VISION 20001/2021
« zum Inhalt Schwerpunkt

Siehe da, wir sind nackt

Artikel drucken Der Glaube an die Autonomie des Menschen bröckelt (Erzbischof Michel Aupetit)

Die Krise bietet unserer Gesellschaft die Chance zu erkennen, dass der Mensch nicht autonomer Herrscher über die Welt ist. Der Pariser Erzbischof lädt ein, die Demut wiederzuentdecken und sich Maria, die Muttergottes zum Vorbild zu nehmen.

Wir denken immer, dass wir Gott suchen, aber es ist Gott. der uns sucht. Und was antwortet Adam Gott, der ihn sucht? „Ich habe mich versteckt, denn ich bin nackt“ (Gen 3,10).
Ach! Auch wir sind nackt. Wir sind wie Adam nackt, wir sehen heute unsere Verletzlichkeit, unsere Hilflosigkeit. Ein kleines Virus, ein ganz kleines Virus! Und siehe da, unsere feine Anspruchshaltung bröckelt. Wir, die wir glaubten, die Welt zu beherrschen, wir, die wir dachten, den Tod zu besiegen, wir, die wir glaubten, der Herr der Elemente und der Geschichte zu sein. Aber sieh da, wir sind nackt. Und unsere Welt zerbröckelt und wir verschanzen uns wie verschreckte Füchse.
Wir haben die Erde erobert, wir haben sie versklavt, als sie uns anvertraut worden war, um sie, wie es in den 10 Geboten verankert ist, in unsere Obhut zu nehmen. Wir hielten uns für Gott. Aber wir schämen uns nicht! Wir schließen uns zu Hause ein, wir stoßen uns bei der Begrüßung etwas lächerlich mit den Ellbogen an, wir verbieten es uns, uns zu bewegen, uns zu küssen, uns in den Arm zu nehmen. Doch wir schämen uns nicht!
Wir werkeln an der Natur herum, wir verfälschen die Biologie, wir zerstören die natürliche Ordnung unserer Herkunft und das Verhältnis von Mann und Frau. Aber wir empfinden keine Scham! Die ersten Menschen aber, der Mann und seine Frau, die, der Versuchung der Schlange nachgebend, ‚wie Gott‘ sein wollten, sie schämten sich. Und weil sie sich schämten, öffnete sich ihnen ein Ausweg. In der Tat wurde die Frau, Eva, die Mutter aller Lebenden, der Menschheit wurden Nachkommen versprochen.
Und wir. Die wir uns für Gott hielten. Und wir halten uns wohl noch immer für Gott, wir empfinden keine Scham. Gibt es einen Ausweg für uns?
Ja! Ja, und dieser Ausweg ist Maria. Maria die Wunderschöne, Maria die Prächtige, Maria das Gefäß der Gnade Gottes. Der Engel bekräftigt es: „Ich grüße dich Maria, erfüllt von Gnade.“ Voll der Gnade (Lk 1,28). Kein Widerstand war in ihr, keine Sünde, nichts, was die Gnade hätte verhindern können, die in sie einströmte. Sie ging diesen Weg…, welcher der Liebe Gottes antwortete…
Sie allein kann im Namen von uns allen dem Herrn antworten. In ihr gibt es nichts Schändliches, denn sie stellt sich der Gnade Gottes nicht entgegen. Sie empfängt die Gabe des Herrn, den Heiligen Geist, der sie unter Seinen Schutz nimmt – aber nicht, damit sie sich wie Gott mache; sie lässt Gott frei gewähren und Er selbst vergöttlicht sie. Dass sie die Wohnung, dass sie die Mutter seines Sohnes werde und selbst ein Kind Gottes, damit sie die Mutter ihres Schöpfers werde und durch ihren Sohn viele Kinder dem Herrn geboren werden. Hier ist der Ausweg, der möglich ist, der Ausweg, der sich uns heute noch bietet.
Auf die Frage Gottes, „Adam, wo bist du?“, antwortet sie demütig: „Hier ist die Magd des Herrn“ (Lk 1, 38). Und Maria folgend kann auch jeder von uns antworten: Hier ist der Diener Gottes, hier ist die Dienerin des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.
Lasst uns in Marias Fußstapfen treten, Maria, die die erste auf dem Weg des Glaubens ist, sie zeigt uns diesen Weg.

Auszug aus der Predigt des Erzbischofs von Paris Michel Aupetit am 8.12.12 in der Kirche Saint-Germain-lAuxerrois
Übersetzung: Dr. Juliana Bauer

Kath.net v. 14.12.20


© 1999-2024 Vision2000 | Sitz: Hohe Wand-Straße 28/6, 2344 Maria Enzersdorf, Österreich | Mail: vision2000@aon.at | Tel: +43 (0) 1 586 94 11