen oder nicht – dieses Leben, für den wachen Christen gleichbedeutend mit Jubel und Glück, ist für unzählbare Menschen damals wie heute eine Wirklichkeit über jeder anderen bekannten Realität. Perpetua erwähnt getreulich noch ihren Schmerz um ihr Kind und den Schmerz ihrer Brüste, die nicht mehr stillen dürfen, und auch wie ihr all das gelindert wird.
Inmitten aller extremen Spannungen des irdischen Daseins ist das Leben der Gläubigen von einer Kraft getragen, nach der wir hier fragen.

Auch im Feuer
Am anderen Ende des Mittelmeeres, in Smyrna, wird 50 Jahre später über den Märtyrer Pionius berichtet: Als das Volk ihn nun zum Feuertod angenagelt sah, rief es: „Geh in dich, Pionius! Die Nägel werden weggenommen, wenn du versprichst, zu tun, was dir der Prokonsul befohlen hat“ (den Göttern zu opfern). Darauf sagte er: „Ich fühle die Wunden und weiß wohl dass ich angenagelt bin.“ Nach einer Weile sagte er: „Vor allem dazu leide ich den Tod, damit das ganze Volk erkenne, dass es eine Auferstehung nach dem Tode gibt.“ – Als Christ denkt er bei seinem Sterben an die vielen, denen er diesen Glauben an das kommende Leben weitergeben will. Er ist ein starker Zeuge!

Verborgener Einsatz
Wofür die Märtyrer damals wie heute in offener Verfolgung einstehen, das kämpfen andere im eigenen Herzen durch – mit dem gleichen Wunsch, anderen ihre Hoffnung auf die Zukunft mitzuteilen. Therese von Lisieux, Karmelitin in Frankreich, beschreibt vor 125 Jahren ihr verborgenes Leben im Kloster. In ihrer eigenen wachen Seele macht sie die geistigen Kämpfe einer glaubenslosen Zeit durch und nimmt deren Schmerzen auf sich, um ihre Brüder zum Licht zu führen:
„Gesetzt, ich sei in einem von dichtem Nebel überlagerten Land geboren, noch niemals schaute ich den lachenden Anblick der Natur, überflutet, verklärt von strahlendem Sonnenschein. Seit meiner Kindheit höre ich allerdings von diesen Wunderdingen reden, ich weiß, das Land, wo ich weile, ist nicht meine Heimat, es gibt ein anderes, dem ich unaufhörlich zustreben soll.
Keiner der Bewohner des trübseligen Landes, wo ich weile, hat diese Geschichte erfunden, es ist untrügliche Wirklichkeit, denn der König der Heimat mit der strahlenden Sonne ist gekommen, um 33 Jahre im Land der Finsternis zu leben ... Die Ge­wiss­heit, einst von dem traurigen und finsteren Land weit weg zu ziehen, war mir von Kindheit an geschenkt worden; nicht nur glaubte ich es auf das hin, was ich weisere Menschen als mich sagen hörte, sondern auch im Innersten meines Herzens verspürte ich die Sehnsucht nach einer schöneren Gegend.“
Diese Sehnsucht ist so groß, dass sie imstande ist, auch in den ärgsten Anfechtungen standzuhalten, wie sie selbst bezeugt:
„Doch plötzlich verdichten sich die Nebel um mich her, sie dringen in meine Seele ein und umhüllen sie derart, dass ich in ihr das liebliche Bild meiner Heimat nicht mehr wiederzufinden vermag, alles ist entschwunden! (…) Jesus möge mir verzeihen ... Er weiß ja. wenn ich auch den Genuss des Glaubens nicht koste, so bemühe ich mich wenigstens, dessen Werke zu tun. Ich sage Ihm, ich sei bereit, bis zum letzten Blutstropfen dafür Zeugnis abzulegen, dass es einen Himmel gibt.“

Die Heimat mit der strahlenden Sonne
Diese gottgeweihte, sensible junge Klosterfrau hat eingewilligt, Zweifel und Widerwillen der Ungläubigen und der bewussten Sünder selber zu erleiden. So ist sie eine Vorkämpferin für den Glauben an den Himmel, die „Heimat mit der strahlenden Sonne“, geworden. Am Tisch der Sünder zu sitzen, während das Herz sich nach Gottes Schönheit sehnt, ist ein bitteres Exil. Doch sie hat diesen Kampf unter körperlichen und geistlichen Schmerzen ganz entschieden geführt. Heute ist sie im Himmel eine bewährte Helferin für viele, die sich an sie wenden. Zu ihren Texten über Himmel und Seligkeit erklärte sie einmal, sie hätten mit ihren jetzigen Gefühlen nichts zu tun:
„Ich besinge einfach, was ich glauben will!“ Ihr Glaube war eine innerste Entscheidung, begründet im Glauben der Kirche, und dieser Weg steht auch anderen offen, die sich nach Gewissheit sehnen.

Im Himmel daheim und tauglich auf Erden
Bei Henri Nouwen lese ich eben: „Ich will niemandem etwas beweisen, ich will nur aus meiner persönlichen Erfahrung etwas beitragen für andere, die auf der Suche sind.“ So scheint mir auch meine eigene schon längere Erfahrung der Mitteilung wert, dass die Herzensüberzeugung von der Heimat im Himmel das Stehvermögen im jetzigen praktischen Leben stärkt. Ein sicherer und fester Anker der Seele, der hinein reicht in das Innere hinter dem Vorhang: Das ist die Hoffnung, die uns dargeboten wird, um sie zu ergreifen.
„Das Leben der kommenden Welt“, damit schließt das große Glaubensbekenntnis und lenkt unseren Blick dorthin: Es kommt auf uns zu.
Es verdient, aufmerksam erwartet zu werden. Es ist Gnade, dieses unverdiente und unverdienbare Geschenk demütig zu ersehnen und zu empfangen.
Alle Zweifel und Widerstände können sich behutsam lösen für den, der sich wie ein Kind vorstellt: Ich werde dort mit Wohlwollen erwartet und finde freundliche Hilfe beim Eintritt in die neue Heimat. Sie wird einerseits vertraut und zugleich auch sehr anders sein, noch über die höchste Sehnsucht hinaus.
Denn dieses kommende Leben ist keine aufgebesserte Verlängerung des jetzigen. Zwar schimmert schon jetzt die Hoffnung durch, dass alles Gute und Schöne der Erde und alle echte Liebe dort geläutert und vollendet weiter lebt. Doch die selige Schau Gottes wird das alles überstrahlen, wird es verwandeln in Staunen und Jubel.
Freilich, das bleiben nur arme Worte; denn je näher begnadete Menschen hier auf Erden Gott schon erfahren haben, desto sparsamer beschreiben sie den unbeschreibbar Schönen und Seligen. Eins aber spricht daraus: Es lohnt sich, für diesen Schatz alles zu verkaufen, um ihn am Ende zu gewinnen. Auch die Vorfreude darauf erweist sich als treue Quelle - schon jetzt.

Der Autor ist Mönch der Abtei Seckau und Kaplan der Pfarre des Ortes.

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