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Euthanasie im Vormarsch

Artikel drucken Über die Erfahrungen mit dem „Wunsch“ nach Tötung in Kanada (Gudrun Kugler)

Das Thema Euthanasie ist ein Dauerbrenner in den Medien. Nach den schlimmen Er­fahrun­gen mit der von den Nazis prak­tizierten Tötungen ist heute Ster­behilfe die bevorzugte Be­zeichnung für diese Praxis, die  wieder salonfähig gemacht werden soll. In einigen Ländern ist diese „Hilfe“ bereits legal. Im Folgenden ein Blick nach Kana­da, das Töten legalisiert hat.


Vor mehr als zwei Jahren wurde in Kanada Eu­thanasie legalisiert. Sie wird dort als „Medical assistance in dying“, medizinische Unterstützung beim Sterben, bezeichnet – als „health care choice“, als Gesundheits­entschei­dung des Patienten. Mit 75 Fällen pro Jahr wurde gerechnet, fast 2000 sind es geworden.
Das Verbot der Euthanasie war vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden. In kaum zu übertreffender Ironie stützte sich die Argumentationslinie auf das Recht auf Leben jedes Menschen. Das Verbot der Euthanasie soll insofern gegen das Recht auf Leben verstoßen haben, als es unheilbare Patienten gezwungen habe, sich selbst zu töten, bevor sie in einen Zustand gerieten, der ihnen dies unmöglich machte. Die Euthanasie hingegen erlaube nicht nur eine Verlängerung des Lebens, sondern sei auch eine humanere Option als der Selbstmord.
In den zwei Jahren der Legalität der Euthanasie hat sich die Haltung der Kanadier zum Sterben grundlegend geändert: Warum sich selbst Leiden aussetzen? Warum andere im Leiden begleiten? Schließlich haben wir ja Alternativen dazu.
Der Selbstmord hat sich zu einem sozialen Gut gewandelt: Das gemeinsame kulturelle Bestreben, ihn zu verhindern, ist verloren gegangen. Berichtet wurde von Notaufnahmen, die Überlebende von Selbstmordversuchen nicht behandeln wollten. Man wolle sich nicht über deren Entscheidung hinwegsetzen. Der menschliche Wille stehe über dem Wert des Lebens. Der Versuch, einen Selbstmordgefährdeten von seinem Plan abzubringen, wäre ebenso eine illegitime Aufdrängung der eigenen Wertvorstellungen.
Laut Berichten wurde sogar Werbung für Euthanasie in kanadischen Krankenhäusern gesichtet. Tatsächlich sind es manchmal die Ärzte selbst, die die Idee aufbringen, Euthanasie in Anspruch zu nehmen. Eine Mutter, die Euthanasie für ihre erwachsene behinderte Tochter ablehnte, wurde vom behandelnden Arzt als selbstsüchtig bezeichnet. Sie verweigerte trotzdem die Tötung ihrer Tochter. Der Zustand der Tochter verbesserte sich kontinuierlich, sodass es ihr ein Jahr später wieder gut ging. Innerhalb von zwei Jahren hat sich die Kultur innerhalb des Gesundheitswesens grundlegend gewandelt.
Tatsächlich sind die Voraussetzungen für die Legalität der Euthanasie schwer nachprüfbar. So muss der Tötung ein schwerer und unheilbarer Krankheitszustand vorausgehen, der dem Patienten untragbar erscheint. Und das ist  ein rein subjektives Kriterium! Weiters darf kein Druck von außen vorhanden sein: Dies ist ein schwer zu beweisendes Kriterium! Es muss eine sogenannte „informierte Einwilligung“ nach einer Beratung über palliative Versorgung vorliegen.
Experten warnen außerdem davor, dass all diese Einschränkungen langfristig nicht halten werden: Jede Einschränkung wird als grausam empfunden. Wieso soll nur die physische Krankheit, nicht aber eine psychische Erkrankung ein legitimer Grund sein? Wieso nur unheilbar Kranke? Wieso nur Erwachsene?
In der Praxis zeigen sich bereits die ersten Überschreitungen: Auch die Altersschwäche wird zum Grund für Euthanasie. Das Leiden muss gar nicht zum Tod führen – so wurde im letzten Jahr eine 80-jährige Patientin mit der Begründung, „dass sie sowieso schon alt genug wäre“, zur Eu­thanasie zugelassen. Auch „reifen Minderjährigen“  („mature minors“) sollte man ihre persönliche „Gesundheitsentscheidung“ nicht verwehren.
In Belgien sind Fälle gang und gäbe, die weit über den ursprünglichen Anwendungsbereich bei Sterbenden mit großen Schmerzen hinausgehen. So wurde ein Häftling zur Euthanasie zugelassen, weil er eine längere Gefängnisstrafe absitzen musste, so der Euthanasie-Experte Derek Ross. Und, kaum zu glauben, aber wahr: Euthanasie ist in Belgien auch möglich bei emotionalen Herausforderungen wie dem Tod eines nahestehenden Menschen, eines Haus­tiers oder auch bei Minderwertigkeitsgefühlen.
Wo Euthanasie möglich ist, sparen Krankenkasse, Staat und Versicherungen viel Geld. Forschung in der Palliativmedizin wird weniger wichtig und deshalb mit weniger finanziellen Mitteln ausgestattet.
Ein Nebeneffekt der Euthanasiepraxis betrifft die Einschränkung der Gewissensfreiheit von Ärzten: Wer sich weigert, die Tötung vorzunehmen, ist verpflichtet, dem Patienten einen anderen Arzt zu empfehlen, der keine Gewissensprobleme damit hat. Auch das finden viele Ärzte ethisch unzumutbar. In Kanada ist es dennoch vorgeschrieben.
Die österreichische Politik hat sich in einer breiten Enquete-Diskussion im Jahr 2014 klar gegen jegliche Entwicklung in Richtung Euthanasie ausgesprochen. Dennoch machen etwa die „Neos“ immer wieder Vorstöße für eine Legalisierung z. B. für die Beihilfe zum Selbstmord. Wir dürfen uns deshalb auf dem bisherigen Konsens nicht ausruhen, sondern müssen hierzulande proaktiv vorgehen, um das Sterben ins Leben zu integrieren. Wir müssen sicherstellen, dass sich niemand eine Todesspritze wünscht, um in Würde zu sterben.
Medizinisch gibt es viele Möglichkeiten, das Ende des Lebens auch in schwerer Krankheit ertragen zu können. Diese Möglichkeiten müssen weiterentwickelt und allen zur Verfügung gestellt werden. Meist nennen Sterbenswillige als Motiv für ihren Wunsch einerseits Einsamkeit und andererseits die Angst, die eigene Autonomie komplett zu verlieren. Hier sind wir alle gefragt – im persönlichen Umfeld wie in Politik und Öffentlichkeit – dafür zu sorgen, dass das Leben der Menschen im eigenen Umfeld auch noch am Ende lebenswert bleibt.

Die Autorin ist Abgeordnete zum Nationalrat.

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