VISION 20006/2007
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Zur Liebe berufen

Artikel drucken Maria Loley: ein Lebenszeugnis

Es ist ungefähr zehn Jahre her: Meine Frau und ich, wir hatten einen Interviewtermin mit ihr vereinbart. Viel wußte ich nicht über Maria Loley, außer, daß sie Opfer eines Briefbombenattentats geworden war. Als wir Platz genommen hatten, merkte ich schon nach wenigen Minuten: Hier sitzt uns ein besonderer Mensch gegenüber. Je mehr ich ihr zuhörte, umso klarer war mir: Endlich jemand, der glaubwürdig und unverkrampft über sein Leben aus dem Glauben zu sprechen vermag, der mit beiden Beinen im Leben steht, sich seine Kraft und Ideen, seine Geduld und Zuwendungsfähigkeit aber von Gott schenken läßt. Eine Frau, die unzähligen Menschen geholfen, Hoffnung vermittelt, viele vor totalem Absturz bewahrt und zu einem tragfähigen Glauben geführt hat.

Ja, und all das wird auch in Marias neuem Buch - wir sind mittlerweile gute Freunde - erfahrbar. Am besten lasse ich sie im folgenden Auszug aus dem Buch - eine Sammlung von Aperçus und Einsichten aus ihrem Leben, sehr bescheiden - selbst zu Wort kommen.

Christof Gaspari


Das Leben verschenken

In der Schrift gibt es viele Hinweise für den Umgang mit dem Nächsten. Ein Wort, das mich seit langem beschäftigt, steht im ersten Brief des Evangelisten Johannes. Er schreibt im dritten Kapitel: “Daran haben wir die Liebe erkannt, daß er sein Leben für uns eingesetzt hat - auch wir sind es schuldig, für die Brüder das Leben einzusetzen..." (1Joh 3,16). Mein Leben einsetzen für die anderen? Wie geht das?

Sicher zuerst im einfachen Alltag. Ich begreife immer mehr, welche Bedeutung Freundlichkeit und Güte für das Leben des Menschen haben. Freundlichkeit in den einfachen Gesten, im Zugehen auf den anderen. Es verlangt, daß keinerlei Verneinung eines anderen in mir entsteht. Gott ist das Ja, sagt Paulus. Mit diesem Ja muß Gott mich erfüllen, damit Begegnungen möglich sind. Ich bitte ihn darum.

Im Seniorenheim, in dem ich lebe, ist mir aufgefallen, daß die Bewohner und Bewohnerinnen nach der heiligen Messe die Kapelle immer schweigsam und mit ernsten Mienen verlassen. Ich begann von meinem Stammplatz in der letzten Reihe aus zu grüßen: mit einem Lächeln, mit einem freundlichen Nicken, mit einer ausgestreckten Hand. Von einem Herrn im Rollstuhl wird meine Hand seither regelrecht gepackt und geschüttelt, auch meine Sitznachbarinnen haben begonnen, die Hinausgehenden zu grüßen, und im Aufzug häuften sich nach der Messe die gütigen Blicke. “Augen-Blicke" sind unverzichtbar für die Menschen!

“Leben verschenken" ist also nicht eine Forderung des Evangeliums, die nur für bestimmte, herausragende Situationen gilt, vielmehr will “Leben einsetzen" eine beständige Haltung sein, auch in den kleinsten Dingen. Hildegard von Bingen sagt: “Die Güte weiß immer, was dem anderen nottut." Die zuverlässige Richtschnur ist und bleibt die “Goldene Regel" der Bergpredigt: “Was ihr von den Menschen erwartet, das tut auch ihnen" (Lk 6,31).

Ich habe mich einmal mit bestimmten Leuten schwergetan wegen deren Unfreundlichkeit. “Was habe ich ihnen getan?", fragte ich mich und habe immer wieder erwartet, daß sie ihr Verhalten ändern - bis mir blitzartig bewußt wurde: Ich muß mein Verhalten ändern und ihnen die Freundlichkeit schenken, die ich für mich erwartete. Beinahe schlagartig hat sich die Beziehung geändert.

Oft durfte ich erfahren, daß liebevolles Handeln Situationen verändert. Jedoch darf eine rasche, positive Änderung nicht die Bedingung für mein Tun sein! Das muß ich Gott überlassen. Es kann ja sein, daß ein solcher “Erfolg" auf sich warten läßt. Mein Lieben muß bedingungslos sein, damit der andere in Freiheit sein Verhalten entscheiden kann.

Ich bin mir sehr bewußt, daß ich für meinen Nächsten Verantwortung trage, ich muß mich von ihm “betreffen" lassen. Sein Befinden geht mich grundsätzlich etwas an. Was tue ich, wenn ich einem Menschen begegne, der an einer inneren Verwundung leidet? Bin ich sensibel für ihn? Sehe ich ihn mit den Augen des Herzens an? Bewegt mich Mitleid? Oder gehe ich vorüber, wie es zwischen Jerusalem und Jericho passiert ist?

Da ist einmal ein Mann in seinem ungeheizten Zimmer am Morgen tot aufgefunden worden. Sein Tod hat betroffen gemacht. Einer sagte: “An diesem Tod bin ich mitschuldig. Fast jeden Tag bin ich diesem Mann begegnet, und ich habe ihn nie gefragt, wie es ihm geht, obwohl er sehr schlecht ausgesehen hatte. Ich habe ihm nicht geholfen."

Auch die Hilfsaktionen für Polen oder für die Flüchtlinge aus Bosnien hatten ihren Ausgang immer von einem Betroffen-Sein. Am Beginn stand die Begegnung mit konkreten Menschen, die in einer bestimmten Situation Hilfe benötigten.

Dabei war es ein banaler Gefallen, um den mich Margarete aus Posen an einem Tag des Jahres 1981 gebeten hatte. Sie wollte Wurstwaren aus Österreich zu Verwandten nach Polen bringen, weil es dort nach der Verhängung des Kriegsrechtes an vielem fehlte.

Nachdem sie an der österreichisch-tschechischen Grenze mit ihrer Wurst und ihrem Speck im Gepäck nicht durchgelassen wurde, machte sie verärgert kehrt und wurde im ersten Ort nach der Grenze an mich verwiesen: Ich sei in Poysdorf für Soziales zuständig.

Zu einem für Margarete guten Wechselkurs tauschte ich ihre Wurstwaren gegen Bares ein, das sie über die Grenze mitnehmen konnte, vor allem aber kamen wir ins Gespräch, und mir wurde erst durch diese Begegnung bewußt, wie groß Hunger und Not damals in Polen waren.

Wenige Wochen später waren wir mit einem VW-Bus voller Kleidung und Lebensmittel auf dem Weg nach Posen, bald darauf waren es ganze LKW-Ladungen, die wir in verschiedene polnische Städte lieferten. Wir sammelten, wo und was wir konnten. Der Heilige Geist und die Phantasie sind ein formidables Duo!

Maria Loley

Auszug aus: Zur Liebe berufen. Von Maria Loley. Tyrolia-Verlag. 95 Seiten

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