VISION 20004/2006
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Die schönste Reise meines Lebens

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Diese erste Reise ins Heilige Land war die schönste Reise meines Lebens. Dankbar hatte ich an vielen wunderbaren Stätten der Welt viel Schönes erlebt - aber noch nie eine so tiefe Einheit von Geist, Gemeinschaft, Geschichte und Geographie, vergegenwärtigt und verflochten mit meinen lebendigen Erinnerungen an alle, die mir ihre Liebe geschenkt haben.

Was mir seit meiner unauslöschlichen Begegnung mit Christus ans Herz gewachsen war, ist in diesem Land mit allen Sinnen wahrnehmbar, be-greif-bar: der Fels der Wohnhöhlen, der Fels von Golgota, der Fels der Grabstätten; die Städte, die Dörfer, die Felder, die Berge, die Wege, die Wasser, die Wüsten, die Himmel... in jener Zeit, jetzt und hier.

Ich empfand Jerusalem als die Stadt, in der Himmel und Erde einander berühren. Hatte ich vor vier Jahren an den Gräbern Petri und Pauli in Rom die Weite und die Einheit meiner Kirche erlebt, so brannte mir hier in Jerusalem - inmitten von Kopten, Äthiopiern, Orthodoxen, Protestanten, Armeniern, Katholiken - das Herz: wir Christen gehören alle zusammen und wir gehören ganz Christus! Hier ist Weltkirche!

Rom ist das Zentrum der “Lateiner", wie sie uns hier nennen, aber Jerusalem ist die communio aller Christen und ihrer älteren Brüder, der Juden. Auch den Muslimen ist Jerusalem heilig. Sie alle können trotz der Spannungen offensichtlich miteinander leben. Wenn Jerusalem Frieden findet, meine ich, dann hat ihn die Welt. Ich werde täglich für Jerusalem beten. Das nächste Konzil wird in Jerusalem sein, so wünsche ich mir ganz heimlich und ganz heftig...

Natürlich sind die Spannungen in diesem Land unübersehbar, obwohl wir uns als Pilger und Touristen nie bedroht gefühlt haben. Militär, Straßensperren, die erdrückende Betonmauer, die ganz Palästina - und zugleich ganz Israel? - zu einem Ghetto macht.

Wir erleben, wie eine palästinensische Ambulanz nach einigen Debatten an der Mauer umkehren muss. Im Gegenzug der islamistische Terroranschlag am Ostersonntag in Tel Aviv. Es tut so weh, beide Seiten zu verstehen und keinen Zugang zu den Widersprüchen zu finden, zu deren Entstehen wir Europäer viel beigetragen haben.

Am Gründonnerstag begegnet mir im Karmel von Betlehem die arabische Karmelitin Mirjam von Abellin, seliggesprochen 1983. Unsere Reisegemeinschaft öffnet sich der Spiritualität dieses Ortes. Berührende Lieder begleiten uns durch geisterfüllte Stunden unter dem Mantel der seligen Mirjam. Jeden und jede von uns bedeckt dieser Mantel für die Zeit, die das Herz für das Spiel der Freundschaft braucht.

In diesem Spiel bitte ich Mirjam für meine Tochter, die eine Operation mit schwerer Sepsis hinter sich hat. Am nächsten Tag schicke ich meiner Tochter ein SMS: “Du hast vielleicht gestern Mittag einen deutlichen Heilungsschub erfahren" und sie antwortet “Ja, gestern Mittag konnte ich das erste Mal essen". Kein großes Wunder, aber eine herzerfrischende Ermutigung.

Die Auferstehungskirche überwölbt die Schädelstätte und das Heilige Grab. Sie ist ein wuchtiges Gebilde ineinander verschachtelter Bögen, Stiegen und Höhlen, schweigend in der Nacht, von Menschen überquellend am Tag. Das Schweigen wurde mir am frühen Morgen des Palmsonntags in der Grabnische geschenkt. Das Überquellen erlebte ich am Karfreitag auf dem Felsen von Golgota, nach dem Gedränge des traditionellen Kreuzwegs durch die Altstadt.

Unter der lebensgroßen Ikone des Kreuzes wurde das Gewühl noch dichter, gelegentlich auch lautstark. Als ich mich innerlich nicht mehr dagegen stellte, wurde ich für drei Stunden still inmitten des Lärms.

Dann kam mir vor, als ginge unter diesem Kreuz die ganze Menschheit vorbei - Alte, Junge, Männer, Frauen, Schwarze, Weiße, Gelbe, Pilger, Touristen, so wie ich. Von Gott geliebt, so wie ich... alle, alle, wirklich alle!

Helmut Hubeny

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