VISION 20005/2007
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Am Anfang steht Gottes schöpferische Vernunft

Artikel drucken Aus der Ansprache von Papst Benedikt XVI. in der Hofburg

Zum europäischen Erbe gehört auch eine Denktradition, für die eine substantielle Korrespondenz von Glaube, Wahrheit und Vernunft wesentlich ist. Dabei geht es um die Frage, ob die Vernunft am Anfang aller Dinge und auf ihrem Grund steht oder nicht.

Es geht um die Frage, ob das Wirkliche auf Grund von Zufall und Notwendigkeit entstanden ist, ob mithin die Vernunft ein zufälliges Nebenprodukt des Unvernünftigen und im Ozean des Unvernünftigen letztlich auch bedeutungslos ist oder ob wahr bleibt, was die Grundüberzeugung christlichen Glaubens bildet: In principio erat verbum - am Anfang war das Wort. Am Beginn aller Dinge steht die schöpferische Vernunft Gottes, der beschlossen hat, sich uns Menschen mitzuteilen.

Lassen Sie mich dazu Jürgen Habermas zitieren, also einen Philosophen, der sich selbst nicht zum christlichen Glauben bekennt: “Das Christentum ist für das normative Selbstverständnis der Moderne nicht nur Katalysator gewesen. Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeit und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative."

Aus der Einmaligkeit seiner Berufung erwächst Europa aber auch eine einmalige Verantwortung in der Welt. Dazu darf es sich vor allem selbst nicht aufgeben. Der demographisch rapide alternde Kontinent soll nicht ein geistig alter Kontinent werden.

Europa wird seiner selbst auch dann besser gewiß werden, wenn es eine seiner einzigartigen geistigen Tradition, seinen außerordentlichen Fähigkeiten und seinem großen wirtschaftlichen Vermögen angemessene Verantwortung in der Welt übernimmt. Die Europäische Union sollte darum eine Führungsrolle bei der Bekämpfung der Armut in der Welt und im Einsatz für den Frieden übernehmen.

Benedikt XVI.
Aus der Ansprache in der Wiener Hofburg am 7. September 2007.

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