VISION 20003/2004
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Lieber Apostel als Millionär

Artikel drucken Hubert Liebherr, erfolgreicher Unternehmer in einem Großkonzern, ändert radikal sein Leben (Von Alexa Gaspari)

Wo sind bloß die beiden Kassetten mit dem Lebenszeugnis Hubert Liebherrs, des jüngsten Sohnes des Liebherr-Konzerngründers?" denke ich, als ich mich auf das Interview vorbereite mit dem Mann, der auf seinen Direktorssessel im Konzern und ein millionenschweres Erbe verzichtet hat, um als Apostel Christi frei verfügbar zu sein. In den Räumlichkeiten von VISION lerne ich ihn dann kennen: ein imponierendes Äußeres, das gut zu seiner imponierenden Geschichte paßt, denke ich. In einem langen Gespräch erzählt mir mein Gegenüber lebhaft und bewegend aus seinem Leben.

Den Namen Liebherr kennt man wohl von den verschiedensten Kränen, Baumaschinen und Haushaltsgeräten. Dabei hat Huberts Vater nach dem Krieg in einer kleinen Holzbaracke sein Unternehmen begonnen. Heute beschäftigt die Familie - das Unternehmen ist immer noch zu 100 Prozent in Familienbesitz - über 21.000 Mitarbeiter weltweit und macht einen jährlichen Umsatz von vier Milliarden Euro.

Als der letzte Sprößling, Hubert, 1950 geboren wird, wohnt die Familie im Illertal. 1956 übersiedeln sie nach Biberach, zwischen Ulm und Friedrichshafen, im Herzen Obersschwabens gelegen. “Hochdeutsch war meine erste Fremdsprache," erzählt mein Gesprächspartner lächelnd....

Die Eltern erziehen ihre fünf Kinder gläubig. Die Mutter betet mit ihnen, es gibt keine Mahlzeit ohne Tischgebet, keinen Sonntag ohne Hl. Messe. Als Jugendlicher im Internat ist Hubert auch anderen Einflüssen ausgesetzt. Und dann kommen die Studentenunruhen des Jahres 68: Er ist damals in Heidelberg und läßt sich von ihrer Geisteshaltung anstecken: Der Herrgott hat verspielt. “Er flog vollends raus aus meinem Leben. Das war eine finstere Zeit", erinnert er sich. Den Glauben gesteht er nur alten Menschen zu, die bald sterben müssen und einen Strohhalm brauchen. Die lässigen jungen Leute, die alles besser machen als die ältere Generation, brauchen das nicht.

Auch Liebherr junior schimpft wie wild auf den Papst, der sich nicht in die längst fällige sexuelle “Befreiung" einmischen möge. Für den jungen Mann ist es normal in vielen Städtchen eine Freundin zu haben. Erst viel später merkt er, daß das mit Freiheit nichts zu tun hat, sondern “den direkten Weg in die sexuelle Abhängigkeit bedeutet. Im Grunde genommen wußte ich, daß es nicht korrekt war, was ich da tat. Daß mir da einer, der Papst, ins Gewissen redet, hat mich geärgert," gesteht er. “Spätestens als mir bewußt wurde, daß er schon für meine innere Freiheit gekämpft hat, als ich noch gar nicht gemerkt hatte, daß ich ein Gefangener war, spürte ich, daß er aus der Fülle des Menschseins denkt und handelt, während ich aus meinen Schwächen heraus argumentiert hatte." In der Zeit nach dem Abitur betet der junge Mann also nicht mehr, geht nicht zur Messe, der Glaube ist ihm vollkommen egal.

Nach der Bundeswehr studiert er Bauingenieur und Vermessungswesen an der TU-Karlsruhe und wird Diplomingenieur. 14 Tage nach der letzten Diplomprüfung geht er für vier Jahre nach Algerien. Eine Liebherr-Baufirma errichtet dort eine große Fabrik. Der frischgebackene Diplomingenieur ist für die Bauphase zuständig. Rückblickend war diese Zeit sehr wichtig für ihn.

Nachts, wenn er in der Sahara die Sterne betrachtet - “sie leuchten hier viel klarer und heller" - taucht immer wieder die Frage auf: Wo kommt das alles her? Wirklich aus dem Nichts? Sein schwäbischer Hausverstand sagt ihm eigentlich eindeutig: aus Nichts wird Nichts. In diesen Momenten öffnet er sich erstmals wieder aus eigener Überlegung für die Idee, es könnte doch einen Schöpfergott geben.

Wir müssen beide lachen, als er feststellt: “Daß aus einem einzigen Knall alles entstanden sein soll - also da glaub' ich eher ans Rotkäppchen. Da tu' ich mir leichter." Wir sind uns einig , daß wir uns lieber an die Bibel halten: “Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott... Alles ist durch das Wort geworden..." “Daß aus dem Geist, der auch Information ist, Materie wird, macht Sinn. Aber aus nichts kann nichts werden," schließt mein Gegenüber den Gedanken ab.

1981 kommt er nach Deutschland zurück. Die Kompetenzen werden unter den Geschwistern neu verteilt. Unter der Leitung des Vaters ist jeder für bestimmte Bereiche zuständig: Hubert für Fahrzeug-, Bohrinsel-, Hafen- und Containerkräne, Werkzeugmaschinen und Flugzeugausrüstung. In den folgenden Jahren ist die Technik seine Welt, in der er sich sehr wohl fühlt. Seine abwechslungsreiche Arbeit begeistert ihn. 1983 heiratet er - und ist mit seinem Leben rundum zufrieden. Das Letzte woran er denkt, ist, daran etwas zu ändern.

Ein merkwürdiger Autounfall leitet aber eine Wende ein: Da steht einer vor einer Stoptafel und fährt just in dem Moment los, als Liebherr, auf dem Weg zu einem seiner Werke vorbeikommt. Der Autofahrer hat ihn übersehen: Bei beiden Fahrzeugen Totalschaden, aber niemand verletzt.

Jedes Mal, wenn der Jungunternehmer nun an der Unfallstelle vorbeikommt, fragt er sich, wieso das passieren konnte, bis er - mehr als ein Jahr später - 50 Meter von der Kreuzung entfernt eine Kapelle erblickt. Es drängt ihn hineinzuschauen. Als er ihre Schwelle überschreitet, weiß er mit Sicherheit: Der Unfall geschah, damit er diesen Ort betrete. Im Inneren: eine kleine Lourdesgrotte und eine Muttergottesstatue.

Hier erlebt er erstmals, was er seither bei Muttergottesstatuen oder -bildern immer wieder erleben darf: Beim Betreten einer Kirche oder Kapelle blickt ihn die Muttergottes, im wahrsten Sinn des Wortes, einen Augen-Blick lang an. Dann ist wieder alles wie vorher. Wunderbar, denke ich unwillkürlich, beneidenswert. Hubert Liebherr kann es damals nicht fassen: “Das gibt es doch nicht," denkt er. Er umrundet die Statue, um zu schauen wie das sein konnte.

Ab nun kommt er immer wieder her. Jedesmal ist da dieser Blick. Auch spürt er Marias Nähe in besonderer Weise. Hat seine Mutter früher nicht von den Erscheinungen in Fatima erzählt? Nun interessiert ihn das und er besorgt sich das Buch Maria spricht zur Welt und ist fasziniert, besonders von ihrem Versprechen, allen beizustehen, die an fünf aufeinanderfolgenden ersten Samstagen im Monat beichten, den Rosenkranz beten und die Hl. Messe mitfeiern.

Da er gerade in einem der Werke Probleme hat - keiner will bei einer Neuorganisation mitmachen -, setzt er diesen Wunsch Mariens in die Tat um. Allerdings dauert es einige Monate, bis er einen Rosenkranz samt Beschreibung ersteht. Lächelnd gesteht er: “Der Himmel lacht heute noch über meine ersten Rosenkranzgebete: Von Andacht keine Spur. Ich mußte ja ständig nachlesen: erste Perle, zweite Perle ..."

In der Firma spricht er nicht mehr von seinen Vorschlägen. Plötzlich aber benützen andere seine Argumente von früher und sein Projekt wird eingeführt. Der junge Liebherr staunt: Da hat der Himmel wirklich geholfen. Aus Dankbarkeit verspricht er Maria - zu ihr hat er schon eine persönliche Beziehung - am 70. Jahrestag ihrer ersten Erscheinung, also am 13 Mai 1987, nach Fatima zu fahren. Bis dahin bleibt die Kapelle der einzige Ort, wo er seine Beziehung zum Himmel pflegt. Noch zieht es ihn nicht allwöchentlich in die Hl. Messe.

Trotz des neu gewonnenen Glaubens zweifelt er auch immer wieder. Bei einem Besuch in der Kapelle im Herbst 86 bittet er die Muttergottes, ihm doch in Fatima ein Zeichen zu schicken, damit er sicher weiß, daß sie existiert.

Er hat den Gedanken noch nicht fertig gedacht, “da war es, als würde ein Blitz in meinen Kopf einschlagen. Es wurde ganz hell vor meinen Augen. Mehrmals. Ein Blitzlichtgewitter - und ein Krachen, als würde das Dach herunterkommen. Durch meinen Körper ging ein Vibrieren, wie wenn man einen Stromschlag erhält", schildert er sehr bewegt diesen Vorfall. “Obwohl ich furchtbar erschrocken bin, war mir doch sofort klar: Das ist das eindeutige Zeichen, das ich erst für Fatima erbeten hatte."

“Woher wußte Gott aber diesen - noch nicht einmal fertiggedachten - Wunsch? Kennt Er wirklich alle meine Gedanken?", fragt er sich bestürzt. Vieles fällt ihm ein, was besser niemand wissen sollte. “Hubert, da mußt du dich nun wirklich anstrengen, habe ich mir gedacht", erzählt er versonnen.

Im Mai 87 ist also, wie versprochen, seine erste freiwillige Wallfahrt fällig, ein sehr moderner Pilgerflug, den der ausgebildete Pilot mit der eigenen zweimotorigen Maschine und Freunden unternimmt. In Fatima beeindruckt ihn vor allem der tiefe Glaube der zahllosen Pilger. So einen Glauben hätte er auch gerne...

Auf dem Rückflug fragt ihn einer der Freunde, ob er schon von Medjugorje gehört hätte, einem Ort in Jugoslawien von dem berichtet wird, die Muttergottes erscheine dort täglich vier Sehern. Nein, noch nie davon gehört. Doch er verspürt sofort eine Sehnsucht, dorthin zu fahren und sechs Wochen später ist er wieder mit seinem Flugzeug unterwegs.

Der Aufenthalt im bosnischen Pilgerort, ist zunächst eine einzige Enttäuschung: Das kleine oder mittlere Wunder, nach dem er Ausschau hält, geschieht nämlich nicht, obwohl er meint, es stände ihm zu. Der Herr, so muß er feststellen, läßt sich nicht von einem Unternehmer mit Privatflugzeug beeindrucken.

Andererseits ist er noch nicht bereit, seinen keimenden Glauben zu bekennen: Den Rosenkranz hält er verschämt in der Hand versteckt und die vielen Beichtenden, die in Schlangen anstehen, um dann, für alle sichtbar vor der Kirche neben einem Priester knieend ihre Sünden zu bekennen, tun ihm leid. Das ist nichts für ihn. Wie peinlich, wenn ihn da ein Bekannter sähe!

Während er die sündigen Pilger betrachtet, wird ihm plötzlich irrsinnig schlecht. Unverständlich, er hat so etwas nie. Im selben Moment fällt ihm etwas ein, was er mit 18 Jahren in einer Kirche in Belgien getan hat - längst verdrängt. Daheim will er es dann in einer weit entfernten Stadt - um nicht erkannt zu werden - beichten, denkt er. Nun nimmt aber seine Übelkeit weiter zu. Bevor ein Malheur passiert, steht er auf - aber im selben Moment stellt ein Priester unmittelbar vor ihm seinen Schemel auf und daneben das Schild “Deutsch".

Liebherr schildert: “Was mich nun so radikal auf die Knie zog, muß die Gnade Gottes gewesen sein. Innerlich durfte ich spüren, wie sehr ich Gott beleidigt hatte, wie wenig ich Ihn bisher gesucht hatte. Das tat weh. Ich weiß nicht mehr, was ich alles gebeichtet habe, aber es mußte alles raus. Ich war sicher, der Herr würde mir nie verzeihen. Und doch - als der Priester mir die Lossprechung gab, war alles gut. Ich wußte: Gott hatte mir trotz allem verziehen. Er liebt mich."

Die Freude darüber ist ihm noch heute anzusehen. “War Ihnen nach der Beichte noch schlecht?", frage ich neugierig. Keine Spur! Die Übelkeit war einem Gefühl des tiefen Friedens gewichen. Er fühlte sich wie neugeboren. Schlagartig hat er begriffen, wie wertvoll dieses Sakrament der Liebe und der Versöhnung ist. Darum, erklärt er mir jetzt, spricht er jedesmal, wenn er Zeugnis gibt, ausführlich über die Beichte. “Sie ist ja für uns gemacht. Wir sind die Blöden wenn wir sie nicht nutzen."

Heimgekehrt, beschließt er gemeinsam mit einem Freund, im Herbst 1988 ein Flugzeug für einen Pilgerflug zu chartern. Bei einem Informationsabend soll er statt dem verhinderten Freund den Menschen seines Heimatortes über Medjugorje erzählen. Sein Vater ist ganz dagegen: Er soll sich nicht vor den ungläubigen Mitarbeitern des Unternehmens lächerlich machen. Hin und her gerissen zwischen dem Vater und dem Himmel entscheidet er sich, zu seinem Versprechen dem Herrgott gegenüber zu stehen. Glücklich ist er dabei jedoch nicht. Wie soll das weitergehen?

Vor dem Abflug des Charterfluges findet eine Pilgermesse statt. Nach der Kommunion wird ein Weihegebet an das unbefleckte Herz Mariens gesprochen. Plötzlich spürt er klar und deutlich: Jetzt kommt die Antwort auf deine Frage, wie es künftig weitergehen soll. Er lauscht angestrengt. Die nächsten Worte lauten: “...verlasse alles, was du hast und bist und folge mir nach." Ein Hammer, denke ich, als er das erzählt. “Tausend Fragen sind da hochgekommen. Was soll ich jetzt machen, soll ich aus der Firma raus? Wovon soll ich dann leben? Was wird meine Familie sagen, meine Frau ...?" Keine Antwort.

In Medjugorje bittet er die Muttergottes, sie soll ihm zu verstehen geben, was er tun soll. Doch zunächst kein Zeichen. Er hat sich wohl getäuscht und hakt die ganze Sache ab. War wohl ein Irrtum.

Am nächsten Tag deutsche Messe und das Lied “Segne du Maria, segne mich dein Kind, daß ich hier den Frieden, dort den Himmel find'..." Beim Wort Himmel geschieht Überwältigendes. Alles wird anders in ihm. “Das erste war, daß die kräftigen Stimmen der Pilger plötzlich viel feiner, getragener, glockenhell klangen. Und ich hörte sie nicht nur mit meinen Ohren, sondern mit dem ganzen Körper. Als hätte ich überall am Körper Ohren. Ich hatte das Gefühl, als würden alle Chöre des Himmels den Herrn lobpreisen und nur ich wäre der einzige Sünder mittendrin. Ich kam mir so schlecht und elend vor, daß ich mit dem Kopf auf die Erde mußte und mich vielleicht für 10 Minuten nicht erheben konnte. Hätte ich doch nur in einer Ritze des Bodens verschwinden können! Es war eine unerträgliche Herrlichkeit, die Vollkommenheit des Himmels, in dem selbst ein ein winziges Staubkörnchen verdampfen muß. Doch eigentlich kann ich es nicht beschreiben," schildert er doch das Unbeschreibbare.
Die Messe geht weiter. Nach einiger Zeit kann er aufstehen und zur Kommunion gehen, bei der er wieder diese Herrlichkeit spüren darf. Danach kann er aus freiem Herzen sagen: Ja ich werde alles verlassen. Vor der gewaltigen Dimension, die er erleben durfte, sind alle Fragen wie weggeblasen.
Als er allerdings zu Hause seinem Vater, seiner Frau und der Familie seinen Entschluß, für Gott alles aufzugeben, kundtut, ist die Verwandschaft aufgebracht. Verständlich. Auch für ihn war der Konzern ja bis dahin der Weg gewesen: Er war in seiner interessanten und vielfältigen Aufgabe, mit den verschiedensten Anforderungen auf den Märkten der Welt aufgegangen.
So folgt für den 38jährigen eine schwere Zeit. Die Fragen, die auf ihn niederprasseln, kann er nicht wirklich beantworten. Noch weiß er nicht, was Gott mit ihm vorhat. Für seinen Vater ist es zunächst ein schwerer Schlag, doch läßt er den Sohn dann doch gehen. Zwei Jahre wird es allerdings dauern, bis er aus allen Verträgen und Verpflichtungen ausgeschieden ist.
"So einen Schritt macht man nicht aus Jux und Tollerei. Ohne etwas Großes in mir hätte ich nie die Klarheit gehabt, diesen Weg zu gehen“, versichert er mir glaubhaft. In der Familie war der Vermögensübergang vom Vater auf die Kinder schon vorher vollzogen, das väterliche Erbe aufgeteilt worden. Hubert spürt, daß er dieses Vermögen nicht behalten darf, wenn er im Unternehmen nichts mehr dafür tun will. ,Es ist nicht leicht, in der heutigen Zeit so einen Konzern erfolgreich weiterzuführen. Meine Geschwister müßten dann sozusagen für mich arbeiten", erklärt er.
Also gibt er dem Vater sein großes Erbe zurück. Wer kann so einen heroischen Entschluß nachvollziehen? Der Vater will aber, daß der Sohn ein Minimum zum Leben bekommt und verfügt, daß die Erben ihm und seiner Frau monatlich eine bestimmte Summe auszahlen müssen. Das ermöglicht Liebherr heute sein Apostolat ehrenamtlich auszuführen.
In den nächsten Monaten wird niemand aus der Familie und dem Freundeskreis seinen Entschluß, alles für scheinbar nichts aufzugeben - Konzept gibt es ja weiterhin keines -, nachvollziehen können. Die allgemeine Meinung: "Der spinnt total." Auch Hubert hat bald den Eindruck, von Gott verlassen, der Blöde zu sein. Für Ihn hat er auf alles verzichtet und nun wird er von aller Welt verurteilt. Soll er doch zurückstecken?
Eines Nachts hört er deutlich eine männliche Stimme, die aus seinem Herzen kommt: "Wie willst du je deinen Glauben bezeugen, wenn du es nicht einmal vor deinen Freunden kannst." Das hilft ihm ungemein, seinen Weg im Vertrauen auf Gottes Führung, weiterzugehen. "Und wie ging es weiter?", frage ich.
Mit Freunden gründet er den Verein "Medjugorje Deutschland", der Pilgerflüge und Autobusfahrten nach Medjugorje organisiert, derzeit für rund 1.000 Pilger im Jahr. Hubert begleitet mehrere dieser Fahrten im Jahr. Seine größte Freude ist es, wenn die Pilger in Medjugorje - so wie er damals - das Sakrament der Versöhnung, der Liebe, der Freude erleben dürfen.
1989 beginnt er eine Fußwallfahrt in drei Etappen, von Ulm nach Medjugorje, mit einer Muttergottesstatue im Rucksack. Als er im Juni 1991 in Medjugorje ankommt, beginnt dort wenige Tage später der Krieg. Heimgekehrt beginnt er sofort, für die notleidende Bevölkerung in den Kriegsgebieten zu sammeln. Über 1.000 Tonnen Nahrungsmittel werden von "Medjugorje Deutschland" nach Bosnien und Kroatien geliefert, auch kleine Häuser in die zerstörten Dörfer. Das eine oder andere funktioniert die Bevölkerung zu einer Kapelle um.
1993 hört ein russischer Bischof davon und bittet Liebherr um eine Kirche auch für Rußland. Nach vielen Schwierigkeiten fährt dieser im Oktober desselben Jahres mit einem Team und vorgefertigten Bauelementen für die Kirche - sie werden vor Ort zusammengesetzt - los: Nach Rostow am Don. Die Stadtverwaltung hatte dem dortigen polnischen Pfarrer die Genehmigung erteilt, auf dem schönsten Platz der Stadt eine Kirche zu bauen, allerdings mit der Auflage, sie noch im selben Jahr fertigzustellen. Man hatte damit gerechnet, daß die bettelarme Bevölkerung sowieso kein Geld für das Projekt haben würde, hätte aber guten Willen bewiesen.
Nun liest der Pfarrer jeden Tag auf dem vorgesehenen Platz im Freien eine Heilige Messe. Als er die Nachricht des Bischofs erhält, eine Kirche aus Deutschland sei zu ihm unterwegs, kann er es vor Freude kaum glauben. In nur zehn Tagen von früh bis spät in die Nacht hinein schuftet das Team und es gelingt.
"Wir waren fix und fertig. Ich bin die handwerkliche Arbeit nicht gewohnt. Dann kamen wir auch noch in den Schnee hinein. Toll, dachte ich, aber nie wieder. Drei Wochen später aber kommt ein Dankesbrief des Erzbischofs: In seiner, der ärmsten Diözese der Welt würden noch über 40 Pfarreien auf eine Kirche warten. Die Kommunisten hatten ja alles zerstört. Große Bitte: laßt in Euren Bemühungen nicht nach."
Unmöglich, ist Liebherrs erste Reaktion. Kommt nicht in Frage. Was aber, wird ihm nach einigen Tagen bewußt, wenn Gott es will, daß er mithelfen soll, Kirchen in Rußland zu bauen? Um das herauszufinden, stellt Hubert Gott einige Bedingungen, etwa: Eine Halle zum Vorfabrizieren der Kirchen muß her und eine Finanzierung.
Alles fügt sich wunderbar: Renovabis, das bischöfliche Hilfswerk für den Osten, stellt Mittel zur Verfügung. Liebherr gründet den Verein "Kirchen für den Osten e.V." Im Laufe der nächsten Jahre werden zweimal jährlich jeweils zwei Kirchen und ein Bautrupp von zehn Personen den Weg nach Rußland antreten.
Liebherr fährt jedesmal mit: Es geht kreuz und quer durch die ehemalige Sowjetunion, nach Kaliningrad, in den Kaukasus, den Ural, nach Kasachstan, nach Sibirien. Die weiteste Fahrt geht an den Baikalsee in Ostsibirien. Das bedeutet acht Wochen im Lkw. Nichts bleibt den Helfern auf ihren Fahrten erspart: Defekte an den Fahrzeugen, Staub, schlechte Straßen, Schnee, Polizei. Mehrmals stehen sie zehn Tage am Zoll - so lange darf man ohne ersichtlichen Grund einen Transport aufhalten. Doch die unbeschreibliche Freude der Menschen über die insgesamt 24 kleinen blauen Kirchen und ihre trotz ihrer großen Armut unglaublich großherzige Gastfreundschaft entschädigen die Männer für alle Mühe.
Seit 2000 kann Renovabis keine Kirche mehr finanzieren. Nun sammelt Liebherrs Verein selbst Geld für Kirchen in der Ukraine. Und zwar für die russisch-orthodoxe Kirche. Letztes Jahr wurde mit dem Bau einer Kirche in Piski begonnen. Dort hatte die SS 1942 die gesamte Bevölkerung umgebracht: 300 Menschen waren in der Kirche, in die sie sich geflüchtet hatten, von der SS eingesperrt und verbrannt worden. Der Bau der neuen Kirche soll ein Akt der Versöhnung sein.
Für Hubert Liebherr gibt es also noch genug Arbeit: Seine Zeit teilt er zwischen Pilgerfahrten, Kirchenbauten und Vorträgen auf, die er - wie er versichert - gerne hält, wenn in den deutschsprachigen Ländern danach verlangt wird. Seinen Schritt, der für viele schwer nachvollziehbar bleibt, bereut er in keiner Weise. Er ist eben ein echter Apostel.

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