VISION 20002/2019
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Die von Verweltlichung bedrohte Kirche

Artikel drucken Vorrang für Glaubenserneuerung vor Strukturreformen (Christof Gaspari)

Anfang März waren wir, meine Frau und ich, bei der Abschluss­feier eines zweijährigen Kurses der Salzburger Familienakademie. Zehn Paare gaben Zeugnis, ein frohes, ein ergreifendes Zeugnis von ihrem Weg, ihren Erfahrungen und ihren Plänen. Eindrucksvoll. Denn es wurde deutlich, wie sehr sie beschenkt worden waren durch die Lehre Johannes Pauls II. über Ehe und Familie. Und noch etwas: Einige aus der Gruppe hoben hervor, wie wichtig ihnen das Zusammenwirken von Priestern und Familien erschien.

Beim Treffen in Salzburg begegnete man einer jungen, kinderfreudigen, im Glauben verankerten Kirche, die den Wunsch hatte, ihre Freude mit anderen zu teilen und sie in die Welt hinauszutragen. Dort konnte man ebenso wie bei Weltjugendtagen, bei Feiern an der Hochschule in Heiligenkreuz oder am International Theological Institute in Trumau, bei Treffen der Gemeinschaft Emmanuel in Altötting oder Paray le monial, beim Fest der Jugend in Salzburg, bei der Teilnahme an einem Marsch für das Leben oder bei Jugend- und Jungfamilientreffen in Pöllau erleben, dass die Kirche trotz aller Krise, in der sie auch steckt, jung und lebendig ist. Das dürfen wir einfach nicht aus den Augen verlieren, besonders wenn es darum geht zu überlegen, welche Lehren aus der Missbrauchskrise zu ziehen sind.
Um das zu tun, macht es Sinn zu klären, worin die Krise eigentlich besteht. Sie besteht darin, dass eine – leider viel zu große – Anzahl von Klerikern sich an Jugendlichen sexuell vergangen hat und dass – ebenfalls bei weitem zu viele – Bischöfe nicht angemessen reagierten, das erlittene Elend der Opfer zu wenig ernst und den Ruf der Kirche zu wichtig genommen haben.
An dieser Stelle eine erste Klarstellung: Obwohl es so viel Fehlverhalten gegeben hat, handelt es sich trotz allem um eine ganz kleine Minderheit der Priester. Und diese Minderheit hat gegen die in dieser Frage eindeutigen Lehre der Kirche verstoßen – und zwar schwerwiegend. Denn wer im Evangelium oder im Weltkatechismus nachliest, erfährt: Erfüllte sexuelle Beziehungen haben ihren Ort in der Ehe, nirgends sonst.
Eine zweite Klarstellung: Da 80% der Missbräuche an Knaben begangen worden sind, ist offensichtlich, dass Homosexualität eine entscheidende Rolle in der Affäre gespielt hat und spielt. Auch in dieser Hinsicht ist die Lehre der Kirche eindeutig. Man lese im Weltkatechismus nach, was dieser über homosexuelle Handlungen sagt: „Sie sind in keinem Fall zu billigen.“ Dieser Aspekt wird sogar in Kirche auf sträfliche Weise ausgeblendet, weil zu viele Hirten mittlerweile eine Änderung dieser Lehre befürworten.
Dritte Klarstellung: Die Tatsache, dass eine beachtliche, wenn auch auf das Ganze bezogene kleine Anzahl von Priestern schwer sündigt, ist an sich noch keine Krise der Kirche. Das Sündigen begleitet die Geschichte der Kirche seit Anbeginn. Und dass der Klerus besonders gefährdet ist, kann man sich ausrechnen. Denn wer sollte eher im Visier des Widersachers sein als die Hirten?
Zur wirklichen Krise kommt es erst dann, wenn die Kirche beginnt, die Wegweisungen Christi   aus den Augen zu verlieren oder umzudeuten. Und diese Gefahr ist durchaus real – auch nicht zum ersten Mal übrigens.
Tatsache ist nämlich,  dass eine über Jahrzehnte gewachsene Zahl von Theologen, Priestern und Bischöfen die Lehre der Kirche gerade im Bereich der Sexualmoral infrage stellte und heute nicht mehr als verbindlich ansieht. Mit der Ablehnung der Enzyklika Humanae vitae wurde die Verhütung salonfähig gemacht und damit die Trennung von sexueller Beziehung und Fortpflanzung vollzogen. In einem Umfeld, das von der sexuellen Revolution der 68-er Jahre geprägt war, trauten sich die Hirten kaum mehr, die Sexualmoral der Kirche zu verkünden oder wollten es einfach nicht mehr.
Stillschweigend fand man sich mit vorehelichen Beziehungen und mit dem Eingehen einer zweiten Ehe nach standesamtlicher Scheidung ab. Man hörte sogar aus bischöflichem Mund, auch homosexuellen Beziehungen sei wertschätzend zu begegnen.  Klar, dass in diesem Klima auch der Zölibat ins Schuss­feld geriet, schließlich hatte sich ja die Ansicht etabliert, jeder Mensch habe quasi ein Recht auf sexuelles Tun. Das sei eben ein Trieb, den nur wenige beherrschen könnten.
All das bekamen die Hörer an Theologischen Fakultäten vorgesetzt – natürlich auch die Priesterstudenten. Und viele von diesen zogen nun in die Pfarren hinaus, um in diesem Geist ihren Dienst zu versehen, überzeugt, dass sich die veraltete Lehre der Kirche in absehbarer Zeit ändern würde. Mit unzähligen Lehrschreiben versuchte Papst Johannes Paul II., dieser und anderen Fehlentwicklungen Einhalt zu gebieten. Weitgehend vergebens, jedenfalls in Westeuropa, Nordamerika und Australien.
Und so bekam die Kirche in vielen Ländern ein Hirtenproblem, nämlich Priester und auch Bischöfe, die Kompromisse mit dem Zeitgeist machten und machen. Und dabei bleibt es natürlich nicht. Vielmehr begibt sich jeder, der sich an das anpasst, was die Welt gut heißt, auf eine schiefe Ebene, die in eine allgemeine Verweltlichung führt.
Welche Folgen dies beispielsweise in Deutschland hatte, zeigt eine Untersuchung (aus den Jahren 2012-2014) über das Gebetsleben der Priester: 54% von ihnen gehen nur einmal jährlich oder seltener zur Beichte. Mindestens ebenso schlimm: Nur 58% der Priester beten ein- oder mehrmals täglich ein persönliches Gebet! Damit nabeln sich auch Priester, so wie jedermann, von der Quelle des Lebens, des Glaubens, der Hoffnung ab. Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit einem Priester über den Wert des Gebets. Er wollte mich davon überzeugen, dass es zwar gut sei zu beten, aber letztlich habe das im Grunde genommen nur eine rein psychologische Wirkung.
Kein Wunder, dass dies zu der erwähnten Verweltlichung unter den Hirten führt. Ohne Gebet, ohne regelmäßigen, freudig erlebten Kontakt zum Herrn, wie sollen sie da nicht dem Zeitgeist erliegen, den sie schon während der Ausbildung vorgesetzt bekamen, der ihnen täglich geballt in den Medien entgegenweht und wenn außerdem ihre Väter, die Bischöfe, sie weitgehend sich selbst überlassen?
Dann beginnen sie eben, sich so zu verhalten, wie es die Welt weit verbreitet tut. Papst Franziskus wies in seiner Abschluss­rede beim Missbrauchsgipfel in Rom auf das Ausmaß hin, das der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen heute angenommen hat (siehe Kasten). Die Zahlen sind erschreckend. Man kann sie kaum glauben. Diesen Missbrauch aufzudecken, interessiert die Medien offenbar weniger. Und wird einmal etwas im Sport, in Schulen oder staatlichen Einrichtungen publik, verschwindet es rasch wieder aus den Schlagzeilen.
Mit dem Missbrauch in der Kirche ist es nicht so. Er wird weiterhin thematisiert, wenn auch übertrieben und in der Absicht, der Kirche zu schaden. Das hat damit zu tun, dass an uns Christen zurecht höhere Anforderungen gestellt werden. Sie sollen sich ja nicht der Welt angleichen, sondern als Lichter in der Welt leuchten. Aus diesem Grund sollten wir der Miss­brauchskrise  auf den Grund gehen. Und dabei wird deutlich, dass sie auf eine viel tiefer gehende Krise hinweist: auf den Glaubensverlust, der in letzter Konsequenz auch die Ursache für jeden Kindesmissbrauch ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich P. Walthard Zimmer von der Petrusbruderschaft zitieren. Er schreibt: „Der Kirche fällt derzeit dieses Versagen ,auf den Kopf’. Ihr wird aber noch mehr auf den Kopf fallen, da sie seit Jahrzehnten versagt, dem um sich greifenden Glaubensniedergang Einhalt zu gebieten. (…) Vom Pastoralreferenten bis zum Kardinal werden Änderungen in der Kirche gefordert, die dem Glauben Schaden zufügen (z. B. Kommunion für alle) oder sogar einer Glaubenswahrheit widersprechen (z. B. Frauenpriestertum). Auch hier wird vertuscht, beschönigt, verharmlost, weggesehen. So gesehen sind die Folgen für die Kirche durch die Missbrauchsfälle nur Vorboten für das, was ihr noch bevorsteht, wenn der Glaubensabfall seine volle Wirkung entfaltet.“ (Informationsblatt 2/19)
Nehmen wir diese Mahnung als Appell, unseren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten. Er besteht darin, unseren Glauben zu erneuern, zu vertiefen, damit Jesus Christus, der Herr, durch uns in dieser Welt wirken kann. Das ist es ja, was die Menschen auch in unseren Tagen suchen: Zeugen für das Wirken Gottes in der Welt.
Zu Orten, wo dies erfahrbar wird,  strömen die Menschen: nach Lourdes, nach Medjugorje, zu den Orten und Gemeinschaften, die ich eingangs erwähnt habe. Dort kann man sehen, wie jung die Kirche ist, wie lebendig, wie lebensverändernd. Dort wächst Freude und Hoffnung. Dort wird nicht über die „heißen Eisen“ debattiert, sondern die zeitlos gültige Lehre der Kirche dankbar als Wegweisung angenommen. In Heiligenkreuz geht das Priesterseminar über, beim Pfingstfest der Lorettos in Salzburg wird der Dom zu klein für die angereiste Jugend, in Pöllau man auf die nächste Generaton glaubensfroher Christen.
Die notwendige Erneuerung der Kirche erfolgt nicht durch Strukturwandel, sondern durch Umkehr zum Herrn. Die über die Jahrhunderte zu uns gekommene Lehre der Kirche weist uns den Weg. Sich dieser Erneuerung zu öffnen, ist zunächst zwar nicht spektakulär, steht jedoch jedem offen und kann – wenn es ernsthaft geschieht – große Wirkung zeitigen, wie das Leben vieler Heiligen beweist. Die eben begonnene Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, einen Schritt in diese Richtung zu tun.


 

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